Milleniumsdorf in Ghana

Suche nach Rezepten gegen Armut

Frauen pumpen Wasser im ghanaischen Dorf Bonsaado
Auch dieser Brunnen ist in Bonsaado im Rahmen der Fördermaßnahmen entstanden © Deutschlandradio Kultur
Von Dunja Sadaqi  · 06.02.2017
Zehn Jahre lang wurde das ghanaische Dorf Bonsaado als "Milleniumsdorf" besonders gefördert. Mit viel Erfolg: Die Menschen sind weniger arm, können zur Schule oder in ein Krankenhaus gehen. Jetzt läuft die Förderung aus - und illegale Minen gefährden die Fortschritte.
Owusu Achampong führt durch das Dorf. Es sind weit über 30 Grad, die Sonne brennt, das Atmen fällt mir schwer. Das Dorf befindet sich im Süden des Landes, über vier Autostunden von der Hauptstadt Accra entfernt. Achampong, das traditionelle Dorfoberhaupt, zeigt auf rote Häuser, aus denen vereinzelt Musik dringt.
Nanna Achampong trägt sein traditionelles Gewand: einen grün-weißen langen Umhang, der diagonal über seine Schultern fällt. Auf unserem Weg durch das Dorf rattern immer wieder Motorräder an uns vorbei. Kinder kicken Bälle und Plastikflaschen durch die Straßen. Hungernde Menschen oder große Not sehe ich nicht. Früher sei das anders gewesen, erzählt mir Nanna Achampong.
"Bevor sie gekommen sind, hatten wir richtig schlechte Straßen. Wir hatten kein Krankenhaus. Wenn jemand krank war, haben wir ihn auf eine Liege gelegt und zur Krankenstation in der nächsten Kleinstadt getragen. Ohne sie war unser Leben eine Katastrophe. Wir wussten, was getan werden musste, aber wir konnten es nicht tun."
Owusu Achampong, Oberhaupt des ghanaischen Dorfes Bonsaado
Owusu Achampong, Oberhaupt des ghanaischen Dorfes Bonsaado © Deutschlandradio Kultur
"Sie", damit meint Achampong die Mitarbeiter des Entwicklungshilfe-Dreiecks: die Jeffrey-Sachs-Stiftung des amerikanischen Ökonoms Jeffrey Sachs, die Organisation Millennium Promise und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Sie haben das Projekt "Millenniumdörfer" angestoßen. Das Ziel: Beweisen, dass man extreme Armut bekämpfen kann. So sollen die sogenannten Millenniumziele der Vereinten Nationen erfüllt werden – Armut bis 2030 zu verbannen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Zehn Jahre lang war das ghanaische Bonsaado dazu ein Experimentierfeld. Es wurden Straßen verbessert, Telefonmasten aufgestellt, Schulen und Krankenstationen gebaut. Seit 2015 ist das Projekt offiziell beendet. Die Bilanz: Den Menschen in seinem Dorf gehe es heute viel besser, sagt Dorfoberhaupt Achampong. Bevor das Projekt startete, lebten rund 200 Menschen hier. Heute, 10 Jahre später, sind es etwa 1.500.
"Sie haben uns gezeigt, wie man fischt, nicht wie man Fisch isst."
Hilfe zur Selbsthilfe soll das heißen. Stolz führt mich Nanna Achampong hinter ein Haus und zeigt auf kleine weiße Häuschen vor jedem Gebäude: eigene Toiletten. Vorher gab es zusammengezimmerte Massenlatrinen für das ganze Dorf, ohne Türen – ein erhebliches Hygieneproblem, erklärt er mir.
Ein Stück weiter pumpen mehrere Mädchen und junge Frauen Wasser aus einem metallenen Hahn und füllen es in bunte Kanister. Viele der Frauen haben Workshops des Projekts besucht. Frauen im Dorf stärken – auch das ein erklärtes Ziel des Millenniumprojektes.
Auch Rose hat so einen Workshop besucht. Sie steht an einer Holstelze, die mit einer Plane überzogen ist. Rose ist 42 Jahre alt, hat sechs Kinder. Seit einigen Jahren baut sie Kakao an und handelt in der Region damit.
"Früher, wenn ich die Samen gepflanzt habe, habe ich nicht einmal einen Sack voll geerntet. Mit Millennium Village Promise ernte ich heute fünf bis sechs Säcke."
Das sind ungefähr 215 Euro – Geld, das Roses Kindern zum Beispiel ihre Schulbildung sichert. Die Menschen, mit denen ich spreche, scheinen zufrieden über die Entwicklungen, die das Millenniumprojekt innerhalb von zehn Jahren bewirkt hat. Doch schon etwas später werde ich auch die Schwierigkeiten kennenlernen.
Ich fahre zu einer Kakaoplantage in der Nähe des Millennium-Dorfes. Die Kakaobauern dort erhielten von dem Projekt Unterstützung in Form von Schulungen, Düngemittel, neuem Saatgut – ich will sehen, was das Projekt für sie verbessert hat.

Goldschürfen mit bloßen Händen

Der Jeep holpert über staubig-rote, unebene Straßen. Schlaglöcher erschweren die Fahrt. Die Strecke führt vorbei an dicht bewachsen Wäldern, aufgetürmten grau-weißen Kieshügeln. Dazwischen, in Gruben, stehen vor allem junge Männer, in T-Shirt oder mit nacktem Oberkörper, von oben bis unten schlammbedeckt. Nur wenig weiter waten Männer durch einen knietiefen Fluss oder stehen auf dürftig zusammengezimmerten Holzbooten mit laufenden Dieselmotoren, die dicken schwarzen Qualm spucken. Ob in der Grube oder im Wasser: die Männer schürfen, mit Schaufeln oder mit bloßen Händen, schwenken Schlamm und Steine in wokartigen Gefäßen – auf der Suche nach Gold.
Was ich hier sehe, seien illegale Gold-Minen, erklärt man mir. Immerhin war Ghana einst als Goldcoast, als "Goldküste", bekannt. Und noch immer ist das Land reich an dem wertvollen Metall. Die illegalen Goldminen sind in dieser Gegend fast überall zu finden. Wie sehr sie die Erfolge des Millenniumprojektes beeinflussen, werde ich während meines Besuchs noch oft zu hören bekommen.
Wenige Autominuten entfernt liegt die Kakaofarm. Die Plantage ist mit großen Kakaobäumen bepflanzt. Wie ein Wald spenden sie großflächig Schatten vor der unerträglich brennenden Mittagssonne.
Dapaah Siakwan hackt eine gelb-grüne Kakaofrucht vom Baum. Mit einer großen Machete schneidet er sie auf und zeigt mir die Kakaobohnen, die von milchigem, weichem Fruchtfleisch umhüllt sind.
Bitter-süß schmecken sie und lassen nicht erahnen, dass daraus mal Schokolade werden wird, die wir in Deutschland zuhauf im Supermarkt kaufen können. Siakwan ist seit 44 Jahren Kakaobauer und besitzt über 6 Hektar Land.
"Früher haben wir hier immer die Bäume in Gruppen gepflanzt und nur unregelmäßig, dadurch hatten wir schwache Ernten. Durch das Millennium-Projekt hat man uns gezeigt, wie es richtig geht, wie wir pflanzen, pflegen und ernten sollen. Seitdem ist der Kakao-Anbau auch profitabel.”

Rate der geimpften Kinder bei fast 100 Prozent

Dieses Jahr sei die Ernte gut gewesen, erzählt mir Siakwan. Dass sich viel verändert hat, seitdem Siakwan mit dem Kakao-Anbau angefangen hat, bemerke ich, als mir Emanuel Boake auf der Plantage entgegen stapft. Auch er ist Kakao-Bauer und gehört zu einer Bauerngemeinschaft, die sich zusammengeschlossen hat, um Kredite aufzunehmen. In den Händen des 41-Jährigen: ein Tablet-Computer. Den könne er sich jetzt leisten, erklärt er mir grinsend. Früher habe er wegen des schwachen Empfangs zum Telefonieren schon einmal auf einen Baum steigen müssen. Seit die Telefonmasten gebaut wurden, seien diese Zeiten vorbei. Und auch die Zeiten, in denen sein Kakao-Anbau nicht profitabel war.
"Previously I used to harvest only 5 bags and now I harvest more than 20 to 30 bags of cocoa.”
Heute ernte er das Sechsfache von damals, erzählt er. Das Millenniumdorf-Projekt hat die Bauern mit Banken zusammengebracht, die Kleinkredite vergeben. Dadurch konnten sie ihre Plantagen teilweise intensiver bewirtschaften.
Erfolge des Projekts sieht man auch in der neuen Gesundheitsversorgung der Menschen. Eric Akosah führt durch die Flure der Krankenstation. Die Station wurde vor einem Jahr vom Millennium-Projekt neu gebaut. Eric Akosah gehört zum Projektteam "Millennium Promise" und war von Anfang an für die Verbesserung der Gesundheit in den Projektdörfern zuständig. Zehn Jahre später, nach einem Investment von etwa 20 Millionen Euro, ist Eric Akosah mit der Entwicklung der Dörfer zufrieden. Das zeige sich vor allem hier, in den Krankenstationen.
"Die Rate der geimpften Kinder ist auf fast 100 Prozent, schwangere Frauen kommen in die medizinischen Stationen, um zu entbinden. Vorher haben sie das zu Hause gemacht. Das war riskant. Jetzt haben wir Hebammen, Krankenschwestern, das Equipment. Und das hat am Ende die Sterblichkeitsrate bei Müttern und Kindern erheblich gesenkt."
Mittlerweile arbeiten in der Krankenstation eine Hebamme, drei Krankenschwestern und eine spezielle Dorf-Krankenschwester. Hier ist das die 27-jährige Beatrice Asantewaa. Als sogenannte "Community Krankenschwester" geht sie von Tür zu Tür, betreut Schwangere, klärt auf über Familienplanung und Krankheiten.
Eric Akosah vom Milleniumsdorf-Projekt in Ghana
Eric Akosah vom Milleniumsdorf-Projekt in Ghana© Deutschlandradio Kultur
"Das meiste, was wir hier haben, ist Malaria. Das liegt auch an den illegalen Goldminen, sie graben Löcher und decken sie nicht ab. Und wenn es regnet, sammeln sich dort die Moskitos."
Außerdem kämen Goldgräber, die sich an den Maschinen oder bei schief gelaufenen Sprengungen verletzten, in die Station. Meistens seien es junge Männer ohne Schulabschluss.
Es ist das Ende des Schuljahrs. Die Mädchen und Jungen in blauen Uniformen sitzen in der Aula und lauschen mehr oder weniger interessiert ihrem Direktor.
Direktor Benjamin Kwaku Baah spricht von guten Ergebnissen und versucht seine Schüler für das nächste Jahr zu motivieren. Er spricht davon, dass die neu gewählte Regierung kostenlose Bildung versprochen hat. Über 800 Schüler zählt seine staatliche Schule: die Mansoman Senior High School. Kwaku Baah hofft auf die neue Regierung. Mit der Ausrüstung seiner Schule – den simplen eingerichteten Klassenzimmern - war er bisher nicht zufrieden.
"Die Gebäude hier motivieren die Schüler nicht gerade, zur Schule zu kommen."
Dann kam das Millennium-Projekt. Jetzt gibt es einen Computerraum.

11 Euro Schulgeld im Jahr - zu viel für die meisten Familien

Hanna war eine von den Schülerinnen hier. Heute ist sie 19 Jahre alt und hat schon viel erlebt. Ihr Vater ist tot. Deswegen hat sie ihr Onkel aufgenommen und zahlt ihre Schuldbildung. Weil Hannah eine der besten war, erhielt sie ein Stipendium des Millennium-Projektes. Das half ihr so weit, dass Hannah heute in der Hauptstadt der Region studiert. Sie ist damit aber nicht die Regel. Das weiß sie selbst:
"Wenn du 14 und noch nicht schwanger bist – dann ist das eine Überraschung."
Der Druck auf Mädchen im Dorf sei hoch. In den kinderreichen Familien gebe es nicht immer genug Geld, um die Schulgebühren für alle zu bezahlen, etwa 11 Euro pro Schuljahr. Ohne Alternative führt der Weg viele in die illegalen Goldminen, umgangssprachlich "Galamsay" in Ghana genannt.
"Die illegalen Minen zerstören alles. Wenn du zur Schule gehst und kein Geld hast, wenn du in die Minen gehst, kannst du dich wenigstens um dich kümmern. Weil deine Eltern das nicht können. Und dann entscheiden sie sich für Geld, anstatt Bildung. Weil du so eben Geld bekommst. Als Mädchen brauchst du auch viele Hygieneprodukte. Viele sind auch Waisen. Und wenn du das alles für dich selbst nicht leisten kannst, was machst du dann? Dann nimmst du dir eben einen dieser Minen-Jungs als Freund, die das für dich kaufen können und dann wirst du schwanger. Und dein Leben endet dort."
Wenige kehrten dann noch zurück in die Schule, um ihre Ausbildung zu beenden, sagt Hanna. Das Problem kennt auch Schuldirektor Benjamin Kwaku Baah. Die Schule bemühe sich, schwangere Mädchen in der Schule zu halten.
"Manchmal müssen wir herumgehen und die Eltern anflehen, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken, oder wir müssen mit den Schülern reden. Sie können es manchmal nicht bezahlen. Und dann arbeiten sie in den Minen und machen so Geld, um sich zu versorgen. Manche denken, das einzige, was im Leben zählt, ist Geld. Und wenn man mit 18 Jahren schon Geld verdienen kann – wieso sollte man dann in der Schule seine Zeit verschwenden?"
Schuldirektor Kwaku Baah ist dennoch zuversichtlich. Mit der Verbesserung der Schulqualität seien die Schüler motivierter, ihre schulische Ausbildung abzuschließen. Es gebe nun weniger Schulabbrecher. Wer das Problem der illegalen Minen lösen könnte? Schuldirektor Baah setzt auf die Regierung.
"I have trust in the government."
Mit dieser Hoffnung ist er einer von wenigen.
Am Nachmittag regnet es in Strömen. Ich fahre nach Kumasi, in die zweitgrößte Stadt in Ghana, etwa zwei Autostunden von den Millennium-Projektdörfern entfernt.
Nun, da das Projekt zu Ende ist, suchen die Initiatoren weiter nach in- und ausländischen Geldgebern – und hoffen auf die Unterstützung der Regierung, sagt Eric Akosah vom Projekt.
"Jetzt sprechen wir mit der Regierung. Sie haben gesehen, was für gute Arbeit geleistet wurde, und arbeitet jetzt mit uns zusammen."
Auch deshalb hat Eric Akosah heute Alex Kwame Bonsu eingeladen. Der Regionalpolitiker ist für den Bezirk, in dem sich die Millennium-Dörfer befinden, zuständig. Um den Zustand der Straße wolle sich die Regierung kümmern, aber das sei sehr kostspielig. In den Dörfern glaubt ihm das niemand mehr. Und wie umgehen mit den illegalen Goldminen, die Menschen und Natur vergiften? Bonsu bleibt vage.
"Illegale Minen sind das größte Problem, was wir hier haben. Wir haben viel versucht, aber es reicht nicht. Du hast ein Polizei-Team, was du zu den Minen schickst. Wenn sie ankommen, ist niemand mehr da. Sogar um Mitternacht arbeiten sie. Wir finden es schwierig mit dem Problem fertig zu werden."

Das schnelle Geld lockt

Ob es denn nicht helfen würde, Alternativen für die oftmals jungen Männer zu schaffen? Bei der Frage wehrt Bonsu ab. Die Regierung hätte schon viel unternommen. Das schnelle Geld, das viele locke, sei das Problem. Selbst, wenn es Jobs gäbe, sagt Bonsu:
"Die Frage ist: Würden die denn überhaupt kommen? Wenn sie realisieren, dass sie in kurzer Zeit so viel Geld bekommen können. Und wenn sie zum Beispiel ins Farmgeschäft einsteigen, dauert es vielleicht ein Jahr, bis ich Gewinne mache."
Ohne Mikrofon sagt Bonsu dann doch mehr. Einsatzkräfte, die zu den Minen geschickt würden, hätten oftmals vorher Minenarbeiter gewarnt. Polizei und Militär würden oft von Minenarbeitern geschmiert. Korruption, sie ist in Ghana weit verbreitet. Transparency International listet Ghana auf Rang 70 von 170 der korruptesten Ländern der Welt. Und daran krankt auch der Erfolg des Millennium-Projekts.
Denn die Auswirkungen der Goldminen – in jedem Bereich, den das Projekt so ehrgeizig versucht zu verbessern, machen sie sich negativ bemerkbar. Hier in Bonsaado scheint das Projekt einen Großteil der Menschen aus extremer Armut befreit zu haben. Den Erfolg in den Dörfern will man jetzt auch auf andere Dörfer im Umland ausweiten. Doch dafür braucht es neue Gelder und die Unterstützung der Regierung. Auf deren Interesse hofft Eric Akosah und nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse.
"Ein hungriger Mann ist ein zorniger Mann und er wird alles tun, um zu überleben."
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