Neu im Kino: "Casting"

Unterhaltsame Abgründe

Casting: Gerwin-Darsteller Andreas Lust und Regisseur Nicolas Wackerbarth
Casting: Gerwin-Darsteller Andreas Lust und Regisseur Nicolas Wackerbarth © imago/Seeliger
Von Anke Leweke · 01.11.2017
Die Regisseurin Vera dreht ihren ersten Film und ist auf der Suche nach der Idealbesetzung. Doch die ist nicht einfach zu finden, vor allen Dingen weil Vera ihre Vorstellungen nicht artikulieren kann. Nicolas Wackerbarth gelingt eine Satire über die Machtstrukturen der Filmwelt.

Worum geht es?

Ob Schauspielerinnen es mögen oder nicht, Casting gehört zu ihrem Alltag, ist ein notwendiges Übel, auch wenn sie schon einen Namen haben. Für die Regisseurin Vera (Judith Engel) ist die Casting-Situation hingegen noch ungewohnt, sie dreht ihren ersten Film - ein Remake von Rainer Werner Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Bald schon soll es losgehen, nur hat Vera immer noch nicht die Idealbesetzung gefunden. Alle werden langsam nervös. Vera sucht unbeirrt weiter. Keine der Darstellerinnen entspricht ihren Vorstellungen, doch kann sie ihre Vorstellungen nicht artikulieren. Nur Gerwin (Andreas Lust), der Anspielpartner - im Fachjargon auch "Anspielwurst" genannt - freut sich, denn jeder Casting-Tag bringt ihm Geld ein. Aber vielleicht hätte auch er gerne eine Rolle in dem Film...

Was ist das Besondere?

Narzissmus, Machtspiele, Gefallen-wollen, Geliebt-werden-wollen - das waren Leitmotive von Fassbinders Schaffen, die auch in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" variiert werden. Das Spiel mit Machtgefügen wird in Wackerbarths Film auf einer anderen Ebene fortgesetzt, der Ebene des Castings. Petra von Kant fühlt sich bei Fassbinder verlassen, sie sucht den Blick der anderen. Schauspieler und Schauspielerinnen suchen ebenfalls diesen Blick. Sie wollen gesehen, wahrgenommen werden, und diesen Wunsch des Gesehen-werden-Wollens stellt Wackerbarth in den Mittelpunkt seiner Szenen und Dialoge. Wir sehen, wie unterschiedlich die jeweilige Schauspielerin die Rolle der Petra von Kant anlegt, die verschiedenen Varianten ihrer Interpretation ausspielt. Wir erleben aus nächster Nähe, wie gedemütigt sie sich fühlen, wenn ihre Darstellung von der Regisseurin nicht für gut empfunden wird. Wir sehen aber auch, wie ihr Narzissmus durch ein paar lobende Worte und einen ermunternden Blick befriedigt wird. Wir werden Zeugen, wie das Spiel auch nach dem Casting weitergeht, wie die Regisseurin weiter umworben wird. Als Zuschauer fühlt man sich mittenmang, auch die Kamera scheint Lampenfieber zu haben.

Die Bewertung

Nicolas Wackerbarth wirft einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen einer Filmvorbereitung, der sowohl die Komik als auch die Tragik einer Casting-Situation zum Vorschein bringt. Doch geht es in diesem Film nicht nur um das Casting für einen Dreh, vielmehr wird der Narzissmus der Schauspieler und Schauspielerinnen zum Vergrößerungsglas für die Sehnsucht von uns allen, geliebt, gelobt oder anerkannt zu werden. "Casting" ist ein großartiger Film, weil die kluge Regie und ein virtuoses Schauspielerensemble uns auf äußerst unterhaltsame Weise die Abgründe menschlicher Beziehungen vorführen.

"Casting"
Deutschland 2017, Regie: Nicolas Wackerbarth
Darsteller: Andreas Lust, Judith Engel
Länge 91 Minuten, FSK: keine Altersbeschränkung

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