"Mit der Wahrheit hat das dann nicht mehr viel zu tun"

Janusz Tycner im Gespräch mit Britta Bürger · 23.04.2009
In dem Film "Defiance" feiert Hollywood die Bielski-Brüder als Helden, während Polen um die Rolle der jüdischen Widerstandskämpfer streitet. Der Film stelle "heroisierend eine Wirklichkeit dar, die es nicht gab", sagte der Publizist Janusz Tycner zu dem umstrittenen Film.
Britta Bürger: "Defiance", polnische Geschichte aus der Perspektive Hollywoods. Im Studio begrüße ich den Publizisten Janusz Tycner, der die heftige Debatte über den Film in den polnischen Medien verfolgt hat. Dort haben sich nicht nur Filmkritiker, sondern vor allem auch Historiker dazu geäußert.

Der Film von Edward Zwick wird nämlich angekündigt als eine wahre Geschichte, die bis heute nicht erzählt worden ist. Stimmt das Herr Tycner, erzählt der Film die wahre Geschichte?

Janusz Tycner: Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Es gab die Bielski-Brüder, die sich in den Wäldern dort, Ostpolens damals, versteckt haben mit einer großen Gruppe von Juden, die dem Holocaust entkommen sind. Das stimmt. Alles andere in diesem Film ist überwiegend frei erfunden. Es ist ein Hollywoodfilm, ein heroischer Film, ein Film, dessen Drehbuch geschrieben wurde nach den besten Regeln Hollywoods. Aber mit der Wahrheit hat das dann nicht mehr viel zu tun.

Bürger: Sie selbst haben über den Film eine lange Sendung im deutschen Programm von Polskie Radio gemacht – was verschweigt der Film Ihrer Meinung nach, was blendet er aus?

Tycner: Er stellt heroisierend eine Wirklichkeit dar, die es nicht gab. Dieser Krieg war ein brutaler Krieg, diese Menschen, die sich in den Wäldern versteckt haben, wollten einfach ihr blankes Leben retten. Es gab da keine Mission, es gab da keinen Auftrag, es gab nicht die Dialoge, die wir im Film sehen. Es sind Menschen, die zufällig in diese Situation geraten sind, einige sind hier gewachsen, einige nicht. Aber alles, was sich in diesem Waldlager abspielt, alles was – geschweige schon die angeblichen schweren Kämpfe mit den deutschen Truppen – das alles ist nicht wahr. Und deswegen, ich würde sagen, der Film verschweigt einiges, aber dichtet auch vieles hinzu. Das ist, glaube ich, der Punkt.

Bürger: Das ist jetzt nicht nur Ihre persönliche Meinung, sondern das haben viele polnische Historiker in den vergangenen Monaten in Zeitungsartikeln belegt, darüber gab es eine heftige Kontroverse, auf die wir gleich noch eingehen werden. Ich würde Sie aber jetzt erst noch fragen wollen, wie Sie die Bielski-Brüder beschreiben würden?

Tycner: Es sind Menschen, die eine Fähigkeit haben, sich in der rauen Wirklichkeit sehr gut zurechtzufinden. Das sind nicht Menschen, die einfach sich irgendwo in die Gaskammern treiben lassen, sondern sie haben einen unglaublichen Willen zum Überleben. Sie flüchten in die Wälder, dort treffen sie immer mehr solche versprengten Flüchtlinge und bilden so eine Kommune, die dann bis 1944 existiert, aber beileibe nicht nach den Gesetzen oder nach den Regeln, die in dem Film dargestellt werden.

Bürger: Sondern?

Tycner: Dort in diesem Naliboki-Urwald, das ist ein 220.000 Quadratkilometer großer Waldkomplex, in diese Gegend kommen die Deutschen überhaupt nicht. Sie lassen das einfach dort in Ruhe, das ist ihnen zu viel, das ist zu gefährlich. Überwiegend dort nicht Juden, sondern Sowjets, die 41 beim schweren Schwellenvormarsch der deutschen Truppen nicht sich zurückziehen konnten. Eine große Präsenz von sowjetischen bewaffneten Verbänden, sogenannten Partisanen, die direkten Kontakt haben mit Moskau. Die jüdischen Flüchtlinge haben keine andere Möglichkeit, als sich diesen Verbänden unterzuordnen und nach ihren Regeln zu leben. Und das sind sehr harte, sehr brutale Regeln.

Tausende von Menschen, etwa 20.000 Menschen, finden dort Zuflucht, müssen zum Beispiel zu essen bekommen. Das heißt, die umliegende Bevölkerung wird zum Leidtragenden dieses Überlebenswillens, denn diese Menschen werden regelrecht ausgeraubt, ausgeplündert. Und es entwickeln sich enorme Konflikte auch mit der umliegenden Bevölkerung.

Bürger: Polnische Historiker haben ja vor allem an den 8. Mai 1943 erinnert, als eben russische Partisanen unweit dieser Waldsiedlung der Bielski-Brüder das Dorf Naliboki brutal überfallen haben. Was weiß man darüber, inwieweit waren die Bielski-Brüder auch daran beteiligt?

Tycner: Darüber gibt es eine Diskussion, dieses Massaker von Naliboki, etwa 150 ermordete Menschen. Man geht davon aus, eine Gruppe aus dem Lager der Bielski-Brüder hat daran teilgenommen, ob sie persönlich, weiß man nicht, aber auch viele Indizien sprechen dafür, die Historiker sind sich nicht einig. Jedenfalls ein sehr forsches, ein sehr dezidiertes Auftreten auch dieser Bielski-Brüder, die die Zivilbevölkerung dort beiliebe nicht geschont haben, sondern sich auch in der Überlieferung aus jener Zeit eingegangen sind als sehr, ich würde sagen, sehr rabiate, vor allem Bielski als ein sehr rabiater Räuberhauptmann, so würde man das nennen, ja.

Bürger: Tewe Bielski hat, das ist unumstritten, über 1000 polnischen Juden das Leben gerettet, was ist ihm aber zugleich vorzuwerfen?

Tycner: Ihm ist einfach vorzuwerfen, dass er sich, also selbst bedroht durch den Tod, sich brutale Methoden der Sowjets angeeignet hat und dort genauso wie sie vorgegangen ist. Es gab in diesem Lager oder in diesem Waldversteck, das im Film ja so heroisch dargestellt wird, natürlich eine Zweiklassengesellschaft – wir wissen das anhand von sehr vielen Zeitzeugenaussagen –, eine Elite der Bielski-Brüder, ihrer Frauen und ihres Hofes.

Und der Rest, der darbt, der einfach sehr bescheiden lebt, der nicht teilhat an diesem sehr luxuriösen Leben der Elite. Das luxuriöse Leben richtete vor allem durch diesen Raub in der Umgebung. Das ist das eine. Das Zweite natürlich Konflikte um Beute. Bielski selbst hat vor den Augen der anderen zwei Männer umgebracht, das wissen wir, die ihm die Beute streitig gemacht haben. Alles in allem, natürlich diese Menschen haben überlebt, und er hat dazu beigetragen auf jeden Fall. Aber ich glaube, was Widerstand weckt, ist der Versuch, daraus eine heroische Gestalt zu machen, die er nicht war. Die Juden im Zweiten Weltkrieg haben Gestalten hervorgebracht wie Janusz Korczak, wie diejenigen, die den Aufstand im Warschauer Ghetto organisiert haben. Es gibt genügend Vorbilder, die sich für eine solche Heroisierung eignen.

Ich glaube, die Bielski-Brüder eignen sich dafür nicht, und wenn wir auch über den Holocaust sprechen, wir sollten die Basis, die Grundlage der Tatsachen nicht vergessen, sonst wird etwas aufgebaut, das irgendwann zusammenstürzt und der Geschichtsüberlieferung dann nur schädlich ist, auch wirklich der Anerkennung dessen, was wirklich gemacht und getan wurde oder passiert ist.

Bürger: Welche Gefahr sehen Sie darin, dass das deutsche Publikum den Film jetzt als authentisch wahrnimmt?

Tycner: Ich würde nicht sagen Gefahr, es ist nur irreführend. Ich glaube, man soll entweder sagen, das ist eine Geschichte, die jemand erfunden hat anhand von einigen authentischen Tatsachen, aber ihn darstellen als fast schon einen Dokumentarfilm – und ich glaube, so wird das wahrscheinlich wahrgenommen –, führt dazu, dass ein völlig falsches Bild entsteht. Und ich denke, Bewältigung, Auseinandersetzung mit der Geschichte sollte auf Tatsachen basieren, sonst entfernen wir uns von der Realität und irgendwann entstehen dann Luftschlösser, die dann auch einstürzen können. Und das sollte nicht sein.

Bürger: "Defiance – Unbeugsam", eine Heldengeschichte über jüdische Partisanen. Warum der Hollywoodfilm keine wahre Geschichte erzählt, erklärte uns der Publizist Janusz Tycner. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Tycner!

Tycner: Danke sehr.