Mythos US-Post

Wichtig für den Zusammenhalt von Nation und Menschen

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Eine Postkutsche in den USA, aufgenommen 1889. Mit solchen Kutschen wurden im Wilden Westen Briefe, Waren und nicht zuletzt Menschen transportiert.
Mit der Postkutsche wurden im Wilden Westen Briefe, Waren und nicht zuletzt Menschen transportiert. © picture-alliance / akg-images / John C.H. Grabill
Dietmar Kuegler im Gespräch mit Ute Welty · 21.08.2020
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US-Präsident Donald Trump sät Zweifel, ob die Briefwahl sicher funktionieren wird. Dabei hat diese Art der Abstimmung in den USA eine lange Tradition. Der Amerikanist Dietmar Kuegler erinnert an die legendäre Geschichte der US-Post.
Ute Welty: Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA läuft, große Schatten wirft der 3. November voraus, auch zwischen den Nominierungsparteitagen. Der demokratische ist ja gerade zu Ende gegangen, der republikanische beginnt Anfang der Woche.
Heute geht es dann auch noch um die Rolle der Post, die wird vom Heimatschutzausschuss des amerikanischen Senats behandelt, denn die Post wird dafür zuständig sein, Briefwahlunterlagen rechtzeitig zuzustellen. Dietmar Kuegler vom Verlag für Amerikanistik hat sich mit der Geschichte der amerikanischen Post beschäftigt.
Die Postkutsche und auch der Pony-Express in den frühen USA sind zum Mythos geworden. Inwieweit hat dieser Mythos denn irgendeinen Bezug zur damaligen Realität?

Ein Gebiet von unglaublicher Größe

Dietmar Kuegler: Die Vereinigten Staaten sind ein Gebiet von unglaublicher Größe. Wer noch nie da war, kann sich das gar nicht vorstellen, weil es hier in unserem eng besiedelten Europa einfach andere Verhältnisse gibt.
In Amerika gibt es gewaltige Gebiete, die fast menschenleer sind, andere, die dünn besiedelt sind. Und dann gibt es natürlich die Ballungszentren an der Ost- und Westküste. Die Post war entscheidend für den Zusammenhalt der Nation und der Menschen, das ist die Post ja ohnehin, weil sie dafür sorgt, dass es Kommunikationswege gibt.
Welty: Welche Rolle spielt die Post bei der Eroberung des Wilden Westens und der Nationenbildung in den USA?
Kuegler: Eine ganz entscheidende Rolle, weil die Menschen ja Verbindung untereinander halten mussten. Nicht nur menschlich kommunikativ, sondern eben auch als Transportmittel. Da gab es einmal die Briefpost, die - das ist für uns heute auch kaum fassbar - wochenlang, manchmal monatelang unterwegs war. Und es gab natürlich die Transportmöglichkeiten, die die Post bot, für Waren, Informationen, Güter.
Die Post war die Basis dafür, dass Menschen miteinander kommunizieren konnten. Das ging so weit, dass etwa die Entscheidung der Wahl von Abraham Lincoln zum Präsidenten durch den Pony-Express innerhalb von zehn Tagen nach Kalifornien transportiert wurde, was vorher nur innerhalb von zwei, drei, vier Monaten möglich gewesen war.

Der Pony-Express war revolutionär

Welty: Der Pony-Express war ja nach 18 Monaten schon pleite. Ist die Idee in den USA nach wie vor wichtiger als der tatsächliche Erfolg?
Kuegler: Der Pony-Express war von der Idee her revolutionär. Vorher gab es eine Postlinie entweder per Schiff um Südamerika herum oder durch den Panamakanal – monatelang unterwegs von der Ostküste zur Westküste. Oder es gab die Postkutschen, die auch ungefähr drei, vier, fünf Monate unterwegs waren, um den Kontinent zu durchqueren.
Der Pony-Express schaffte das in zehn Tagen. Das war allerdings nicht die US-Post. Es gab immer neben der US-Post private Transporteure. Der Pony-Express war unheimlich aufwendig, die Finanzierung, die hinter dem Pony-Express stand, hat dermaßen viel Geld verschlungen, dass die Unternehmer sich nur mit staatlichen Aufträgen hätten über Wasser halten können – und die kriegten sie nicht, also mussten sie nach ungefähr anderthalb Jahren aufgeben.
Welty: Sie haben eben schon die Wahl von Abraham Lincoln angesprochen. Wie groß ist denn der Einfluss der Post auf die Briefwahlen im 19. und 20. Jahrhundert gewesen?
Kuegler: Der Einfluss war insofern gewaltig, weil Briefwahl in Amerika eine lange Tradition hat. Sie dürfen nicht vergessen, dass viele Gebiete nur sehr dünn besiedelt waren, da gab es keine Wahllokale, die Leute mussten ihre Stimmen per Post abgeben an bestimmten Stationen, die eingerichtet wurden. Das waren unter Umständen Postämter, das waren General Stores ...

"Die Post hat nie manipuliert"

Welty: Ich habe so einen verstaubten Lebensmittelladen vor Augen.
Kuegler: Genau, so ist es. Und dann wurden die Wahlzettel gebündelt und weitergeben. Aber das, was heute diskutiert wird, ist natürlich völliger Blödsinn, die Post hat nie manipuliert, die war ein neutraler Transporteur. Und das, denke ich, ist sie bis heute geblieben.
Welty: Das heißt, es gibt keine Belege für irgendwelche Fälschungen?
Kuegler: Natürlich gab es Wahlfälschungen, das bleibt ja auch in einem Land dieser Größenordnung und dann in so primitiven Umgebungen ja nicht aus, aber die wurden durch die Wahlleiter oder Wahlkommissionen durchgeführt, nicht durch die Post. Die Post hat nur das transportiert, was man ihr gegeben hat.
Welty: Im 21. Jahrhundert befürchtet der amtierende amerikanische Präsident, die Briefwahl könnte im großen Maßstab manipuliert werden. Haben Sie dafür irgendwelche Anzeichen?
Kuegler: Dafür gibt es überhaupt keine Belege. Es gibt Beispiele für Manipulationen auf lokaler und Distriktebene, aber die sind immer durch die zuständigen Wahlleiter verübt worden oder durch die Parteien, die auch damals schon sehr stark – im sogenannten Wilden Westen – tätig waren.

Postkutschen verbreiten Nostalgie

Welty: Haben Sie eine Lieblingsgeschichte oder Lieblingsfilm über die amerikanische Post?
Kuegler: Ich mag eigentlich alle Filme, in denen Postkutschen vorkommen, weil die eine gewisse Nostalgie verbreiten. Wir glauben heute, das sei so eine biedermeierliche, freundliche Art des Transportierens gewesen. Tatsächlich haben in einer solchen Postkutsche manchmal neun bis 15 Leute gesessen, fast übereinander und auf dem Dach.
Das war die unbequemste Art des Reisens, die wir uns heute vorstellen können, aber die Leute wussten es eben nicht besser. Für sie war es besser, sich in eine Postkutsche hinein zu quetschen als zu laufen – und das womöglich hunderte Meilen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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