Metapher für die Verwundbarkeit technischen Fortschritts

Von Mathias Schulenburg · 15.04.2012
Die Geschichten, die sich über den Untergang der Titanic schreiben ließen, bieten alles, was Menschen interessiert: hochmütige Charaktere ebenso, wie unfähige, feige und heldenhafte, bitterarme und fabelhaft reiche. Am 15. April 1912 versank das Schiff.
Die Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 war klar und eisig kalt, als sich die Titanic auf ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York Neufundland näherte. An Bord: 2.224 Passagiere, unter ihnen viele Prominente - Multimillionäre, Unternehmer, Künstler - der amerikanischen und europäischen Gesellschaft. Es hatte schon bei Reiseantritt Eiswarnungen gegeben, auf dem Meer, auch über Funk. Sehr eindringliche sogar, die aber von der Funkstelle der Titanic nicht immer weiter gegeben wurden – die Männer hatten alle Hände voll mit der Übermittlung von Grußbotschaften zu tun. Der 2. Offizier Charles Herbert Lightoller erinnerte sich:

"Eine ganz wichtige Warnung an alle Schiffe kam gar nicht durch: Schweres Packeis, Eisberge und Eisfelder gerade vor uns."

Der britische Luxusliner lief mit voller Geschwindigkeit durch die See, im Ausguck zwei frierende Seeleute ohne Ferngläser. Die waren den Deckoffizieren vorbehalten, die acht Meter tiefer auf der Brücke standen. Gegen 23.40 Uhr wurde der Schicksalseisberg von einem der Matrosen gesichtet.

Charles Herbert Lightoller: "Es gab drei harte Schläge der Glocke im Ausguck und einen Schrei 'Eisberg voraus, Sir!' Unser Bug schwenkte zur Seite, aber nicht weit genug. Und das Schiff wurde steuerbord getroffen. Massen von Eis fielen auf das Vordeck, schlimmer aber – was wir nicht gleich wussten: Das Schiff wurde unter Wasser auf einer Länge von sechs Abteilungen aufgerissen, nichts hätte es mehr retten können."

Weshalb der Kapitän das Schiff allen Warnungen zum Trotz mit Volldampf in ein Eisgebiet laufen ließ, ist bis heute ungeklärt. Als die Schiffsführung den Ernst der Lage erkannt hatte, wurden die Maschinen sofort gestoppt. Der überschüssige Dampf entwich mit einem Höllenlärm über die Schornsteine. Die Heizer löschten alle Kessel bis auf die für die Stromgeneratoren. Dann kehrte ängstliche Ruhe ein. Edwina Troutt-MacKenzie erlebte die Katastrophe in der 2. Klasse:

"Wir sollten wieder vom Deck runter und ins Bett. Als ich gerade in meine Kabine wollte, rief der Zahlmeister, alle sollten ihre Schwimmwesten anlegen und zu den Rettungsbooten gehen. Wir sollten nichts mitnehmen, es wäre nur eine Übung. Ich holte noch ein paar Kleidungsstücke, sah dabei die wasserdichten Türen und war sicher: Wir sinken nicht."

Von der Unsinkbarkeit des größten und luxuriösesten Schiffes, das die Menschen bis dahin gebaut hatten, waren Passagiere und Besatzung überzeugt. Die Auswanderer in der 3. Klasse tief im Bauch des Schiffes aber sahen bald, wie in den Deckverbindungen kaltes, grünes Wasser die Treppenstufen hochkroch, geisterhaft von oben und unten beleuchtet.
Während das Schiff sank, spielte die Bordkapelle beruhigende Ragtime-Musik.
Zweieinhalb Stunden nach dem Zusammenstoß, am 15. April 1912 um 2:20 Uhr, versank die Titanic im Meer. Margaret O'Neill sah sie vom Rettungsboot aus untergehen:

"Es war dunkel, aber ihre Lichter brannten noch. Dann gab es zwei Explosionen, als das Wasser die Kessel erreichte; das Schreien fing an und die Leute gingen ins Wasser. Das Schiff muss dann gleich versunken sein."

Rettungsboote gab es – damals regelkonform – nur für die Hälfte der Passagiere. Mehr noch: Von den nach der Regel "Frauen und Kinder zuerst" beladenen Booten waren manche unterbesetzt, meist mit Passagieren der 1. Klasse. Alle Widrigkeiten zusammen kosteten 1.517 Menschen das Leben. Als in der Morgendämmerung der Dampfer Carpathia die Überlebenden in den Booten an Bord nahm, waren die Hunderte der im eiskalten Wasser Treibenden bereits an Unterkühlung gestorben.

Bis heute hat der Name Titanic einen magischen Klang. 1985 wurde das Wrack in 4000 Metern Tiefe entdeckt. In der Folgezeit bargen Tauchexpeditionen immer wieder denkwürdige Dinge, wie die Schiffspfeifen, die 1999 in Minneapolis einmal angeblasen wurden.
Das Wrack des Ozeanriesen aber bleibt auf dem Meeresgrund – Mythos und Metapher zugleich für die Verwundbarkeit technischen Fortschritts.