Mit Migranten gegen den Ärztemangel

Regina Weiz im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 10.03.2009
In Brandenburg besteht akuter Ärztemangel, vor allem in ländlichen Gebieten. Um die Lücken zu schließen, hilft das Land Brandenburg nun zugewanderten Ärzten aus der ehemaligen Sowjetunion, in Deutschland in ihren Beruf wieder einzusteigen. Die Teilnehmer der Schulung seien hoch motiviert gewesen und von den Patienten gut angenommen worden, berichtet die Projektkoordinatorin Regina Weiz.
Liane von Billerbeck: Es besteht also akuter Ärztebedarf. Und bei uns im Studio ist jetzt Regina Weiz, die für die Otto-Benecke-Stiftung dieses Projekt in Brandenburg koordiniert hat. Ich grüße Sie!

Regina Weiz: Guten Tag!

von Billerbeck: Ihre Stiftung hat ja schon vorher qualifizierende Kurse für Migranten angeboten, die allerdings an strenge Bedingungen geknüpft waren, wie zum Beispiel Alter oder Aufenthaltsdauer. Bei dem jetzigen Brandenburger Modellprojekt, da ist das ein bisschen anders. Die Teilnehmer, die leben teilweise schon lange in Deutschland, sind auch nicht unbedingt mehr die Jüngsten, und als Koordinatorin kennen Sie alle Teilnehmer dieses Projektes. Wie ist das, ging es allen Teilnehmern so wie der Frau in diesem Beitrag, den wir eben gehört haben?

Weiz: Ja, zum Teil ging es ihnen ebenso, zum Teil sind einige nicht so lange in Deutschland wie Frau Fomenko, aber insgesamt haben sie die unterschiedlichsten Schicksale und haben alle bisher vergeblich versucht, in ihrem Beruf einzusteigen.

von Billerbeck: Welche Hürden mussten denn die Spätaussiedler und jüdischen Emigranten überwinden, um an diesem Projekt teilzunehmen, um da überhaupt hinzukommen?

Weiz: Das Land Brandenburg hat dieses Projekt organisiert, und man hat diese Ärzte gesucht über die Arbeitsagenturen. Zum Teil waren sie uns auch schon bekannt. Und man konnte wegen vorher genannter Beschränkungen sie bisher nicht fördern oder sie unterstützen bei ihrer Eingliederung in Deutschland. Und so haben sie sich zum Teil wie Frau Fomenko auch bei uns selbst gemeldet, indem sie über Bekannte erfahren haben, dass es dieses Projekt geben wird.

von Billerbeck: Welche Inhalte hat denn dieser Kurs gehabt? Zehn Monate eine Anpassungsförderung quasi für Ärzte, die ja ausgebildete Ärzte sind, studierte Mediziner, aber eben lange nicht in ihrem Beruf gearbeitet haben.

Weiz: In Deutschland muss man, wenn man aus der ehemaligen Sowjetunion kommt oder aus diesen Ländern, Kasachstan, Usbekistan usw., muss man eine Gleichwertigkeitsprüfung ablegen, um selbstständig als Arzt arbeiten zu können. Und um diese Prüfung abzulegen, die in den Fächern Chirurgie und Innere Medizin prüft, braucht man eine Vorbereitung. Das ist aufgrund der Unterschiede, aufgrund sprachlicher Voraussetzung nicht so leicht möglich. Und wir haben in diesem Projekt in den zehn Monaten einen dreimonatigen Fachsprachkurs angeboten, danach vier Monate Praktikum in Kliniken in Brandenburg und zum Abschluss drei Monate Vorbereitung auf die Gleichwertigkeitsprüfung, und die wurde durch Ärzte und Dozenten durchgeführt.

von Billerbeck: Das klingt sehr wenig, zehn Monate. Reichen diese zehn Monate aus, um da möglicherweise eine relativ lange Zeit zu überbrücken, die man ja nicht in dem Beruf gearbeitet hat?

Weiz: Das ist richtig. Aber unsere Ärzte waren hoch motiviert, das Land Brandenburg hat die Mittel für diese Zeit gegeben. Aber das Ergebnis hat gezeigt, dass es sich gelohnt hat und dass es möglich ist - wenn auch mit höchsten Anstrengungen aller Beteiligten.

von Billerbeck: Sind denn eigentlich diese Ausbildungen, diese unterschiedlichen Ausbildungen, beispielsweise in Turkmenistan oder Kasachstan, mit dem deutschen System der Medizinerausbildung kompatibel, also sowohl inhaltlich als auch mit dem technischen Entwicklungsstand?

Weiz: Nach Aussage unserer Ärzte haben sie technisch noch Defizite gehabt, bevor sie mit diesem Projekt begonnen haben. Und sie konnten diese Defizite zum Teil ausgleichen während der Praktikumsphase, aber ansonsten sind die Diplome ja ... Sie sind Ärzte, sie haben zum Teil gearbeitet über viele Jahre dort und haben natürlich vollständig identische medizinische Kenntnisse. Sie haben ein Hochschulstudium abgeschlossen, das ja im Prinzip auch anerkannt ist, aber aufgrund der Unterschiede in rechtlichen Fragen, in technischen Fragen usw. muss eben diese Prüfung in Deutschland noch mal abgelegt werden.

von Billerbeck: Bei dem Verhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und ihren Patienten, da spielt ja ein Begriff eine ganz große Rolle, nämlich der des Vertrauens. Wie reagieren denn die Patienten in Brandenburg, wenn da plötzlich ein russischer Arzt, eine russische Ärztin vor ihnen steht?

Weiz: Ich habe meine Ärzte zum Teil im Praktikum besucht und habe dort die Erfahrung gemacht, dass die Patienten die wenigsten Probleme damit haben. Es kommt darauf an, wie ein Mensch auftritt, ob er engagiert ist, ob er medizinische Kenntnisse hat, und die kleinen sprachlichen Barrieren sind dann schnell vergessen.

von Billerbeck: Sind denn die Absolventen nach dieser Gleichwertigkeitsprüfung - so ein merkwürdiges Wort, wenn man es genau nimmt - nach dieser Gleichwertigkeitsprüfung auch in der Lage, sich später als Ärzte niederzulassen? Denn wir haben ja aus dem Beitrag eben gehört, dass Frau Fomenko jetzt als Assistenzärztin erst mal arbeiten wird.

Weiz: Ja, diese Gleichwertigkeitsprüfung heißt zunächst einmal, dass sie diesen Stand erreicht haben. Sie können jetzt sich als Assistenzärzte bewerben. Die fachärztlichen Kenntnisse, die sie schon haben, sind zunächst hier auch nicht vollständig anerkannt, sie müssen sich jetzt noch einer Facharztausbildung stellen.

von Billerbeck: Wie schwierig ist denn das für die vielen Aussiedler gewesen, die Sie da qualifiziert haben, so von der Mentalität her, auch von der Hürde, die da aufgebaut ist? Wie anstrengend war das, diese zehn Monate durchzustehen?

Weiz: Ach, das war schon anstrengend, da gab's auch hin und wieder den einen, der mal ein bisschen schlappgemacht hat, aber die Gruppe insgesamt hat gut zusammengehalten. Wir haben sie alle unterstützt, die Otto-Benecke-Stiftung, und letztlich zeigt das Ergebnis ja, es hat funktioniert, sie haben es alle geschafft.

von Billerbeck: Ich habe gehört, diese zehn Monate kosten pro Kurs, also pro Teilnehmer, 150.000 Euro, die also zum Teil vom Land Brandenburg, zum Teil auch von der Europäischen Union gekommen sind. Da stellt sich die Frage - die Frau, die wir eben im Beitrag gehört haben, war 51 Jahre alt, das ist ja eine große Investition, 150.000 Euro: Lohnt sich die Investition für das Land Brandenburg, wenn so ein Arzt, so eine Ärztin ja gar nicht mehr so lange arbeiten kann?

Weiz: Ich denke schon, dass das eine gute Investition ist, denn wenn man sich wirklich die Situation im Land Brandenburg anguckt, ist sie nicht sehr gut. Es gibt wirklich fehlende Arztstellen, und sie werden einen kleinen, sicher kleinen Beitrag dazu leisten können, um diese Lücken zu schließen.

von Billerbeck: Unterschiede gibt es ja in der Bezahlung auch der Ärzte. Die Ärzte in Brandenburg wie in allen ostdeutschen Ländern werden schlechter bezahlt als die in den alten Ländern. Ist das möglicherweise auch, ja, ein Anreiz für die Ärzte, die Sie jetzt gerade dabei sind auszubilden, dann möglicherweise das Land zu verlassen, um anderswo mehr Geld zu verdienen?

Weiz: Nein, glaube ich nicht. Sie haben so eine Mentalität entdeckt, dass es auch - mir scheint es so - eine gewisse Dankbarkeit gibt. Zum Beispiel unsere genannte Frau Fomenko am Anfang des Beitrages, sie hat eine Stelle gefunden im Land Brandenburg endlich, wobei sie vorher schon Zusagen aus anderen Bundesländern hatte, aus westlichen Bundesländern, und hat gesagt: Nein, jetzt bin ich nach Brandenburg gekommen, bin ich einmal umgezogen, jetzt will ich nicht mehr von Brandenburg weg.

von Billerbeck: Dieses Projekt ist ein Pilotprojekt. Das heißt, es wird zwar in Brandenburg durchgeführt, weil der strukturelle Ärztemangel gerade in den ländlichen Regionen in Brandenburg besonders groß ist, aber es kann ja auch heißen, dass andere Regionen, andere Bundesländer davon profitieren. Haben Sie da schon Anfragen, gibt es da Interesse für dieses Projekt?

Weiz: Interesse haben wir die ganze Zeit für dieses Projekt gehabt, und mir ist auch bekannt, da die Otto-Benecke-Stiftung sich ja noch mit anderen Bundesländern befasst - also die Otto-Benecke-Stiftung in Berlin ist für Sachsen-Anhalt auch zuständig, für Sachsen, zum Teil für Thüringen -, und man hört auch aus anderen Bundesländern, dass ein Ärztemangel zum Teil vorhanden ist, und es hat Interesse gefunden. Aber bekannt ist mir nichts, dass es dort Nachfolgeprojekte jetzt im Moment geben wird.

von Billerbeck: Jetzt sind die Ärzte fürs Erste fertig, aber sie müssen ja jetzt noch die Facharztprüfung ablegen, wenn sie sich denn beispielsweise als Ärzte niederlassen wollen. Werden Sie diesen Prozess auch weiter begleiten?

Weiz: Ja, das Ministerium in Brandenburg hat jetzt ein Nachfolgeprojekt gestartet seit dem 1. März 2009, es wird wieder bis zum 31.12. laufen. Dieses Nachfolgeprojekt wird für diese Ärzte, die jetzt die Prüfung bestanden haben, und auch diejenigen, die sie noch nicht bestanden haben, durchgeführt. Sie werden begleitet auf ihrem Weg - die einen, die bestanden haben, auf ihrem Weg in den Beruf, das heißt Arbeitsplatzsuche, Begleitung dann während der ersten Arbeitsstelle, Vorbereitung eventuell oder Unterstützung bei der Suche nach Weiterbildungsmaßnahmen, Vorbereitung eventuell auf Facharztausbildung.

Und diejenigen, die noch nicht bestanden haben, die werden wir motivieren, die Prüfung zu wiederholen - man kann diese Prüfung wiederholen -, bzw. eine Alternative finden. Wenn man jemand sagt, also ich glaube, ich mache das jetzt nicht mehr wegen des Alters oder irgendwelcher Probleme, dann werden wir Alternativen suchen, um für sie eine Arbeit vielleicht auch im Gesundheitsbereich finden zu können.

von Billerbeck: Regina Weiz von der Otto-Benecke-Stiftung war meine Gesprächspartnerin, die sich um die Koordination eines Projektes gekümmert hat, mit dem es Ärzten, die als Spätaussiedler oder jüdische Migranten nach Deutschland gekommen sind, ermöglicht werden soll, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten.
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