Massaker in My Lai

Von Michael Marek · 16.03.2008
My Lai wurde zum Inbegriff des Vietnamkriegs. Kaum ein anderes Ereignis Ende der 60er Jahre hat die Weltöffentlichkeit so bewegt wie das Massaker, bei dem US-Soldaten mehr als 500 vietnamesische Dorfbewohner kaltblütig ermordeten. Das Kriegsverbrechen besiegelte den moralischen Zusammenbruch der Vereinigten Staaten in Südostasien.
Die Sonne geht gerade über dem südchinesischen Meer auf, als Kampfhubschrauber der US-Armee die kleine Ortschaft erreichen: My Lai, 540 Kilometer nordöstlich von Saigon. Es ist der 16. März 1968. Seit drei Jahren führen die USA Krieg gegen Nordvietnam. Soldaten der "Charlie Company" umzingeln das Dorf - auf der Suche nach südvietnamesischen Kommunisten, den Vietcong, wie sie vom US-Militär bezeichnet werden.

"Der Befehl lautete, alle im Dorf zu töten. Irgendwer fragte, ob damit auch Kinder und Frauen gemeint seien. Und die Antwort war: Alle im Dorf!"

Unter dem Kommando des 24-jährigen Lieutenants William Calley werden 504 Kinder, Frauen und Männer ermordet, werden Tiere abgeschlachtet, Brunnen vergiftet, Häuser und Lebensmittelvorräte in Brand gesteckt. Pham Thanh Cong gehört zu den wenigen Überlebenden:

"Als das Massaker geschah, war ich elf Jahre alt. Wir waren sechs Personen in meiner Familie. Als die amerikanischen Soldaten kamen, haben sie fünf von uns getötet. Nur ich blieb zwischen den Leichen meiner Familie am Leben."

Überall liegen ermordete Dorfbewohner, mit Bajonetten und Messern verstümmelt. GIs haben Ohren und Köpfe abgetrennt, Kehlen aufgeschlitzt und Zungen herausgeschnitten - My Lai gleicht einem Schlachthaus. General Kenneth Hodson:
"Es war ein Massaker, es war kaltblütiger Mord."

Pham Thanh Cong:

"Wir Geschwister und meine Mutter wurden von amerikanischen Soldaten in einen Bunker getrieben. Danach haben sie uns mit Handgranaten beworfen und mit Gewehren auf uns geschossen. Meine Mutter und meine kleineren Geschwister waren total zerfetzt, aber ihre Körper haben mich beschützt. Ich war an vielen Stellen verletzt und lag bewusstlos in diesem Bunker mit all den Leichen."

Dem US-Militär gelingt es, über 18 Monate lang die Ermordung der Dorfbewohner von My Lai zu vertuschen. Bis der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh die Vorgänge rekonstruieren kann. Die Vereinigten Staaten sind schockiert: US-Soldaten von den Medien entlarvt als eine Bande von Massenmördern. Einige der beteiligten Soldaten sprechen von einem Verbrechen, das nicht wiedergutzumachen sei, während Lieutenant William Calley sich vor einem Kriegsgericht verantworten muss:

"Eine der größten Tragödien meines Lebens ist es gewesen, militärische Operationen ausgeführt zu haben für eine Sache, die ich nicht kannte. Dazu kamen die Verletzung und die Frustration darüber, keinerlei Vorstellungen gehabt zu haben, warum ich tat, was ich tat."

Aus einem internen Bericht des US-Militärs geht hervor, dass Offiziere von dem Massaker gewusst hatten, sich aber aus Sorge um die eigene Karriere nicht rührten. Und dass die Geschehnisse in My Lai nicht die Ausnahme waren, sondern die Regel, nicht die Exzesse Einzelner, sondern gewollte Taktik des Pentagon.

Schließlich wird William Calley 1971 wegen vorsätzlichen Mordes an "menschlich-orientalischen Wesen" zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der hochdekorierte Offizier erhält eintausend Fanbriefe mit immer dem gleichen Inhalt: Er diene als Sündenbock und müsse für die Fehler der Regierung herhalten.

Calley bleibt der einzige seiner Einheit, der für das Massaker verurteilt wird. Doch US-Präsident Nixon begnadigt den Offizier nach kurzer Haft. Die wenigen Überlebenden wie Pham Thanh Cong sind für ihr Leben gezeichnet. Bis heute haben sie keine Wiedergutmachung von den USA erhalten. Pham Thanh Cong:

"Wir fordern aber auch nichts dergleichen. Wir haben keine Unterstützung und keine Entschädigung von den Amerikanern erhalten. So sieht es aus."