Missbrauchsfälle

Wie der Klassikbetrieb die Täter schützt

Der Amerikaner James Levine.
Die Met hat James Levine suspendiert. © dpa
Moritz Eggert im Gespräch mit Mascha Dorst |
Die Strukturen im Klassikbetrieb begünstigen, dass Fälle von sexuellem Missbrauch gar nicht oder erst viel zu spät aufgedeckt werden, meint der Komponist und Pianist Moritz Eggert. Opfer würden oft als Störenfriede oder Neider diffamiert.
Der Fall James Levine sorgt in der Klassikbranche für Aufregung. Levine wurde sexueller Missbrauch vorgeworfen, die Metropolian Opera suspendierte daraufhin ihren Dirigenten.
Dass die Fälle teileweise schon Jahrzehnte zurückliegen, aber nicht an die Öffentlichkeit gelangten, ist für den Komponisten und Pianisten Moritz Eggert nicht überraschend. Diejenigen, die in der Vergangenheit bereits forderten, den Gerüchten nachzugehen, seien stets als Schmierfinken oder Neider bezichtigt worden. Nach diesem Muster seien auch in anderen Fällen Kritik oder Vorwürfe verdrängt worden.

Die Täter werden durch das System geschützt

Der Komponist, Pianist und Professor an der Münchner Musikhochschule sieht ein strukturelles Problem:
"Levine war jahrzehntelang quasi unangefochtener König und Herrscher über einen riesigen Apparat aus Orchester, Chor, Kinderchor, zahlreichen Statisten, Mitarbeitern und so weiter. Und natürlich gibt es Menschen, die dem sehr nahe sind. Agenten, Plattenfirmen und so weiter, die natürlich kein Interesse daran haben, dass jemand, der ein wirklich fähiger Künstler ist und sehr, sehr viele Einnahmen generiert, dass der natürlich geschützt wird und sich damit auch selber schützen. Dieses System haben wir an den Musikhochschulen auch ähnlich."
Ob es sich bei den mutmaßlichen Tätern um berühmte Künstler handele, spiele keine Rolle, betonte Eggert:
"Es wird sehr, sehr oft dieses Argument gebracht: Ja, er ist ja ein großer Künstler. Das finde ich ganz problematisch. Das sind zwei Themen, die man nicht miteinander vermischen sollte. Mich interessiert auch nicht, wenn jemand einen Unfall gebaut hat, ob der Politiker oder Kfz-Mechaniker war. Das ist vollkommen egal. Es geht um dieses Geschehnis und das ist eine Straftat.
Die Belästigung Minderjähriger im Fall Levine ist eine sehr, sehr ernste Sache, da geht es um das Zerstören von Leben. Da interessiert mich nicht, ob er ein guter Pianist oder ein guter Dirigent war."

"Nimbus des Heiligen"

In der Klassikszene habe man zu lange weggeschaut, sagte Eggert. Offenbar schütze dieser "Nimbus des Heiligen" immer noch diejenigen, die ihre Machtpositionen ausnützen würden.
"Dahinter können sie sich sehr gut verstecken, weil viele Menschen das nicht wahrhaben wollen, das so etwas hinter verschlossenen Türen passiert."
Man brauche auch neue Umgangsformen im Klassik-Betrieb. Man müsse diejenigen stärken, die Missbrauchsvorfälle öffentlich machen würden.
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