Marieluise Beck: Kosovo-Status nicht verhandelbar

Marieluise Beck im Gespräch mit Gabi Wuttke · 21.05.2012
Die Sprecherin für Osteuropapolitik der grünen Bundestagsfraktion, Marieluise Beck, hat den neuen serbischen Präsidenten Nikolic gewarnt, den Status des Kosovo neu verhandeln zu wollen. Sie kritisierte außerdem, dass die EU hinsichtlich des Kosovo keine Geschlossenheit zeige.
Gabi Wuttke: Eine große Überraschung. Boris Tadic, der pro-europäische Präsident Serbiens, hat sein Amt verloren. Über 70 Prozent der Stimmen sind ausgezählt gewesen am frühen Morgen. Inzwischen ist es amtlich: Sein Nachfolger Tomislav Nikolic, der Nationalist, der immer noch von einem Großserbien träumt, auch wenn er vom EU-Beitritt redet, bekam 49,8 Prozent der Stimmen. Um 6:50 Uhr begrüße ich am Telefon die Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen Bundestagsfraktion, Marieluise Beck, schönen guten Morgen!

Marieluise Beck: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Kann die EU jetzt nur noch auf die Anfang Mai gewählte Regierung hoffen, in die es die Partei von Nikolic nicht geschafft hat, obwohl sie stärkste Kraft wurde?

Beck: Die Frage wird sein, ob diese Regierung überhaupt Bestand hat. Oder ob der Koalitionspartner von Herrn Tadic, der ehemalige Innenminister Dacic, die Seiten wechseln wird. Ich halte das nicht für ausgeschlossen, weil er politisch Herrn Nikolic eigentlich näher steht als der Sozialdemokratie und dem ehemaligen Präsidenten Tadic.

Wuttke: Das ist eine weitere schlechte Nachricht, die da also kommen könnte?

Beck: Das ist eine schlechte Nachricht, wenn diese politischen Repräsentanten sich der Illusion hingeben, dass sie der EU beitreten könnten und trotzdem in der Kosovo-Politik bei den Scharfmachern bleiben könnten.

Wuttke: Das heißt, Sie gehören auch zu denen, die vorsichtig sind, wenn Tomislav Nikolic jetzt sagt, er wisse zwar, er könne von einem Großserbien weiter träumen, aber er befürworte einen EU-Beitritt des Landes.

Beck: Ja, das wird man sich anschauen müssen. Er hat ja diese Wahlen nicht so sehr mit nationalistischen Parolen und einer Debatte um das Kosovo gewonnen, sondern er hat die Wahlen gewonnen, weil er auf den wirtschaftlichen Stillstand und, man muss sogar sagen, die Abwärtsentwicklung in Serbien hingewiesen hat, und die ist auch tatsächlich dramatisch. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem hoch. Die serbische Bevölkerung leidet unter einem spürbaren Rückgang ihrer Lebenssituation, ihrer materiellen Lebenssituation. Und das macht er seit einiger Zeit zu seinem Thema und lastet es der Sozialdemokratie und Präsident Tadic an. Wenn er diese Situation verbessern will, muss er sich anlegen mit den Oligarchen, mit der Korruption im Land und muss auch eine EU-Perspektive glaubhaft verfolgen. Das wird nicht gehen, wenn er auf die nationalistische Karte setzt und zum Hauptthema die Wiederangliederung, Nichtanerkennung oder Spaltung des Kosovo macht.

Wuttke: Aber wie glaubhaft ist Nikolic denn, wenn er noch vor fünf Jahren gesagt hat, niemand soll mir erzählen, dass Karacic und Mladic Verbrecher sind. Sie haben ihn persönlich getroffen. Welchen Eindruck machte er auf Sie?

Beck: Er war in Berlin. Er war sehr zurückhaltend, natürlich wusste er, auf welchem Territorium er sich bewegt. Und er hat auch dort betont, dass er in die EU wolle. Welchen Illusionen er anhängt, inwieweit man die EU auch in der Frage des Kosovo noch einmal neu aufstellen könnte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Das Problem ist ja, dass die EU auch in Fragen des Kosovo nicht mit einer Stimme spricht, sondern von den 27 EU-Mitgliedsstaaten nur 22 das Kosovo anerkannt haben, und das natürlich die Illusion verbreiten kann bei jeder serbischen Regierung, es könne die Kosovo-Frage noch einmal neu aufgemacht werden. Was übrigens der Innenminister der Tadic-Regierung auch so gesehen hat. Also auch unter Tadic war diese Frage nicht wirklich klar.

Wuttke: Aber nach dem, was Sie mit Blick auf die Regierung befürchten und was heute morgen feststeht, nämlich dass so gesehen Boris Tadic sich selbst abgeschafft hat, denn er war es ja, der Neuwahlen angesetzt hat. Wurde Serbien zu schnell EU-Beitrittskandidat?

Beck: Diese Entscheidung ist ein Stück mit dem Blick darauf gefällt worden, dass man einer reformwilligen und auch friedenswilligen Regierung wie Präsident Tadic Rückenwind verschaffen wollte. Solche Entscheidungen gehen zwar immer einerseits nach Kriterien, aber natürlich gibt es auch politische Spielräume, zu entscheiden. Dass man das versucht hat, finde ich nach wie vor richtig. Aber man kann eben sehen, es hat nicht ausreichende Teile der serbischen Bevölkerung erreicht. Die Wahlbeteiligung liegt unter 50 Prozent. Das heißt, man muss sich klarmachen, dass viele Menschen in Serbien nicht das Gefühl hatten, sie hatten wirklich eine echte Wahl und es würde sich lohnen für sie, zur Wahl zu gehen.

Wuttke: Wenn wir noch mal auf Anfang Mai gucken, da wurde Nikolics Partei mit 25 Prozent die stärkste Kraft. Sie haben es gerade gesagt, 55 Prozent der Serben sind nicht wählen gegangen jetzt bei dieser Stichwahl. Noch weniger als Anfang Mai. Was meinen Sie, fühlt sich die Mehrheit von der Politik nicht vertreten, sowieso verlassen, oder hat man diese Stichwahl unterschätzt?

Beck: Ich glaube, dass Ihre Einschätzung, dass sich viele Menschen in Serbien durch die Politik oder die Politiker, muss man auch sagen, nicht vertreten fühlen, sicherlich zutrifft. Wenn die materielle Situation sich ständig verschlechtert, wenn die eigenen Söhne und Töchter keine berufliche Perspektive bekommen, dann stärkt das natürlich nicht das Vertrauen in eine Regierung, die nun seit vielen Jahren im Amt ist, die auch durchaus wertvolle Schritte unternommen hat, gerade auch in der Bewältigung der ja doch sehr dunklen Vergangenheit des ehemaligen Jugoslawien und der serbischen Rolle in ihr. Aber natürlich wollten die Menschen auch sehen, dass es jetzt wirtschaftlich nach vorne geht. Und das ist leider bisher nicht gelungen.

Wuttke: Nach der Stichwahl um das serbische Präsidentenamt mit einem neuen Präsidenten in spe, dem Nationalisten Tomislav Nikolic, das Interview in der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur mit Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik der grünen Bundestagsfraktion. Frau Beck, besten Dank, schönen Tag!

Beck: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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