Nach Maaßen-Absetzung

Warum der Verfassungsschutz in liberale Hände gehört

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler im September 2018.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln: Nils Zurawski plädiert für eine Neuausrichtung der Behörde. © imago / C. Hardt
Ein Vorschlag von Nils Zurawski · 01.10.2018
Verfassungsschutz war bisher Sache der politischen Rechten: Auch der nun abgesetzte Hans-Georg Maaßen stand für diese Tradition. Es ist an der Zeit, den Inlandsgeheimdienst liberalen Menschen anzuvertrauen, fordert der Kriminologe Nils Zurawski.
Der Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz musste gehen. Darüber ist viel diskutiert worden. Was aber nicht geklärt wurde, ist – und das ist die eigentlich viel wichtigere Frage – ob nicht ein anderer Schutz der Verfassung möglich ist? Dazu müsste die Behörde aber grundsätzlich in andere Hände gelangen, in liberalere.

Eine Lange Liste von Verfehlungen

Die Liste der Verfehlungen und Skandale des inländischen Nachrichtendienstes ist lang. Initiiert von den Alliierten nach 1945 und zu Beginn auch ein Ort für die alten Täter, lagen seine Ursprünge im Kalten Krieg, wo der Feind bekanntlich von links kam. Verbindungen zu rechten Kräften begleiten die Behörde seit ihrer Gründung.
Nicht zuletzt die Verstrickungen in die NSU-Affäre haben gezeigt, dass eine gesunde Skepsis gegenüber dem Verfassungsschutz mehr als angebracht ist. Auch die Äußerungen Hans-Georg Maaßens lassen vermuten, dass die Verfassung zu schützen, eher eine Aufgabe für die konservativeren, wenn nicht rechts-freundlichen Geister ist.
Der Feind ist immer noch links, heute auch muslimisch, selten aber rechts. Das anscheinende Verständnis für Menschen, die offen gegen andere hetzen und freimütig ihre menschenfeindlichen Ansichten äußern, ist dabei zutiefst beunruhigend.

Die Verfassung zu schützen, ist ein hehres Anliegen

Unter kritischen, liberalen und vor allem linken Bürgern genießt der Verfassungsschutz daher auch keinen guten Ruf. Dabei ist die Verfassung zu schützen ein hehres Anliegen. Die Klagen vor dem Verfassungsgericht gegen Übergriffigkeiten des Staates, sind ein Indiz dafür, dass ein großes Interesse am Schutz der Verfassung besteht. Die von den Sicherheitsbehörden immer wieder geäußerte Angst, dass die "Linken" – ein eher diffuser, weit gefasster Sammelbegriff – die Gesellschaftsordnung verändern wollen, ist Grundlage ihrer Arbeit. Dabei ist es laut Grundgesetz sehr wohl möglich die Gesellschaftsordnung zu verändern – eben mit den Mitteln der Verfassung.

Wo liegen also die Probleme?

Erstens: Beim Schutz der Verfassung durch die gleichnamige Behörde steht nicht das Grundgesetz im Mittelpunkt, sondern der Staat und seine Herrschaft. Geschützt wird somit nicht die Idee der Verfassung, deren Wirklichkeit sich in der Aushandlung von Interessen in demokratischen Prozessen ergibt, sondern die Idee einer – allzu häufig – autoritären Ordnung.
Zweitens: Ein Merkmal der Linken und kritischen Liberalen ist eine Skepsis gegen Formen von Herrschaft, die als zu autoritär oder nicht gerecht genug empfunden werden. Kritik, die sich gegen Organe des Staates richtet, stellt diese Ordnung infrage. Als betroffene Behörde kann man sich dann leicht von Feinden umgeben sehen. Was läge da näher als den Verdacht gegen diese Feinde zu schüren – auch um die eigene Existenz zu sichern.
Daraus ergibt sich drittens, eine Einteilung der Welt in Freund und Feind: Links, das sind die Anderen, die Feinde – die, die Ordnungen verändern wollen. Die Rechten haben zum einen auch was gegen diese Linken – aber vor allem teilen sie, eine klare Freund-Feind-Ideologie. Sie sind das "andere Wir". Verbündete für eine Vorstellung von Ordnung, die auch diesem eindeutigen, autoritären Schema folgt.

Es geht darum, das Freund-Feind-Schema zu verlassen

Die Welt aber ist ambivalent. Je autoritärer eine Gesellschaft ist, desto schwerer tut sie sich damit. Mit einem Schwarz-Weiß-Blick auf die Welt entgehen einem jedoch die Nuancen, die es braucht, um unwichtig von wichtig, Gefahr von bloßem Dissenz, Terror von radikaler Gesellschaftskritik zu unterscheiden.
Es geht darum, das Freund-Feind-Schema zu verlassen, um die tatsächlichen Gefahren zu erkennen und diese nicht auch noch mutwillig zu produzieren, indem man der Erkenntnis willen, mit dem Terror paktiert. Mir scheint, dass könnten liberale Menschen besser.
Mit einer klaren Haltung müssten sie sich nicht ständig opportunistisch an die Herrschaft anpassen, sondern könnten die Grundlagen der Herrschaft im Blick haben, in unserem Falle das Grundgesetz. Ob es dazu aber tatsächlich einen Geheimdienst braucht, wäre in der Tat zu überdenken.

Nils Zurawski, geboren 1968, arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Fragen von Überwachung und Sicherheit und koordiniert derzeit eine Forschung zum Thema Doping. 2013 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu Raumwahrnehmung, Überwachung und Weltbildern. Er bloggt unter www.surveillance-studies.org.

Der Sozialforscher Nils Zurawski
© Saskia Blatakes
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