Mobilitätswende

Die Stadt der Zukunft ist flexibel

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Abstrakte Illustration eines Verkehrsstaus in urbaner Umgebung
Wenn die Rush Hour mal wieder das öffentliche Leben unter sich erdrückt: Die einseitig autogerechte Stadt war ein Irrweg, sagt Klaus Englert. © imago/Ikon Images/Guido Rosa
von Klaus Englert · 26.03.2020
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Für die Klimawende sind neue Formen der Mobilität nötig - insbesondere in den Städten. Doch mit emissionsfreien Fahrzeugen allein ist es nicht getan, meint der Journalist Klaus Englert. Auch die städtische Infrastruktur muss sich grundlegend wandeln.
Momentan sieht die Mobilitätswende auf deutschen Straßen noch düster aus, denn der Anteil der Elektroautos ist im Vergleich zur Gesamtzahl zugelassener Personenkraftwagen verschwindend gering: Von den 48 Millionen PKWs auf deutschen Straßen fahren gerade mal 136.000 mit Strom. Niemand weiß vorherzusagen, ob sich die Haushalte künftig nicht doch lieber ein schickes E-Auto als Zweit- oder Drittwagen leisten, was die CO2-Bilanz unterm Strich verschlechtern würde.
Das Ziel eines nachhaltigen Stadtverkehrs wird sich allerdings nur erreichen lassen, wenn sich auch die Rahmenbedingungen für die Mobilität in der Stadt grundlegend ändern. Gleichzeitig ist es wichtig, den Menschen die Angst zu nehmen, ihre individuelle Mobilität könnte dieser Transformation zum Opfer fallen. In einem rationalen Diskurs müssten Wissenschaftler, Politiker und Medien deutlich machen, dass die Menschen uneingeschränkt mobil bleiben werden. Denn Mobilitätswende heißt: Die traditionellen Verkehrsträger, die auf fossilen Brennstoffen beruhen, durch andere zu ersetzen.

Neue Rahmenbedingungen für die Mobilitätswende

Experten diskutieren bereits seit vielen Jahren, wie die Verkehrsform der Zukunft aussehen wird. Dabei zählt nicht nur die technische Herausforderung, sondern ein mutiger politischer Wille. Beispielsweise hat das "International Transport Forum" errechnet, dass sich in einer Stadt wie Lissabon der PKW-Anteil um 97 Prozent reduzieren lässt, wenn Privatfahrzeuge durch Sammelbusse und Sammeltaxis ersetzt werden. Durch die Maßnahme würden die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr um die Hälfte sinken, die CO²-Emissionen um ein Drittel reduziert und der öffentliche Raum von parkenden Autos befreit werden.
Daraus folgt: Wir brauchen neue Rahmenbedingungen für eine durchgreifende Mobilitätswende.

Die "autogerechte Stadt" - ein Irrweg

Diese Wende wird nicht einfach nur den Weg von der einst autogerecht konzipierten zur nun fußgängergerechten Stadt weisen. Diesem Ziel folgen schon heute bereits viele Städte, beispielsweise die Landeshauptstadt Düsseldorf, deren kriegszerstörter Stadtraum in den 1950er Jahren von einstigen NS-Technokraten als Chance ergriffen wurde, um Schneisen durch die Häuserzeilen für die kommende Autostadt zu schlagen.
Wo man Jahre zuvor die Synagoge niederbrannte, wurden plötzlich Parkplätze angelegt. Und am klassizistischen Hofgarten verwandelte man eine malerische Allee in einen hässlichen Verkehrsknotenpunkt. Damals setzten die Planer einseitig auf ihre Vision von der "autogerechten Stadt".
Diese Einseitigkeit war ein Irrweg.

Lebensqualität für alle

Neue Mobilitätsformen zu entwickeln bedeutet zukünftig, das Modell der fußgängergerechten Stadt neu zu erfinden - im Verein mit Verkehrsexperten, Architekten, Planern, Designern, Politikern und engagierten Bürgern. Und dabei die allgemeine Entschleunigung zur Priorität zu erheben. Anders lässt sich der immer knapper werdende Stadtraum für die sich rapide verändernden Verkehrsmittel nicht herstellen.
Es wird nicht ausreichen, die Verkehrswege weiterhin in Bürgersteige und Fahrstreifen für PKWs und Fahrräder zu unterteilen. Unsere zukünftigen Stadträume müssen flexibel konzipiert sein, um den unterschiedlichen Anforderungen für Fahrräder, E-Scooter, Sammelbusse sowie abrufbare und vielleicht autonome Autos genügend Raum zu bieten. Hinzu kommen die Transportmittel des Öffentlichen Nahverkehrs. Und es ist jetzt schon absehbar, dass sich der Luftraum in den Großstädten bevölkern wird – mit Flugtaxis, an deren Entwicklung intensiv geforscht wird.
Die Mobilitätswende verlangt vor allem flexible, anpassungsfähige Straßenräume für sämtliche Verkehrsteilnehmer. Nur eine Stadt im Wandel hin zu einer nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur wird Lebensqualität für alle garantieren können.

Klaus Englert ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für Zeitungen und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Zudem ist er als Kurator für Architektur-Ausstellungen tätig. 2019 ist bei Reclam sein aktuelles Buch erschienen: "Wie wir wohnen werden: Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen" (Reclam, 2019).

Klaus Englert steht im Freien vor grünen Bäumen und blickt in die Kamera.
© Quelle: privat
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