Mit einer PS von Berlin nach Paris

02.04.2008
Ein Berliner Droschkenkutscher auf großer Fahrt: Gustav Hartmann machte sich in den 20er Jahren mit seiner von einem Pferd gezogenen Kutsche auf die Reise nach Paris und wurde zur Symbolfigur der Völkerverständigung. Er wurde damit ein Medienstar und seine Geschichte verfilmt. Nun erscheint ein Porträt des "Eisernen Gustavs".
""Was sollen Völker mit Genies?
Wir Völker wollen Gustavs haben,
Die langsam, aber sicher traben!" (Erich Kästner)"

Er gehört zu den Berliner Originalen wie der Hauptmann von Köpenick oder der Maler Zille, der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann, besser bekannt als "der Eiserne Gustav", - wobei übrigens alle drei eigentlich Zugereiste waren; Hartmann kam ursprünglich aus Magdeburg. Der Schriftsteller Hans Fallada verewigte den "Eisernen Gustav" in einem Roman gleichen Namens, und Heinz Rühmann und Gustav Knuth verkörperten ihn in Film und TV.

Zum Medienstar allerdings wurde Gustav Hartmann, "der Eiserne Gustav", schon 1928. Am 2. April 1928 realisierte er einen skurrilen Plan: 68 Jahre alt, setzte sich der Berliner Fuhrunternehmer und Taxi-Droschkenkutscher auf seinen Kutschbock und brach mit einer PS nach Paris auf. Die Gründe dafür waren eine Wette in seiner Stammkneipe, Fernweh und die Hoffnung, die Reise unterwegs mit dem Verkauf von Autogramm-Postkarten finanzieren zu können.

Sechs Monate später kehrte er als gefeierter Medienstar zurück. Hartmanns Leben und dessen Rezeption beschreibt nun bis in die kleinsten Facetten Gunnar Müller-Waldeck in seiner Hartmann-Biographie "Der Eiserne Gustav - Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann".

Der erste Weltkrieg war vorbei, die Medienwelt globalisiert und die 20er Jahre hungrig nach Schlagzeilen, Sensationen und Rekorden: Charles Lindberg überquerte 1927 den Atlantik, und ein Wiener Physiker hielt gar einen Mondflug für möglich. Praktisch als nostalgisches Gegenprogramm dazu, in einer mittlerweile vollkommen motorisierten Autowelt, setzte sich Gustav Hartmann auf seine Kutsche und fuhr nach Paris.

Zum Medienstar wurde er durch einen jungen Berliner Reporter, der "live" berichtete. Der schwiemelige Droschkenkutscher, der kaum lesen und schreiben konnte, avancierte zu einer gefeierten Symbolfigur der Völkerverständigung; auch beim "Erzfeind" Frankreich wurde "der Eiserne Gustav" zum Volkshelden.

Die tatsächlich heile Welt der "Friedenstaube" Gustav Hartmann verlegte der Schriftsteller Hans Fallada 1938 in seinem Roman "Der Eiserne Gustav" ins Zuhältermilieu und machte Hartmanns Töchter zu Prostituieren, - eine Auftragsarbeit für die Nazis, ein Schandfleck deutscher Literaturgeschichte. Noch schändlicher fast, dass ein ARD-Mehrteiler mit Gustav Knuth 1978 der Fallada-Vorlage folgte. Authentisch und liebevoll ist eine Verfilmung mit Heinz Rühmann aus dem Jahr 1958.

Man trete ein in diese Biographie wie in ein Museum und treffe Nachkommen des "Eisernen Gustav"; Gunnar Müller-Waldecks "Der Eiserne Gustav - Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann" bietet neben Biographie und Zeitporträt auch Interviews, zahlreiche Fotos, Dokumenten-Faksimiles, literarische Texte von Wolfgang Koeppen, Ernst Toller, Clara Viebig und Erich Kästner.

Ein sehr liebenswertes Buch über einen liebenswerten deutschen Pazifisten, der es verdient hätte, eine Briefmarke zu zieren; auf seiner Kutsche wehte stets die schwarzrotgoldene Fahne der deutschen Demokratie. Vielleicht wird´s nächstes Jahr was mit der Briefmarke, dann wird der "Eiserne Gustav" 150.

Rezensiert von Lutz Bunk

Gunnar Müller-Waldeck: Der Eiserne Gustav - Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann
Das Neue Berlin, Berlin 2008
272 Seiten. 14,90 EUR