Neosalafismus in der Schule

Wann radikalisieren sich Jugendliche?

Sven Lau
Sven Lau, ein bekannter Salafist, hat sich einst auch radikalisiert. © dpa/picture-alliance/Marius Becker
Von Wibke Bergemann · 03.04.2017
Der Neosalafismus – das geistige Rüstzeug des IS - ist seit langem auch in den Köpfen von einigen Jugendlichen in Deutschland angekommen. Kein Wunder, dass viele Lehrer mittlerweile empfindlich auf Anzeichen einer religiösen Radikalisierung reagieren - so auch Volker Dahms.
Zehn nach eins. In der Mensa am Berliner Oberstufenzentrum Informations- und Medizintechnik bildet sich eine Schlange vor der Essenausgabe. Vor allem junge Männer nehmen an den Tischen Platz – weniger als ein Zehntel der Schülerschaft ist weiblich. Alle Ausbildungszweige sind technisch ausgerichtet.
"Auch eine Schülerschaft, die sehr, sehr große Chancen hat, im Anschluss an ihre Ausbildung dann eben auch beruflich unterzukommen bzw. ein Studium aufzunehmen an einer Hochschule oder Fachhochschule mit einem technischen Schwerpunkt."
Es herrscht eine entspannte Atmosphäre in der Mensa, kein Gerenne oder Geschrei stört die Gespräche an den Esstischen. Schulleiter Volker Dahms beschreibt sein Oberstufenzentrum als eine "ganz normale Schule", keineswegs eine Brennpunktschule. Und doch beunruhigt ihn das Verhalten einiger Schüler.
"Das sind schon auch Wahrnehmungen, die jetzt auch mit dem Ausrufen des sogenannten islamischen Staates so 2014 einhergingen. Dass man einfach merkte, dass es dort eine vielleicht auch andere Art der Diskussion was religiös geprägte Gewalt angeht, gibt. Man in den letzten Jahren an der einen oder anderen Stelle gemerkt hat, dass die Vehemenz der Diskussion eine andere wurde. Dass Gewalt gegen bestimmte Menschen dann auch toleriert wird, gegen Ungläubige beispielsweise.
Immer wieder kommt es vor, dass Schüler sich gegenseitig Videos auf ihren Handys zeigen, und diese schnell wegdrücken, wenn sie darauf angesprochen werden. Der Verdacht, dass es sich dabei teilweise um IS-Videos handelt, wurde in einigen Fällen von Mitschülern bestätigt. Irritiert sind Dahms und seine Kollegen auch davon, dass einige Schüler religiös agitieren und andere dazu drängen, vermeintliche religiöse Pflichten einzuhalten. Auch die Forderung nach einem Gebetsraum sorgt für Streit: Dahms hat sich dagegen entschieden, um die religiöse Neutralität der Schule zu wahren – und stößt damit auf unerwartet heftigen Widerstand.
"Die haben sich sehr schwer bis gar nicht mit den Begründungen zufrieden gegeben, sondern haben immer wieder versucht, ihre Sicht auf die reine Lehre wiederzugeben. Und wenn mir gesagt wird, der Imam XY lehrt, dass da kein Spielraum ist, und dass das Mittagsgebet immer um 13 Uhr durchzuführen ist, und deswegen ein Schüler aus dem Unterricht rausgehen muss. Dann ist das etwas, wo ich zumindest erstmal nicht sagen kann, ob das wirklich so ist oder nicht so ist."

Wann muss die Polizei eingeschaltet werden?

Was ist pure Provokation, wo beginnt eine Radikalisierung und wann muss die Polizei eingeschaltet werden, weil eine Gefährdung nicht mehr auszuschließen ist? Lehrer und Lehrerinnen stoßen angesichts der extremen religiösen Haltung von Schülern an ihre Grenzen. Schulleiter Dahms hat bei verschiedenen Vereinen und Initiativen versucht, Unterstützung zu bekommen, was aber zum Teil an langen Wartezeiten scheiterte. Seit Juni 2016 nimmt das Oberstufenzentrum an dem Projekt "Neosalafismus und Rechtsextremismus" der Aktion Gemeinwesen und Beratung teil. Ziel ist es, den Radikalisierungsprozess einzelner Jugendlicher zu stoppen, erklärt der Leiter des Projekts, der Islamwissenschaftler Michael Kiefer:
"Wichtig ist, dass Lehrkräfte, Sozialarbeiter, alle Beteiligten in der Schule erste Anzeichen einer Radikalisierung erkennen. Das kann zum Beispiel eine aggressive Art von Religionsausübung sein. Und hier gilt es dann Einfluss zu nehmen auf den Jugendlichen, sei es über die Eltern, über Peers, über die Möglichkeiten, die man im schulischen Kontext hat, mit pädagogischen Methoden. Und vieles mehr. Aber hier geht es immer darum, ein individuelles Paket für den einzelnen Jugendlichen zu schnüren, was möglicherweise beim Schüler wirken kann."
Im vergangenen Dreivierteljahr sind an der Schule fünf Schüler auffällig geworden. Fünf von insgesamt mehr als 2.500. Ein einziges Mal musste die Schule zum letzten Mittel greifen und die Polizei einschalten. Ein junger Syrer aus einer Willkommensklasse hatte ein Bild des IS-Anführers auf seinem Handy. Vor seiner Flucht hatte er als LKW-Fahrer Truppen versorgt, ob für die syrische Armee oder für den IS blieb unklar, erinnert sich Schulleiter Dahms:
"Da ging es darum, dass dieser Schüler ein Hintergrundbild auf seinem Handy hatte, ich glaube von dem Baghdadi. Das hatten dann eben auch andere Schüler so gesagt. Und was ich dann noch mitbekommen habe, war, dass dieser Schüler dann auch einen gewissen Einfluss in dieser Klasse hatte, also die schienen auch ein bisschen Angst vor ihm zu haben. Und das hat dazu geführt, dass bei dieser komplexen Gemengelage, dann eben auch die Polizei informiert wurde."
Viele Berliner Schulen hätten weitaus größere Probleme mit Neosalafisten als seine, meint Volker Dahms. Prävention müsste eine Selbstverständlichkeit werden.
"Auch wenn das nur sehr wenige sind. So haben wir uns als Schule doch auf die Fahne geschrieben, den Präventionsgedanken hochzuhalten. Weil was wir jetzt nur in geringem Maße hier haben, wollen in Zukunft erst recht nicht hier haben."
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