Migratenverband

"Türkische Gemeinde ist keine ideologische Organisation"

Safter Cinar, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland
Safter Cinar, neuer Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland © picture alliance / dpa / Foto: Peter Endig
Moderation: Ute Welty |
Nach neun Jahren wechselt der Vorstand der Türkischen Gemeinde in Deutschland: Kenan Kolat geht, einer seiner Nachfolger ist der Berliner Betriebswirt Safter Çinar. Nacheifern möchte er Kolat nicht, er möchte das Netzwerk der Gemeinde erweitern, um sich für die Belange der türkischen Gemeinde einsetzen zu können.
Ute Welty: Am Dienstagmorgen, da ist eine Ära zu Ende gegangen. Neun Jahre lang stand Kenan Kolat der Türkischen Gemeinde in Deutschland vor, war immer wieder Stimme der Türkinnen und Türken und kritisierte die deutsche wie die türkische Regierung. Die einen für die Islamkonferenz des damaligen Innenministers Friedrich, die anderen für das Vorgehen des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gegen die Proteste im vergangenen Jahr. Kenan Kolat hat jetzt auf sein Amt verzichtet und der Berliner Betriebswirtschaftler Cinar ist einer seiner Nachfolger. Guten Morgen!
Safter Cinar: Guten Morgen!
Welty: Was mochten Sie an Kolat als dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, was möchten Sie fortführen, wo wollen Sie ihm nacheifern?
Cinar: Nacheifern möchte ich niemandem, aber Kenan Kolat hat in diesem von Ihnen genannten Zeitraum die Türkische Gemeinde sehr viel weitergebracht, viel mehr Kontakte, viel mehr strukturelle Verknüpfungen hergestellt. Und wir müssen die nicht nur erhalten, sondern gucken, dass wir das noch erweitern, dass wir also in allen Bereichen der Bundesrepublik für unsere Belange uns einbringen können.
Welty: Sie fungieren ja jetzt in einer Doppelspitze, zusammen mit Gökay Sofuoglu. Warum braucht es jetzt zwei Menschen, um einen Kolat zu ersetzen?
Cinar: Nein, das brauchen wir nicht. Wir haben sozusagen dieses Überraschungsmoment, dass Herr Kolat sehr spät aus gesundheitlichen Gründen aufgehört hat, genutzt, um ein Vorhaben, das wir schon hatten, zu realisieren. Bis jetzt war es immer so, weil Berlin die Hauptstadt ist, muss der oder die Vorsitzende in Berlin sein. Das ist natürlich nicht so ganz demokratisch. Jetzt haben wir eben zwei Vorsitzende und dann kann ein Mensch in Berlin und der andere wie jetzt in Stuttgart leben.
Welty: Noch demokratischer wäre es vielleicht gewesen, wenn noch zusätzlich eine Frau an der Spitze gewesen wäre?
Das nächste Mal wird es eine Frau
Cinar: Danke schön, auf die Frage war ich schon vorbereitet ...
Welty: Das dachte ich mir!
Cinar: Das haben wir auf der Delegiertenversammlung vorproblematisiert. Diese jetzt zwei Männer sind nur dem Überraschungsmoment zu verdanken. Auf die Schnelle konnten wir nicht alle Probleme lösen. Es ist unstrittig, das nächstes Mal wird es mindestens eine, wenn nicht vielleicht sogar zwei Frauen sein!
Welty: Ob zwei Männer oder Mann oder Frau, Sie dürften in den nächsten Wochen reichlich Arbeit auf den Tisch bekommen, denn im August wird in der Türkei ein neuer Präsident gewählt. Um dieses Amt bewirbt sich auch Ministerpräsident Erdogan, der mit seinen Äußerungen zum Teil mindestens Befremden hervorruft. Wie werden Sie sich als Vorsitzender, wie auch persönlich gegenüber Erdogan positionieren?
Cinar: Unsere Satzung erlaubt es nur bedingt, uns in die Türkei-Politik einzubringen. Im allgemeinen Rahmen, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat, in den Punkten werden wir natürlich wie auch letztes Jahr bei den Taksim-Ereignissen unsere Meinung äußern, aber Lösungswege und Ähnliches ist eine Sache der Parteien in der Türkei.
Welty: Dann versuche ich jetzt mal mit einer Frage mehr an die Person als an den Vorsitzenden: Können Sie das Verhalten Erdogans vermitteln, nachvollziehen, erklären? Gerade am Wochenende kam es ja wieder zu einem Vorfall, den man nur als Ausraster bezeichnen kann?
Cinar: Es ist absolut nicht mehr zu erklären. Sicherlich darf auch ein Ministerpräsident sich mal aufregen, aber das ist, wie Sie sagten, nicht erklärbar. Und das ist ja auch jetzt in der letzten Zeit nicht zum ersten Mal, auch seine Kritik an Staatspräsident Gauck war ja nun auch nicht unbedingt im demokratischen Rahmen. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Man kann nur hoffen, dass seine Umgebung ihn jetzt ein bisschen wieder von dieser Anspannung runterholt.
Welty: Von Deutschland aus erleben wir die Türkei zurzeit als ein gespaltenes Land. So wird Erdogan euphorisch gefeiert wie auch eiskalt missachtet. Erleben Sie eine solche Spaltung auch hierzulande in der türkischen Gemeinde?
Spaltungstendenzen auch in Deutschland
Cinar: Natürlich nicht so jetzt auf der Straße und in dieser Hitze, aber dieses leider entstandene Schwarz-weiß-Denken reflektiert sich natürlich im Prinzip auch hier in der Bundesrepublik wider.
Welty: Glauben Sie, dass das Ihre Arbeit erschwert als Türkische Gemeinde?
Cinar: Ja, weil, die Türkische Gemeinde ist ja keine ideologische Organisation und versucht ja, Leute unterschiedlicher politischer Meinung zusammenzubringen. Aber wenn sozusagen in der Gesellschaft so eine Spaltungstendenz ist, erschwert das die Zusammenarbeit Menschen unterschiedlicher Gruppierungen oder unterschiedlicher Weltanschauungen.
Welty: Gespalten ist die Meinung auch darüber, ob die EU-Beitrittsverhandlungen an dieser Stelle noch Sinn machen oder ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sie tatsächlich zu intensivieren. Wie sehen Sie das?
Cinar: Erstens, wir sind sehr für die volle Mitgliedschaft. Zu Ihrer anderen Frage: Ich denke, es ist immer gut, die Fäden nicht abzuschneiden, weil, sonst hast du keine Möglichkeit mehr, Einfluss zu nehmen. Deshalb wäre es gut, dass die EU weiterhin drängt, weiterzuführen, und natürlich auch darauf drängt, dass die EU-Normen voll angewandt werden. Nur im Dialog kann sich etwas bewegen.
Welty: Das ist so die große Linie der Politik. Wie viele kleine, viele, verschiedene Fäden laufen dann noch parallel?
Cinar: Ja, also, das Wichtigste ist sicherlich Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat. Alles andere ist in der jetzigen Konfliktlage untergeordnet. Wenn das nicht klappt, habe ich überhaupt nichts davon, wenn ich irgendwie über Kommunalisierung und so was mich einige. Insofern, finde ich, muss die EU auf dieser Frage erst mal insistieren, dass das gelöst wird. Und dann sehen wir weiter.
"Die Hälfte des Vorstands ist ja neu"
Welty: Wie wollen Sie sich da als Vorsitzender einbringen?
Cinar: Also, wenn so einiges ist, wo man aus diesem Gesichtspunkt - Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat - sich einigen kann, werden wir das auch öffentlich machen. Und manchmal kommen ja türkische Staats- und Regierungschefs und dann werden wir das auch einbringen. Aber wie gesagt, ich möchte das gerne noch mal wiederholen: nur diesem Rahmen! Weil, Lösungsvorschläge sind ... Politische, parteipolitische Vorschläge, das ist nicht unsere Aufgabe.
Welty: Sie sind ja noch nicht so wahnsinnig lange im Amt. Welche Ideen, welche Anliegen sind jetzt schon an Sie herangetragen worden?
Cinar: Ich war früher vier Jahre Stellvertreter, insofern ist für mich das alles nicht so ganz neu. Im Moment gibt es natürlich aktuelle Fragen, Optionsmodell, Staatsangehörigkeitsreform und - was der Justizminister jetzt einbringt - Hasskriminalität, Strafgesetzreform, das müssen wir als Erstes, weil das jetzt ansteht, angehen. Und dann müssen wir uns in Ruhe überlegen, wie wir es machen. Die Hälfte des Vorstands ist ja neu, ich denke, wir müssen das erst mal beraten und dann gucken, wie wir weiter verfahren.
Welty: Safter Cinar, die eine Spitze der Doppelspitze der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Danke für das Gespräch und gutes Gelingen im Amt wünsche ich!
Cinar: Danke, auch für Sie gute Arbeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema