Moralitätenspiel in Krisenzeiten

Von Ariane Thomalla · 13.08.2007
Traditionell steht in jedem Jahr eine Inszenierung von Hugo von Hoffmannstals "Jedermann" auf dem Programm der Salzburger Festspiele. Ursprünglich sollte bei der Festivalpremiere 1920 ein anderes Stück aus der Feder des Autoren aufgeführt werden. Doch "Das große Salzburger Welttheater" wurde nicht rechtzeitig fertig.
"Meister, was befiehlst Du mir, Deiner Magd?’ – ’Ein Fest und Schauspiel will ich mir bereiten. Dazu die Bühne heiß ich Dich aufschlagen. Lass das Spiel anheben, Welt!"

Das Spiel im Spiel im "Salzburger großen Welttheater" des österreichischen Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal, das im August 1922 in der Kollegienkirche in Salzburg in der Regie von Max Reinhardt zur Uraufführung kam. Ein Moralitätenspiel, das dem "Gran teatro del mundo" des - so Hofmannsthal - "großen katholischen Dichters Calderon" nachgedichtet war.

"Von diesem ist hier die das Ganze tragende Metapher entlehnt: Dass die Welt ein Schaugerüst aufbaut, worauf die Menschen in ihren von Gott ihnen zugeteilten Rollen das Spiel des Lebens aufführen",

schrieb Hofmannsthal, der den Zusammenbruch des Habsburgerreichs nach dem Ersten Weltkrieg traumatisch erlebte. Volkstümlich geistliches Theater sei immer in solchen "Krisenzeiten" hervorgetreten:

"Wenn die Zeiten finster werden, die Wirklichkeit hart und grässlich auf den Menschen liegt, so wird dieser Trieb stärker, nicht schwächer."

Wie Max Reinhardt und der Bühnenbildner Alfred Roller gehörte der Autor zum Gründungsrat der Salzburger Festspiele, der sich vorgenommen hatte, musikalisch-theatralisch die im Ersten Weltkrieg verloren gegangenen kulturellen und humanistischen Werte wieder aufleben zu lassen.

Roller hatte in den Altarraum eine scharlachrote Bühnenkonstruktion gestellt, die deutlich oben und unten markierte, das Oben des "Meisters im Sternenmantel", Gott, mit Propheten, Engeln, dem Widersacher und der Frau Welt, und das Unten der Menschheit, in dem sechs paradigmatische Figuren wie in Calderons "Großem Welttheater" statisch agierten: der in seine Macht verliebte König, der sich als der eigentliche Mächtige fühlende Reiche, die zuletzt die "Spuren der Mörderin Zeit" beklagende Schönheit, der selbstgefällig mitleidslose Bauer und die Weisheit.

In der Figur des Bettlers suchte Hofmannsthal den Zeitbezug zur russischen Revolution 1917. Im Spiel des berühmten Schauspielers Alexander Moissi erkannten die Zuschauer "das Gespenst des Bolschewismus". Auf der Ebene dazwischen stand den ganzen Abend schaurig einsatzbereit der "in eine spanische Tracht gesteckte hagere Rippenmann", der Tod. Zuletzt bat er denn auch, elegant, aber unerbittlich, zum Totentanz:

"Du, der des Königs Rolle hat, tritt ab.
Dein Part ist ausgespielt
Geh von der Bühne."

Ursprünglich sollte "Das große Salzburger Welttheater" die ersten Salzburger Festspiele 1920 eröffnen. Max Reinhardt musste, weil das Stück nicht fertig war, auf Hofmannsthals Mysterienspiel "Jedermann" ausweichen, das er 1911 im preußisch-protestantischen Berlin uraufgeführt hatte. Erst im katholisch-barocken Salzburg auf dem Domplatz erlebte das Stück "Jedermann" seinen großen Erfolg. Alljährlich immer wieder bis heute. Im Vergleich zum stringenten "Jedermann", dem vor Gott zitierten Reichen mit all seinen Sünden und sogar seiner "Buhlschaft" auf der Bühne, steckte das "Welttheater" voller Schwächen, vor allem, was die Figur des Bettlers anging:

"Ihr habt und ich hab’ nichts
Ihr habt das ganze Erdenwesen
Das alles habt ihr und woher? Weil ihr’s gestohlen…"

Doch als der Bettler die Axt erhebt, um den Bauern zu erschlagen, kommt eine mysteriöse Erleuchtung über ihn. Aus dem zum Mord entschlossenen Mann wird in Sekundenschnelle ein frommer Büßer und Eremit. Fatal konservatives, reaktionäres Theater, urteilten Kritiker wie Karl Kraus:

"Es ist Bekehrung aus dem blauesten Himmel. Ein Wunder von des Dichters persönlichen Gnaden."

Max Reinhardts szenische Kunst glich aus. Vor allem mit dem Totentanz und dem pantomimischen Aufsteigen der wieder körperlos gewordenen Seelen zum Palast des "Meisters im Sternenmantel" begeisterte er das Publikum. 1924 inszenierte Max Reinhardt noch einmal neu das "Welttheater" zur Eröffnung des Salzburger Festspielhauses und ein weiteres Mal - vor gespenstisch aktuellem Hintergrund - 1933 in Berlin. In der Nacht, da der Reichstag brannte, fand die Generalprobe statt. Premiere war am 1. März. Eine Film-Einlage über abschreckenden Massenterror machte jetzt dem Publikum die Axtszene plausibel: Warum sich der Bettler vom Umstürzler zum frommen Eremiten wandelt. Acht Tage später saß Max Reinhardt, den Hut tief ins Gesicht gezogen, in einem Zugabteil - auf der Flucht aus Deutschland.