"Mit Sicherheit hat sich das Interesse am Islam verändert"

Armin Laschet im Gespräch mit Katrin Heise · 12.09.2011
Der CDU-Politiker und Ex-NRW-Integrationsminister, Armin Laschet, glaubt, dass nach 9/11 die Auseinandersetzung mit dem Islam an Dramatik gewonnen habe. Das gesteigerte Interesse habe letztlich auch dazu geführt, zwischen Muslimen und Islamisten zu unterscheiden und den Islam als Teil der Gesellschaft anzuerkennen.
Katrin Heise: Die Beschäftigung mit dem Islam in Deutschland seit dem 11. September 2001, das ist unser Thema jetzt. Erst mal muss sicherlich festgestellt werden, dass die Muslime in Deutschland nach den Anschlägen von New York mit einer stärkeren Diskriminierung aufgrund ihres Glaubens konfrontiert wurden – auch nicht nur in Deutschland, weltweit eigentlich. Sie begegneten Misstrauen und Terrorangst, in die sie automatisch als Gefahr mit eingeschlossen wurden, jeder einzelne. Soziale Probleme und Spannungen wurden und werden immer wieder mit religiösen Differenzen vermengt.

Andererseits erleben wir aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Islam in Deutschland, die sich so vor zehn Jahren wahrscheinlich niemand hat vorstellen können – angefangen mit regelmäßigen Islamkonferenzen der Regierung bis hin zur Ausbildung islamischer Lehrer und Imame an deutschen Universitäten.

Ich begrüße am Telefon Armin Laschet, CDU-Vorstandsmitglied, und er war zwischen 2005 und 2010 Integrationsminister Nordrhein-Westfalens. Schönen guten Tag, Herr Laschet!

Armin Laschet: Guten Tag!

Heise: Hätten Sie es sich vor etwas mehr als zehn Jahren vorstellen können, dass sich ein CDU-Innenminister mit diversen Vertretern des Islam in Deutschland an einen Tisch setzt zum Austausch, zur Diskussion?

Laschet: Also ich hätte mir das bei keinem Innenminister vor zehn Jahren in der Form vorstellen können. Aber das ist, glaube ich, kein Ergebnis des 11. September, sondern das ist einfach die gewachsene Realität, dass nach 50 Anwerbeabkommen, das wir ja in diesem Jahr feiern mit der Türkei, der Islam Teil der Gesellschaft ist, dass viele Muslime im Lande leben, dass sie auf Dauer hierbleiben, und dass sich daraus die Notwendigkeit ergeben hat, auch zu überlegen: Wie kann man denn dieses Verhältnis zwischen Staat und Religion, das wir mit den christlichen Kirchen in den Konkordaten einmal staatsvertraglich geregelt haben, wie kann man das auch mit dem Islam regeln? Ich glaube, das Thema wäre ohnehin gekommen, aber es hat dadurch natürlich an Dramatik gewonnen.

Heise: In den Jahrzehnten davor, weil Sie jetzt so sagen, das wäre sowieso gekommen, ich meine, in den Jahrzehnten davor, ja, Sie haben ja die lange Geschichte genannt, 50 Jahre, hat es natürlich auch Moscheen und Moscheevereine gegeben, in den Hinterhöfen und alten Fabriketagen nämlich, und nicht große Gebäude. Die Mehrheitsbevölkerung hat sich nicht dafür interessiert. Meinen Sie nicht doch, dass durch die ganze Berichterstattung schon allein über deutsche Muslime, die sich ja vervielfacht hat, sich das Interesse der Bevölkerung diesem Thema überhaupt erst mal so richtig zugewendet hat?

Laschet: Also, mit Sicherheit hat sich das Interesse am Islam verändert, es hat eine Differenzierung gegeben, was sind Islamisten und was ist eigentlich Islam, wo liegt eigentlich der Unterschied?

Heise: Wobei wir da noch sehr dran arbeiten müssen.

Laschet: Ja, das ist wahr aber ich meine, zu dem Opfern des 11. September gehören auch Muslime, denn natürlich haben im World Trade Center nicht nur Christen gearbeitet. Da haben Menschen aller Kulturen und Religionen gearbeitet. Und andererseits, in unserer Bundeswehr sind heute junge Wehrpflichtige, die deutsche Staatsbürger sind, die den muslimischen Glauben haben und die in Afghanistan quasi mit für unsere Freiheit kämpfen. Also, das ist alles nicht eine so einfach einsortierbare religiöse Frage. Und wir haben in der Tat die von ihnen erwähnten Moscheen in Hinterhöfen gehabt, die hat aber niemand gesehen.

Und jetzt sagen Muslime: Wir sind auf Dauer Teil des Landes und bauen schönere Gotteshäuser, und die sieht man dann plötzlich: In Duisburg, in Köln, an vielen Orten in ganz Deutschland. Und so wird der Islam sichtbar. Da war er immer schon, aber wir nehmen ihn heute anders wahr.

Heise: Ja, und kritisieren ihn ja durchaus, also, weil diese Moscheen werden ja nicht überall und jederzeit begrüßt und schön gefunden, sondern es wird dagegen demonstriert, es wird dagegen polemisiert. Aber eine kritische Auseinandersetzung ist immerhin eine Auseinandersetzung, kann man ja auch so sehen.

Laschet: Ja, das ist auch zunächst nichts Schlimmes. Religionen müssen sich auch kritisieren lassen. Wenn in wenigen Tagen der Papst nach Deutschland kommt, werden sie auch Demonstrationen erleben von bestimmten Gruppen, die dagegen sind – das muss man einer Religion auch abverlangen, dass sie sich dieser Auseinandersetzung stellt. Was nicht geht, ist, dass man gegen eine bestimmte Religion Ängste schürt und eine bestimmte Religion diskriminiert. Und da gibt es manche – aber die sind eher aus dem extremen Spektrum –, die das insbesondere mit dem Islam sich zum Ziel gesetzt haben.

Heise: Die Muslime waren ja auch durch die Anfeindung und das Misstrauen sehr stark gefordert, sich zu positionieren. Das kann man auch kritisieren, weil das immer was mit Generalsverdacht zu tun hat, aber andererseits ist natürlich dadurch im Lager der europäischen Muslime – wenn man davon reden kann – ja auch eine ganze Menge in Bewegung geraten, oder wie beobachten Sie das?

Laschet: Das beobachte ich auch so. Wir haben muslimische Verbände, die sich eindeutiger als vielleicht früher auch vom Terrorismus distanzieren – das haben sie früher nicht gemusst, aber durch die öffentliche Debatte sind sie auch selbst dazu gebracht worden, einmal zu differenzieren: Hat das eigentlich etwas mit Islam zu tun, was Mohammed Atta oder Osama bin Laden oder andere da tun, und darüber hinaus haben wir in der gesamten Weltpolitik natürlich islamische Länder, wo Menschenrechte immer noch missachtet werden, aber auch da – merken wir ja im Moment beim arabischen Frühling – auch da bricht etwas auf.

Viele Muslime, gerade die in Deutschland, wollen den pluralistischen Staat, wollen die Vielfalt, wollen die Moderne, und die sind in Auseinandersetzung mit manchen Fundamentalisten, sodass wir auch eine innerislamische Bewegung im Moment erleben.

Heise: Armin Laschet von der CDU zur deutschen Auseinandersetzung mit dem Islam. Herr Laschet, wie werten Sie denn beispielsweise die angestrebte Ausbildung islamischer Lehrer und Imame an deutschen Universitäten.

Laschet: Ja, das ist ein solch wichtiger Schritt, der eben klar macht, wenn wir für muslimische Kinder auch Religionsunterricht in den Schulen haben wollen – nicht in den Hinterhöfen, nicht von irgendwelchen Menschen, die in einer fremden Sprache da etwas vermitteln, wo wir gar nicht wissen, was wird den Kindern eigentlich vermittelt, sondern in der Schule, in deutscher Sprache, unter deutscher Schulaufsicht und von in Deutschland ausgebildeten Lehrern - ja, dann muss man auch die Lehrstühle haben, wo man diese Lehrer ausbildet.

Und es ist ein Fortschritt, wenn junge, hier geborene Muslime selbst an einer deutschen Universität Islam studieren, als wenn irgendwo aus der Welt aus fernen Ländern jemand hergeschickt wird, der den Kindern dann etwas beibringt, von dem wir nicht wissen, was es ist. Also, ich glaube, dass das ein Fortschritt ist, das muss wachsen ...

Heise: Da muss natürlich dann – genau, es muss wachsen, da müssen dann nämlich auch die muslimischen Eltern das Vertrauen in diese Lehrer haben.

Laschet: Das ist wahr, die Eltern haben das vielleicht. Aber die Verbände haben vielleicht manchmal auch noch eine andere Politik im Kopf, und das ist ein mühsamer Prozess. Aber das hat bei den christlichen Kirchen auch gedauert. Ich erinnere mich – na ja, ich erinnere mich nicht persönlich, aber wir wissen, dass nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 Bismarck eine Politik beispielsweise gegen die Katholiken gemacht hat.

Er hat gesagt: Das sind eigentlich keine richtigen Deutschen! Die hören auf den Papst, auf eine fremde Macht, aber gehören gar nicht zu uns. Und es hat 50 Jahre gedauert, ehe man dann in der Weimarer Republik endlich das Verhältnis Staat – Religion geklärt hat, und das gleiche brauchen wir jetzt mit dem Islam, nach Regeln unseres Grundgesetzes, aber in Anerkennung der Religionsfreiheit.

Heise: Brauchen wir Ihrer Meinung nach eine Art Masterplan zum Islam in Deutschland?

Laschet: Nein, das wird man, glaube ich, nicht so hinkriegen. Wir haben ja auch die Vielfalt, dass diese Fragen in der Zuständigkeit der Länder sind. Das ist gar nicht der Bund, der das organisieren kann, sondern die Frage Religionsuntersicht beispielsweise, Universitätsausbildung, das müssen die Länder machen. Und mein Eindruck ist – und in den Ländern haben Sie unterschiedlich Muslime vertreten. In den östlichen Ländern haben sie relativ wenige Muslime, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen, Baden-Württemberg oder Bayern gibt es durch die städtischen Strukturen mehr Muslime, und da muss jedes Land für sich eine Antwort finden. Und mein Eindruck ist auch, alle tun das mit großem Nachdruck.

Heise: Was sind trotzdem die wichtigsten Aufgaben, die Sie sehen würden?

Laschet: Man muss, glaube ich, noch einmal differenzieren: Das eine ist: Was tun wir mit der Religion? Wie kann man es ermöglichen, dass beispielsweise auch in der Altenpflege – früher gingen viele Muslime, Gastarbeiter, wie sie früher hießen, nach der Rente in den Ruhestand zurück in die Heimat, heute bleiben sie bei ihren Kindern und Familien. Unsere Altenheime, Pflegeeinrichtungen sind darauf aber bisher noch gar nicht eingerichtet. Ich weiß, dass die Wohlfahrtsverbände hier sehr viel tun, um auch gerade im Alter Menschen nach ihrer Religion gerecht zu werden. Das ist der eine Teil, diese Religionsfrage.

Aber die Integrationsfrage, die hat nichts mit Religion zu tun, das ist eine Bildungsfrage, eine soziale Frage, und da ist auch mein Eindruck: Alle wissen, wir sind eine älter werdende Gesellschaft. 40 Prozent der Kinder im Lande haben eine Zuwanderungsgeschichte, und jeder von denen wird gebraucht. Und deshalb ist diese Bildungsanstrengung, die Aufstiegsmöglichkeit unabhängig von der Herkunft der Eltern die wichtige Frage, die wir uns als Land vornehmen müssen, weil wir ansonsten auch im demografischen Wandel nicht mehr die Potenziale haben, die wir brauchen.

Heise: Sagt Armin Laschet, CDU-Vorstandsmitglied und ehemaliger Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, zum deutschen Umgang mit dem Islam. Herr Laschet, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!

Laschet: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema auf dradio.de:
Sammelportal 9/11 - Zehn Jahre danach
Themenportal Integrationsdebatte