Museum der Woche

Von Paul Stänner · 28.09.2007
Das Regionalmuseum Neubrandenburg zeigt viele Schätze aus der Ur- und Frühgeschichte Mecklenburgs. Vor allem wird hier die slawische Besiedlungsperiode vom 7. bis 12. Jahrhundert dargestellt. Doch die Suche nach Rethra, dem alten Heiligtum der Slawen in Mecklenburg, blieb bislang erfolglos.
"Wir stehen jetzt vor dem Museum, ..."

sagt Dr. Rolf Voß

"... es befindet sich in einem der historischen Stadttore."

Rolf Voss leitet das Stadtmuseum in Neubrandenburg.

Das Tor ist eine mehrgeteilte Anlage aus verschiedenen Zeiten. Die mittelalterliche Befestigung dürfte um 14oo fertig geworden sein, aber es gibt hier Gebäudeteile, die sind erst nach dem 30-jährigen Krieg und erst im 19. Jahrhundert dazu gekommen.

Die mittelalterliche Wehranlage umläuft die Stadt nahezu kreisrund, sieben Meter hoch, fast zweieinhalb Kilometer lang. Allein das ist schon eine Sehenswürdigkeit. Das Treptower Tor ist das größte der ehemals vier Stadttore, es beherbergt seit 1873 ein Museum zur Ur- und Frühgeschichte der Region im Süden Mecklenburgs.

"Wir sind jetzt hier in der Steinzeitetage, die ur- und frühgeschichtliche Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, fünf Etagen, fünf Perioden, Steinzeit, Bronzezeit, germanische Besiedlung, slawische Besiedlung und die frühmittelalterliche deutsche Zeit."

Treppe für Treppe arbeitet man sich durch die Besiedlungsepochen der Region Neubrandenburg um den Tollensesee. Dabei kommt es zu interessanten Entdeckungen.

"Bronzezeitliche Waffen sind auf uns überkommen, das könnten Pfeilspitzen sein oder Speerspitzen, aber auch Dolche und Schwerter. Es sind aber auch vor allen Dingen Schmuckgegenstände, die aus Bronzen gefertigt wurden, unter anderem haben wir hier einen Hohlwulst,..."

In der Vitrine liegt ein Bronzerohr von circa zehn Zentimetern Durchmesser, das fast zu einem Ring gebogen ist, wobei aber die Enden nicht aufeinander treffen.

"... schauen Sie sich diesen Apparat an. Kein Mensch weiß hundertprozentig, an welcher Körperstelle der getragen wurde, vielleicht ist er über einem Oberarm gestülpt worden, dann lief derjenige, der ihn trug so rum, als ob er Rasierklingen unter den Armen hätte. Oder vielleicht ist es sogar ein Halsschmuck gewesen, das kennen wir ja aus der Ethnographie, dass Frauen sich mit ganz vielen Ringen schmücken um den Hals, dass dieser immer länger wird oder scheinbar immer länger wird, vielleicht ist er auch von einer Frau um den Hals getragen worden."

Interessante Erklärungsversuche für einen ungewöhnlichen Gegenstand. Aber wieso weiß man so was? Weiß man nicht.

"Das ist reine Fantasie, das können wir eben nicht sagen ..."

... da muss auch die Wissenschaft rätseln.

"Jetzt sind wir in der aus unserer Sicht, aus wissenschaftlicher Sicht, wichtigsten Etage zur Ur- und Frühgeschichte. Hier geht es um die slawische Besiedlungsperiode, 7. bis 12. Jahrhundert in unserer Region. Neubrandenburg liegt am Tollensesee. Am Südende des Tollensesees sind über Jahrzehnte archäologische Untersuchungen durchgeführt worden, das Ganze immer unter dem Motto 'Auf der Suche nach Rethra'."

Ein neues Wort – Rethra. Es ist in der Regionalgeschichte Neubrandenburgs das, was in der Artussage das mystische Avalon ist.

"Die Slawen sind im siebten Jahrhundert in unsere Region eingewandert, sie haben ihre religiöse Vorstellungen mitgebracht, wir wissen nicht von ihnen selbst aber von den deutschen Chronisten wie diese Kulthandlungen bei den Slawen aussahen, dass sie dazu besondere Orte hergerichtet haben und einer dieser Heiligtümer wird hier in der Nähe von Neubrandenburg vermutet."

Rethra ist nicht nur ein slawisches Heiligtum, es ist sogar ein Ort bewaffneter Macht, denn von hier rief 983 die Priesterschaft zum Aufstand gegen die Deutschen auf. Der Kampf, dem die Bischofssitze in Havelberg und Brandenburg zum Opfer fielen, eröffnete den Slawen weitere 150 Jahre Unabhängigkeit.

"Rethra ist deshalb also auch für die Historiker von besonderer Bedeutung, eben wegen dieses Aufstandes und weil wir Rethra noch nicht gefunden haben."

Im Südteil des Tollensesees liegt eine Insel, auf der in den 60er Jahren eine kleine archäologische Sondierungsgrabung durchgeführt wurde. Was die Archäologen dort ausgruben, war eine kleine Sensation.
"Wir haben hier einen Gipsabguss eines doppelköpfigen Götterstandbildes des elften Jahrhunderts, die charakteristischen Züge slawischer Gottheiten werden darin deutlich - unsere Figur von der Fischerinsel im Tollensesee hat einen Körper, zwei Arme aber zwei Köpfe plastisch herausgearbeitet, obendrauf."

Das Ungewöhnliche an dieser im Original hölzernen Statue ist, dass sie flach ist wie ein Brett oder eine Planke. Aus dieser Fläche wurden die Gesichter mit großen Augen, langen Nasen und einem irgendwie unglücklichen Gesichtsausdruck herausgeschnitzt.

"Was diese beiden Köpfe nun versinnbildlichen, können wir nicht genau sagen, aber diesen Dualismus gibt es ja in allen Religionen, hier gut und böse oder Mond und Sonne, kann sich hier natürlich auch hinter verbergen."

Auch hier ist wieder die lebhafte wissenschaftliche Fantasie gefragt. Die Suche nach Rethra beschäftigte die Region seit Jahrhunderten. Gern hätten sich auch die mecklenburgischen Fürsten mit den slawischen Vorfahren in Verbindung bringen lassen, um so ihren Machtanspruch durch alte Traditionen zu festigen, aber Rehtra blieb unauffindbar.

Da machten sich im 18. Jahrhundert die Brüder Sponholz daran, auf ihre Weise die Sache in Schwung zu bringen: Sie formten ulkige Gestalten, die sie als Ausgrabungen deklarierten und der slawischen Götterwelt zuordneten. Mal war es ein Löwe, dann eine Götterfigur mit einer unbeholfenen Gans auf dem Kopf. Mit den sogenannten "Prillwitzer Idolen" konnten sie, bei guten Geschäften, die Wissenschaft in Atem halten, bis endlich fast 100 Jahre später, ihre Gebilde als Fälschungen entlarvt wurden.

Rehtra ist noch nicht entdeckt. Irgendwo hier muss es sein, denn ein Schriftsteller zur Slawenzeit schrieb, Rehtra sei drei Tagesreisen von Hamburg entfernt. Aber wo genau?

"Hier haben wir die Karte, wo Rehtra bisher überall vermutet wurde. Das ist einmal diese Entfernung zu der Hansestadt Hamburg und zum anderen sind es die ganz seriösen archäologischen Erkenntnisse, dass hier eben so eine Konzentration von slawischem Siedlungsplätzen am Südende des Tollensesees beobachtet werden kann."

Somit steht das Museum in Neubrandenburg ganz im Zeichen der Suche nach dem, was sein wichtigstes Ausstellungsstück werden könnte. Jetzt wäre es noch schön, wenn es für die Schatzsucher unter unseren Hörern, die Lust haben, sich selbst auf die Suche nach Rehtra zu machen, den einen oder anderen Fingerzeig gäbe.

"Für die Schatzsucher unter den Zuhörern."