Mikroplastik im Trinkwasser

Klingt ja stark nach Seuche

Eine durchsichtige Barschlarve mit runden Teilchen im Bauch.
Ist das wirklich Mikroplastik im Bauch dieser Barschlarve? Es besteht Grund zu Zweifeln. © Science / Oona Lönnstedt
Ein Meinungsbeitrag von Udo Pollmer · 06.10.2017
Meldungen warnen regelmäßig vor Mikroplastik im Trinkwasser. Udo Pollmer hält die Furcht vor den winzig kleinen Plastikteilchen für weitgehend unberechtigt.
Das unscheinbare Mikroplastik ist der neue Star der Umweltängste: Ganze Meere werden durch winzige Plastikpartikel verschmutzt, Fische krepieren, und jetzt verseucht es auch unser Trinkwasser.
"Leitungswasser enthält gefährliches Mikroplastik" ängstigt der Focus, "Trinkwasser ist weltweit mit Plastikfasern verseucht" klagt die Welt – und das sei "dramatisch". Anlass: Ein Medienhaus in den USA hatte 159 Wasserproben aus fünf Kontinenten untersuchen lassen.

Der Mikroplastik-Hype

Ergebnis: In einem halben Liter hiesigen Trinkwassers schwammen 1,9 Mikroteilchen. Macht vier unsichtbare Staubkörnchen pro Liter. Klingt ja stark nach Seuche. Wenn man bedenkt, wie viele Mikropartikel im Hausstaub lauern, dann sind unsere Wohnungen aus dieser Sicht reine Todeszonen.

Das Umweltbundesamt stuft die aktuellen Befunde als "nicht glaubwürdig" ein. Das Messverfahren sei ungeeignet, die vorgefundenen Spuren seien zudem die üblichen Verunreinigungen, die aus der Luft hineingeraten. Im Haushalt gelangen mit jedem Waschvorgang oder mit dem Wäschetrockner Hunderttausende Mikropartikel in Abwasser und Atemluft.
Ausgelöst wurde der Hype durch Oona Lönnstedt von der Universität Uppsala. Im Juni 2016 hatte sie verkündet, Fischlarven nähmen durch Mikroplastik Schaden: Das winzige Plastik munde der Fischbrut so gut, dass sie es bereitwillig fräße. Die Nachricht löste ein großes Echo aus: "Müll, der gefährliche Fressreize aussendet" titelte beispielsweise die Süddeutsche. "Fische", schrieb sie, "verlieren den Überlebenstrieb und entwickeln unheimliche Essstörungen".

Dem Publikum wurden die Sinne vernebelt

Wirklich unheimlich war, dass kurz nach der Veröffentlichung im Magazin Science sich Lönnstedts Kollegen zu Wort meldeten und erklärten, die Studie sei frei erfunden. Die Dame sei zwar im Labor aufgetaucht, aber viel zu kurz für ihre aufwendigen Versuche, ja sie habe niemals derartige Experimente durchgeführt, und das Labor besäße nicht einmal alle Gerätschaften, mit denen Oona Lönnstedt gearbeitet haben will.
Das angeblich verwendete Mikroplastik entsprach auch nicht den rauen, halbverwitterten Partikeln, die im Meer vorkommen. Fische haben wie andere Tiere auch die Fähigkeit Ungenießbares von Futter zu unterscheiden. Eklige Plastikteilchen spucken sie wieder aus, es sei denn man arbeitet sie ins Futter ein. Davon ist aber bei Lönnstedt nicht die Rede.
Wie kamen dann ihre hübschen Fotos zustande, in denen Fischlarven mit schönen runden Kügelchen im Bauch zu sehen sind? Dazu lässt man die Fische erst hungern und wirft dann statt Futter fabrikfrische, glatte Styroporkügelchen ins Aquarium. Schon schnappen die Mäuler zu.

Mikroplastik in der Öffentlichkeit inszeniert

Als die Ökologin ihre Daten offenlegen sollte, erklärte sie, ihr Laptop sei geklaut worden. Und das Backup an der Uni? Das habe nicht funktioniert. Nun wäre die Sache nicht weiter der Rede wert, wenn die Studie zügig wiederrufen worden wäre. Das erfolgte aber erst ein knappes Jahr später, nachdem die gefälschten Ergebnisse erfolgreich um die Welt gegangen waren. "Die kleinsten Plastikteilchen", hieß es dazu im Radio, "vernebeln dem Fischnachwuchs regelrecht die Sinne". Nicht den Fischen wurden damit die Sinne vernebelt, sondern dem Publikum.
Geschickt wird das Thema Mikroplastik immer wieder in der Öffentlichkeit inszeniert. Wenn nötig, mit Fehlanalysen und Betrug. Sollte Lönnstedt etwa von höchster Stelle unterstützt worden sein? Ihre Kollegen jedenfalls, die den Betrug aufdeckten, wurden massiv unter Druck gesetzt. Und nachdem klar war, dass es sich um eine Fake-Studie handeln dürfte, sprach ihr die schwedische Forschungsförderung trotzdem 310.000 Euro zu, weil sich Lönnstedt damit als zukünftige Führungskraft erwiesen habe. Mahlzeit!

Literatur:
Lönnstedt OM, Eklöv P: Environmentally relevant concentrations of microplastic particles influence larval fish ecology. Science 2016; 352: 1213-1216
Lönnstedt OM, Eklöv P: Supplementary materials for environmentally relevant concentrations of microplastic particles influence larval fish ecology. www.sciencemag.org/content/352/6290/1213/suppl/DC1
Berg J: Retraction. Science 3. May 2017, 10.1126/science.aan5763
Lemieux J: ‚Science‘ finally retracts an absolute mess of a paper. Acsh.org news vom 5. May 2017
Westerhaus C: Fischlarven leiden unter plastikverseuchten Meeren. Forschung aktuell, Deutschlandfunk vom 3. Juni 2016
Formas - forskningsrådet för hållbar utveckling: Forsknings och utvecklingsprojekt till framtidens forskingsledare. Formas Forskarrad 2016-11-10
Grigorakis S et al: Determination of the gut retention of plastic microbeads and microfibers in goldfish (Carassius auratus). Chemosphere 2017; 169: 233e238
Comnea-Stancu IR et al: On the identification of rayon/viscose as a major fraction of microplastics in the marine environment: discrimination between natural and manmade cellulosic fibers using fourier transform Infrared spectroscopy. Applied Spectroscopy 2017; 71: 939–950
dpa: Ist unser Trinkwasser mit Mikroplastik belastet? «Nicht glaubwürdig»: Trinkwasser-Studie zu Mikroplastik in der Kritik. Chemie.de Newsletter vom 7. September 2017
Lossau N: Im Trinkwasser lauert eine unsichtbare Gefahr. Welt/N24 Online vom 6. September 2017
Charisius H: Müll, der gefährliche Fressreize aussendet. SZ.de vom 3. Juni 2016
Anon: Leitungswasser enthält gefährliches Mikroplastik – auch in Deutschland. Focus.de vom 7. Septmber 2017
Anon: Mikroplastik ist überall: 83 Prozent unseres Trinkwassers ist verseucht. RTL.de vom 6. September 2017
Schneider L: Fishy peer review at science, by sitizen scientist Ted Held. Forbetterscience.com 9. July 2017
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