Mo Yan ist "in erster Linie Literat"

Tilman Spengler im Gespräch mit Susanne Burg · 12.10.2012
Man tue Literaturnobelpreisträger Mo Yan unrecht mit dem Vorwurf, er sei staatskonform, sagt der Sinologe und Schriftsteller Tilman Spengler. Auch wenn er nicht offen zum Kampf gegen die Partei aufrufe, sei es töricht, ihn "zu einem dressierten Äffchen der Staatspropaganda zu machen."
Susanne Burg: Mo Yan ist der erste chinesische Literaturnobelpreisträger, der in China lebt und arbeitet. Er ist etabliert, erfolgreich, zahlreiche Romane wurden auch ins Deutsche übersetzt, "Das rote Kornfeld" ist sogar verfilmt worden. Immer wieder musste sich Mo Yan gegen den Vorwurf wehren, nicht genug Distanz zum System zu wahren. Wie die Reaktionen auf den Literaturnobelpreis in China selber ausfielen und wie staatskonform oder doch gesellschaftskritisch Mo Yan ist, das will ich noch mal näher beleuchten mit einem ausgesprochenen Kenner der chinesischen Kultur und Politik, mit dem Sinologen und Schriftsteller Tilman Spengler. Ihn begrüße ich in einem Studio in München, guten Morgen, Herr Spengler!

Tilman Spengler: Guten Morgen, Frau Burg!

Burg: Ja, Sie haben sich über Nacht durch chinesische Blogs gewühlt. Auf welche Reaktionen sind Sie denn dort gestoßen?

Spengler: Nun gut, das sind die Reaktionen, die nicht ganz anders gelagert sind, glaube ich, als hier bei uns der Fall, oder gelagert wären. Das heißt, es gibt alles von Zustimmung und höhnischem Gelächter und von Freuden darüber, dass kein Japaner dieses Mal den Nobelpreis bekommen hat, sondern ein Chinese. Das ist eine ziemlich bunte Mischung und die ist etwa so repräsentativ, wie Blogs eben so sind: Man guckt da hinein, sieht viele Bilder und schaudert.

Burg: Was werfen die Kritiker ihm vor?

Spengler: Die Kritiker kann man ja auch auf den Begriff bringen, was Ai Weiwei gesagt hat: Die Kritiker sagen, das ist ein Schlag gegen die Humanität, dass man ausgerechnet einem Schriftsteller einen Preis bekommt, eben den Literaturnobelpreis, den erlesensten Preis für Literatur, der sich so nahe mit ... oder so eng mit dem Staatswesen eingelassen hat.

Burg: Dazu kommen wir dann noch. Mo Yan ist der erste chinesische Literaturnobelpreisträger, der in China lebt und arbeitet. Gleichzeitig ist das Verhältnis zwischen dem Nobelpreiskomitee und Chinas Regierung angespannt, seit der Dalai Lama 1989 und der Bürgerrechtler Liu Xiaobo 2010 die Friedensnobelpreise bekamen. Ist diese Wunde nun geschlossen?

Spengler: Ich glaube nicht. Weil die chinesische Führung ein fast poetisches Elefantengedächtnis für Kränkungen bewahrt, und ich glaube nicht, dass sie darüber zur Tagesordnung gehen würden. Also, sie werden den Fall Liu Xiaobo oder auch den Dalai Lama in eine ganz andere Schublade legen als das, was ehrenvollerweise mit Mo Yan passiert ist.

Burg: Mo Yans Reaktion auf den Nobelpreis war eher zurückhaltend: Er sagte, er sei überglücklich und erschrocken. Kann es sein, dass er ahnt, wie schwierig seine Situation jetzt ist, dass er nun auf der einen Seite noch mehr kritisiert und von Staatsseite vielleicht für sich vereinnahmt wird?

Spengler: Ich glaube, für ihn ist das sicherlich eher eine Art Schutzgürtel, der ihm da gewachsen ist. Und man hat es ja auch schon gesehen irgendwie, das war so ein kurzer Clip, den ich irgendwo auch herausgefischt habe. Mo Yan ist jetzt nach draußen gezogen, auf sein Dorf. Das macht er aber immer um diese Zeit, weil er um diese Zeit seine kreativste Zeit hat. Und das lokale Parteikomitee hat ihm ein Essen bereitet im Dorf und dann war er ganz verwundert, was für gutes Essen plötzlich im Dorf serviert wird, wenn nun das lokale Parteikomitee kommt!

Burg: Ja, so kann man es dann auch herunterbrechen, auf ganz basale Dinge. Sie selber haben Mo Yan 2009 getroffen, bei der Frankfurter Buchmesse, da war China Gastland der Buchmesse und Mo Yan war Vertreter der offiziellen Delegation. Sie saßen zusammen bei einem Symposium, da kam es bekanntlich zu einem Eklat, als sich die beiden Regimekritiker Dai Qing und Bei Ling äußerten: Die offizielle Delegation verließ den Saal, auch Mo Yan ging mit. Dafür wurde er von Dissidenten scharf kritisiert. Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht diesen Schritt?

Spengler: Das waren zwei unerfreuliche Tage. Das waren ja zwei Sitzungen insgesamt und man hatte ein bisschen so das Gefühl, dass hinter den armen Teufeln, die nun Schriftsteller sind im chinesischen Schriftstellerverband, wie eben Mo Yan auch, dass da so ein paar Parteibonzen mit außerordentlich glühenden Mistgabeln standen und die irgendwie vor sich hin getrieben haben. Es war am zweiten Tag etwas besser, da hat man dann angefangen, über Literatur zu reden. Und da ist natürlich dann die Verständigung sehr viel breiter und möglicher, als wenn man sich darüber unterhält, wie in China etwa mit Menschenrechtsgeschichten umgegangen wird.

Mo Yan hat da versucht, eine vermittelnde Rolle zu spielen, auch und innerhalb der chinesischen Schriftsteller, auch innerhalb derer, die nicht im Schriftstellerverband sind. Wie das dann letztlich weitergegangen ist, weiß ich nicht, aber an dem Abend, an dem die Chinesen, also der chinesische Schriftstellerverband dann eingeladen hatte, da ging es dann sogar relativ witzig und entspannt zu.

Burg: Mo Yan selber gilt als schweigsam, still, zurückgezogen. Der Schweizer Verleger Lucien Leitess beschreibt ihn als bescheidenen, knochigen, uneitlen Mann, der sich von politischen Diskussionen fernhält. Wie haben Sie ihn erlebt?

Spengler: Vielleicht spricht er nicht so gut Chinesisch, der Schweizer Verleger. Also, ich hatte ihn nicht als einen richtig schweigsamen Menschen, sondern eher als jemand, der sehr gerne auf eine etwas bauernhafte Art und Weise Geschichten erzählt und auch Anekdoten aus dem Dorf und aus seiner Umgebung und bisweilen auch aus dem Leben eines der Partei angehörigen Schriftstellers. Also, das fand ich eher locker.

Er ist natürlich, er hält sich aus dezidierten politischen Sachen weitestgehend raus. Nicht vollkommen, er hat selber schon Erfahrung mit der Zensur gemacht bei einer seiner Geschichten, die er veröffentlicht hat oder veröffentlichen wollte, das waren die "Knoblauchballaden" (Anm. d. Red: englisch "The Garlic Ballads", deutsch "Die Knoblauchrevolte"), als er eben ganz bestimmte Themen aufgriff, die der Partei überhaupt nicht gefallen. Das wäre etwa die Frage der Ein-Kind-Ehe. Das ist höflich jetzt so gesagt, es geht nicht um Ein-Kind-Ehen, sondern es geht um erzwungene Abtreibung. Da hat er sehr dezidiert Stellung bezogen, weil das natürlich auch gerade für ihn als einen Menschen, der vom Lande kommt, eben aus dieser Provinz Shandong kommt, ein zentrales Thema ist. Und da hat ihm die Partei schon mal das eine oder andere Mal die Folterwerkzeuge gezeigt.

Burg: Der Sinologe und Schriftsteller Tilman Spengler ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über den neuen Literaturnobelpreisträger Mo Yan. Herr Spengler, kommen wir noch mal zu diesem Buch, das Sie eben erwähnten, der "Frosch", wo er sich mit der Ein-Kind-Politik auseinandersetzt: Im Zentrum steht eine Geburtenärztin auf dem Lande, sie steht im Konflikt zwischen ihrer Treue, die Staatspolitik der Geburtenkontrolle durchzusetzen, und dem Wert des einzelnen Lebens. Mo Yan sagt, er habe teilweise absurde Szenen benutzt, um heikle Probleme ansprechen zu können. Das heißt, er beleuchtet ja durchaus kritische Themen. Wie kritisch ist er denn? Tut man ihm also eigentlich unrecht mit dem Vorwurf, er sei staatskonform?

Spengler: Also, da tut man ihm sicherlich unrecht mit, und das halte ich auch für eine Diskussion, die man da ein bisschen raushalten soll. Weil, es geht da doch ein wenig verloren, dass der Mensch in erster Linie Literat ist. Also, der schreibt in erster Linie, beschreibt einen Teil oder okkupiert einen Teil der chinesischen Gegenwartsliteratur, und das ist wichtig und das ist natürlich kein ... Das ist nicht das Knäckebrot der Staatspropaganda, das wäre ein unsinniger Eindruck. So weit zu dem einen.

Zum anderen ist, er zieht eine, wie der amerikanische Literaturwissenschaftler Howard Goldblatt gesagt hat, er tanzt auf einem ganz, ganz engen Seil. Das versetzt laufend Stiche, aber immer nur so Stiche, wo die Partei dann sagen würde: Ihn jetzt zum Märtyrer zu machen, das wäre nun doch zu arg, das würde nun wirklich zu großes Aufsehen erregen.

Das heißt, er hat eben in diesen sozialrelevanten Fragen, wie das, was Sie gerade angesprochen haben, Frau Burg, eben, das ist ja mehr als nur die Frage "ein Kind", sondern das ist die Frage, das plötzlich Ärzteteams durch das Dorf kommen und Abtreibungen praktisch faktisch zwanghaft organisieren, dass Leute aus dem Dorf, wenn sie ein zweites Kind haben, müssen enorme Abgaben oder Steuern, also Korruption praktisch bezahlen müssen, damit sie die Familie intakt. Das spielt dann noch hinein in die Rolle der Frau, also, ob man jetzt ein Mädchen oder einen Buben kriegt und so weiter, und so weiter. Das heißt, das ganze soziale Panorama oder einen großen Teil des sozialen Panoramas können Sie an dieser Frage der Ein-Kind-Politik, der Abtreibungspolitik aufreißen. Und das hat Mo Yan gemacht und da hat natürlich die Partei schon arge Bauchschmerzen bekommen.

Burg: Würden Sie denn so weit gehen, ihn als Gesellschaftskritiker zu bezeichnen?

Spengler: Oh Gott, machen Sie es mir leichter! Ich würde einfach sagen, er ist ein Romancier, der sehr genau hinschaut, wie sich diese Dinge tatsächlich in bestimmten Bereichen der Gesellschaft bewegen. Er ist nicht jemand, der aufruft zum Kampf gegen die Partei, Sie haben kein Wort von ihm gehört eben zum Fall Liu Xiaobo, also, dem anderen Nobelpreisträger. Oder Sie haben auch nach Tian’anmen nicht so richtig, also nach dem niedergeschlagenen Studentenaufstand und Arbeiteraufstand und was es auch immer war, haben Sie ihn auch nicht irgendwie auf der Seite der Dissidenten gefunden. Das ist alles wohl wahr. Aber ihn deswegen eben wie gesagt so zu einem dressierten Äffchen der Staatspropaganda zu machen, das ist törichtes Zeug.

Burg: Man könnte ja auch sagen, er ist eigentlich ganz schlau, er weiß, wie weit er gehen kann und trotzdem seine Kritik gut zu verpacken.

Spengler: Da haben Sie völlig recht, man darf das Wort Bauernschläue hier sehr positiv verwenden, ja.

Burg: Die Romane, so ist zu lesen, wurden im Laufe der Zeit immer märchenhafter. Ist auch das eine Methode, sich vielleicht unangreifbar zu machen?

Spengler: Gut, ja, das ist natürlich so, so kann man es sehen, wenn man es politisch sieht. Aber ich glaube, da ich ja selber ein bisschen Schriftsteller auch bin, ich würde auch nicht sozusagen auf den ... auf meinem Anfangs ... , wenn man es denn -erfolg nennen will, so herumreiten, dass ich mein Leben lang harte, bitterste Sozialkritik unter Klassengesichtspunkten zu meinem literarischen Programm machen würde. Also, der gönnt sich dann auch schon ein bisschen Ausflüge in ein anderes, in das andere Reich der Fantasie. Und außerdem ist es bei ihm ... Das Schreiben müssen Sie sich so vorstellen, das ist bei ihm unglaublich vulkanisch. Also, der hat, der schreibt in einem Tempo, in einem Umfang, wo andere Leute sozusagen olympisch beeindruckt, demütig den Hut ziehen.

Burg: Kein Buch ist unter 500 Seiten oder so.

Spengler: In der Tat, jawohl. Und alles innerhalb von, weiß jetzt nicht, drei Wochen geschrieben und ohne Sauerstoffmaske.

Burg: Tilman Spengler über den neuen Literaturnobelpreisträger Mo Yan. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Spengler!

Spengler: Frau Burg, schönen Gruß nach Berlin!

Burg: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Tilman Spengler© dpa / picture alliance / Horst Galuschka
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