Mehr Sicherheit durch das neue Transplantationsgesetz

Hans Lilie im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 01.08.2012
Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Hans Lilie, hat das neue Transplantationsgesetz begrüßt. Der Strafrechtler sagte, er sei insgesamt zufrieden, weil die Sicherheit der Organspende auf der Basis der EU-Richtlinie mit dem Gesetz umgesetzt worden sei.
Korbinian Frenzel: 75 Prozent aller Menschen in Deutschland sind eigentlich dazu bereit, ihre Organe zu spenden für andere, die sie dringend brauchen, um überleben zu können. Das sagen Umfragen. Fakten erzählen eine andere Geschichte: Gerade einmal 20 Prozent der Deutschen haben nämlich das, was dafür dringend notwendig wäre – einen Organspendeausweis. Das mag viele Gründe haben, das mag auch an Skandalen wie dem in Göttingen liegen, der gerade ans Tageslicht gekommen ist. Es ist in jedem Fall eine Situation, die sich ändern soll.

Heute tritt deshalb ein neues Transplantationsgesetz in Kraft. Darüber spreche ich jetzt mit Professor Hans Lilie von der Universität Halle-Wittenberg. Er ist Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Guten Morgen, Herr Lilie!

Hans Lilie: Guten Morgen, ich grüße Sie, Herr Frenzel!

Frenzel: Alle Bürger ab 16 Jahren in Deutschland – das ist einer der Kernpunkte dieser Gesetzesnovelle – werden künftig von ihrer Krankenkasse gefragt, ob sie sich zur Organspende bereit erklären oder nicht. Wird das den Mangel an Spendeorganen deutlich senken können?

Lilie: Das kann ich nicht vorhersagen. Ich muss Sie ein klein bisschen korrigieren: In der Tat tritt das Transplantationsgesetz am 1. August in Kraft, die Veränderung. Allerdings, diese spezifische Regelung tritt erst im November in Kraft, das hat der Gesetzgeber aufgeschoben in zwei Akte sozusagen. Aber das ändert ja nichts an unseren Problemen.

Frenzel: Das heißt, dann werden die Bürger gefragt, was sie bisher freiwillig entscheiden müssen. Glauben Sie denn, dass es daran liegt, dass sich die Menschen nur nicht die Mühe machen, den Organspendeausweis zu beantragen? Oder gibt es da auch mögliche Bedenken?

Lilie: Ich glaube, das ist ein schwieriges und komplexes Problemgebiet, weil wir uns bei der Frage des Organspendeausweises zunächst mit unserem eigenen Tod befassen müssen. Und es ist ein, tja, fast komisches Phänomen. Wir wissen alle, dass wir sterben müssen. Aber sich damit auseinandersetzen, das mag niemand.

Das erklärt auch die Diskrepanz zwischen den mündlichen Erklärungen und den Organspendeausweisen im Portemonnaie. Und diese neue Befragung der Bürger soll es den Menschen erleichtern, soll sie darauf aufmerksam machen, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Frenzel: Sie selbst hatten diese Gesetzesnovelle, die ja auch weitere Maßnahmen beinhaltet – Qualitätssicherung ist da ein Stichwort – ja dringend angemahnt, vor Jahren schon. Sind Sie zufrieden insgesamt mit den Neuregelungen?

Lilie: Wir sind insgesamt zufrieden, weil zunächst mal die Sicherheit der Organspender auf der Basis dieser EU-Richtlinie mit diesem Gesetz in Deutschland umgesetzt wurde. Darüber hinaus sind – und das ist vor dem Hintergrund der Ereignisse in Göttingen wichtig – die Befugnisse der Kontrollkommission, also der Überwachungs- und Prüfungskommission der Bundesärztekammer deutlich gestärkt, weil jetzt Krankenhäuser, die Deutsche Stiftung Organspende, die DSO, und Eurotransplant diesen Überwachungs- und Prüfungskommissionen alle angeforderten Unterlagen vorlegen müssen.

Frenzel: Das heißt, dieser Göttinger Skandal beinhaltete ja die Situation, dass dort ein Arzt, möglicherweise mehr Patientendaten gefälscht haben, die die Situation dramatischer dargestellt haben, den Patienten kranker gemacht haben, um eben früher ein Spenderorgan zu bekommen. Können Sie mit dieser Neuregelung, die in Kraft tritt, künftig solche Missbräuche verhindern?

Lilie: Sie können einen trickreichen Missbrauch fast nie verhindern. Wir können ihn besser aufklären, weil sich diejenigen nicht mehr hinter ihrer ärztlichen Schweigepflicht wegducken können, sondern alles auf den Tisch legen müssen. Wenn jemand in fast krimineller Manier ein System manipuliert und da so viel Böswilligkeit und unethisches ärztliches Verhalten an den Tag kommt, das können Sie genau so wenig verhindern, wie Sie einen untreuen Buchhalter oder in anderen Bereichen Schummeleien verhindern können. Das ist menschliches Versagen, und da kommen Sie mit noch so viel gesetzlicher Kontrolle nicht ran.

Frenzel: Aber Sie werden es besser kontrollieren können, besser eingrenzen können?

Lilie: Das ist der Fall. Vor allen Dingen, bislang sind die Ärztinnen und Ärzte in Transplantationszentren eigentlich nicht verpflichtet, die Unterlagen herauszugeben. Das ist praktisch ein freiwilliger Akt.

Und da ist jetzt, was schon lange auch von mir persönlich gefordert wurde, vom Gesetzgeber ein Riegel vorgeschoben. Es besteht jetzt eine Vorlagepflicht, das fast dem ähnelt, was man auch bei der Staatsanwaltschaft tun muss, wenn die Unterlagen dort angefordert werden.

Frenzel: Schauen wir noch mal auf die Gesetzesnovelle: Künftig sind sogenannte Transplantationsbeauftragte vorgeschrieben für alle Kliniken, die Organe entnehmen können. Wenn ich das Wort Beauftragte höre, denke ich erst mal an zusätzliche Bürokratie, nicht unbedingt an Nutzen. Warum sind sie wichtig?
Lilie: Hier geht es darum, im Krankenhaus die Interessen der Organspende bei einem Experten oder einer Expertin zu bündeln. Bislang war das eine Frage, die mit einem gewissen Selbstverständnis auf Intensivstationen praktiziert wurde, und wir haben dort deutliche Unterschiede. Man muss auch mal ganz deutlich in der Öffentlichkeit sagen, dass es Universitätskliniker in Deutschland gibt, die weniger als fünf Organspender im Jahr melden.

Hier ist sicherlich ein weites Arbeitsfeld für den Transplantationsbeauftragten in der Zukunft, der eben schaut, wo man verstorbene Menschen hat, deren Organe für die Organspende noch in Betracht kommen, und der sich dann darum kümmert, dass die Kliniken diese Organspende organisieren.

Frenzel: Also, wenn ich Sie richtig verstehe, ist es ganz häufig das Problem, dass jemand beispielsweise im Krankenhaus verstirbt, man aber gar nicht genau hinschaut, ob eventuell Organe dort in diesem Körper eben noch vorhanden sind, die man verwenden könnte?

Lilie: Das sind ja Fälle – und nur die kommen in Betracht –, wo der Mensch an dem Hirntodsyndrom verstirbt. Das sind in der Regel Patienten, die beatmet sind, und oft wird auf der Intensivstation an diese Möglichkeit schlicht und einfach in der Stresssituation des Verlusts eines Patienten und des Verlusts eines Angehörigen gar nicht daran gedacht. Und dieses Daran-Denken, Sich-darum-Kümmern, das soll diese Institution jetzt sicherstellen.

Frenzel: Heute tritt das neue Transplantationsgesetz in Kraft. Professor Hans Lilie, der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer, war das im Interview. Herr Lilie, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Lilie: Bitte, gerne, Herr Frenzel, auf Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.