"Man muss jetzt in die Jugendlichen investieren"

Laszlo Andor im Gespräch mit Christopher Ricke · 14.03.2013
Fast jeder vierte EU-Bürger unter 25 Jahren ist arbeitslos. Mit einer Jobgarantie sollen sich die Mitgliedsstaaten verpflichten, Stellen und Praktika anzubieten. Sozialkommissar Laszlo Andor fordert aber auch: "Junge Menschen müssen bereit sein, ihre Heimatregion zu verlassen."
Christopher Ricke: Europa droht eine verlorene Generation: Knapp sechs Millionen Menschen unter 25 suchen verzweifelt oder auch schon resigniert einen Job in der Heimat, auch in der ganzen Europäischen Union. In Ländern wie Spanien und Griechenland ist fast jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. Der EU-Kommissar für Soziales und Beschäftigung, László Andor, hat vor zwei Wochen gemeinsam mit den Ministerkollegen der EU-Staaten die sogenannte Job- oder auch Jugendgarantie auf den Weg gebracht, das heißt, die EU-Staaten verpflichten sich, Jugendlichen spätestens vier Monate nach dem Ende ihrer Ausbildung oder dem Verlust eines Arbeitsplatzes entweder eine Stelle oder eine Lehrstelle oder wenigstens ein Praktikum zu verschaffen. Vorbild dieser Jobgarantie gibt es, Finnland oder Österreich. Und ich habe mit EU-Kommissar Andor gesprochen, Herr Andor, woher sollen die denn innerhalb kürzester Zeit, in diesen vier Monaten, fast sechs Millionen Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze oder Praktikumsplätze bekommen?

Laszlo Andor: Der Vorschlag für diese Jugendgarantie, den gab es ja schon im Dezember 2012. Und innerhalb der ersten drei Monate hat man sich auch wirklich dazu entschlossen, haben sich auch die verschiedensten Minister der einzelnen Länder dazu entschlossen, das einzuführen. Weil, wir stehen vor einer wirklich sehr ernsten Situation und die EU-Kommission hat bereits sechs Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um diese Jugendgarantie zu ermöglichen. Das heißt natürlich noch nicht, dass sofort auch gleich immer Jobs entstehen, aber es ist allen Beteiligten klargeworden, dass ohne eine dringende Handlung wir wirklich von einer verlorenen Generation sprechen müssen, vor allen Dingen in Südeuropa. Und jetzt geht es darum, dass sich die einzelnen Mitgliedsstaaten auch helfen, dass das koordiniert wird, dass sie sich gegenseitig unterstützen, um das eben auf den Weg zu bringen.

Ricke: Besteht nicht die Gefahr, dass die Jugendlichen sozusagen in Praktika geparkt werden, nur damit sie aus der Statistik verschwinden? Man muss ja etwas tun, damit es die Jugendlichen wirklich erreicht!

Andor: Nein, es geht auf keinen Fall darum, nur ein bisschen Kosmetik zu betreiben oder die Statistiken zu schönen, sondern es soll Jugendlichen wirklich eine echte Möglichkeit geboten werden, weil sich die Mitgliedsstaaten auch verpflichten sollen, hochqualitative Jobs anzubieten oder eben Praktika anzubieten. Natürlich verzögern die Praktika den Eintritt auf dem richtigen Arbeitsmarkt, aber es ist dennoch so, dass, wenn man ein gutes Praktikum absolviert hat, dass dann schon die Chance für die Jugendlichen besteht, später eben einen guten Job annehmen zu können!

Ricke: Österreich und Finnland haben ähnliche Projekte bereits aufgelegt, sie haben damit auch Erfolg. Aber sie mussten auch investieren, richtig Geld in die Hand nehmen. Auf die EU hochgerechnet könnte die Versorgung der Jugendlichen rund 20 Milliarden Euro kosten! Woher soll denn dieses Geld kommen?

Andor: Die Jugendgarantie würde jährlich 20 Milliarden kosten. Aber wenn man gar nichts tut, dann würde es das Gesamtbudget der EU um ein Prozent belasten. Und da reden wir dann von … Das ist etwa ein Prozent dieses Budgets und da reden wir dann von 150 Milliarden Euro! Das heißt, man muss jetzt in die Jugendlichen investieren, ihnen diese Garantie geben. Und sicherlich sind diese sechs Milliarden, die erst mal zur Verfügung gestellt worden sind, noch nicht genug. Aber auf einen längeren Zeitraum hin kann man eben auch sparen! Die Sozialhilfe kann gespart werden, die sozialen Fonds, die es in den einzelnen Ländern gibt, können sparen, auch die Arbeitsämter könnten sparen. Und dadurch ist es eine langfristige Investition, von der wir hier reden.

Ricke: Wenn man es sehr stark vereinfacht, kann man sagen, im Süden der Europäischen Union gibt es gut ausgebildete junge Menschen, die Arbeit suchen, und im Norden der Europäischen Union gibt es Unternehmen, die dringend gut ausgebildete Menschen brauchen! Warum bringt man die Jobs nicht zu den Leuten in den Süden oder die Leute vom Süden zu den Jobs im Norden?

Andor: Beides muss geschehen! Es ist schon so, dass wir von einer Offenheit hier reden, auch von einer Mobilität, dass junge Menschen auch bereit sein müssen, ihre Heimatregionen zu verlassen, beispielsweise auch in andere EU-Mitgliedsländer zu gehen, um dort Arbeit zu finden. Andererseits ist es auch so, dass die Arbeit auch dahin gehen muss, wo junge Leute leben und wo es eine Rezession, eine wirtschaftliche Rezession gibt. Also, da muss einfach eine Wirtschaftspolitik gefunden werden, die dann auch wieder Wachstum ermöglicht!

Ricke: Wenn wir jetzt in der Europäischen Union tatsächlich 20 Milliarden im Jahr in die Hand nehmen, um Jugendprojekte zu fördern, dann ist das Geld, das von den Steuerzahlern kommt. Und davon will der Steuerzahler sozusagen als Return of Investment auch irgendwann mal wieder etwas sehen! Ihr Heimatland Ungarn hat ja gerade Studenten verpflichtet, nach dem staatlich alimentierten Studium eben nicht nach Österreich oder nach Deutschland oder nach England zu gehen, sondern in Ungarn zu bleiben! Ist da die Regierung Orbán auf dem richtigen Weg?

Andor: Nun, dazu muss ich sagen: Auch Ungar ist für die Jugendgarantie und man ist auch selber stark betroffen, weil die Jugendarbeitslosigkeit in Ungarn etwa 30 Prozent beträgt, da besteht also akuter Handlungsbedarf. Es ist aber leider wahr, dass diese sogenannten Studentenverträge in Ungarn existieren, und sie sind nicht konform mit den EU-Gesetzen. Und da befindet sich die EU in einem Konflikt mit der ungarischen Regierung, weil beispielsweise die Bewegungsfreiheit von EU-Bürgern damit eingeschränkt wird. Wir haben uns diesbezüglich mit den ungarischen Behörden auseinandergesetzt, etwa vor einem Jahr zuerst von einem Stadium von Expertengesprächen, aber auch schon politischen Gesprächen, und die ungarische Regierung hat es nicht geschafft uns zu erklären, warum sie diese Maßnahmen ergriffen hat. Es ist nicht einzusehen, warum ein Student in Ungarn, der staatliche Unterstützung erhält, doppelt so lange in Ungarn bleiben muss, wie sein Studium gedauert hat! Also, das empfinden wir in der EU durchaus als eine Einschränkung.

Ricke: EU-Sozialkommissar Laszlo Andor, vielen Dank!

Andor: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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