Literaturscouts in New York

Auf der Suche nach dem nächsten Bestseller

Buchladen in Williamsburg, Brooklyn, New York
Buchladen in Williamsburg, Brooklyn, New York © imago/UIG
Von Beatrice Faßbender und Ulrich Rüdenauer · 20.10.2017
Was sich in den USA verkauft, funktioniert meist auf der ganzen Welt. Also schicken Verlage Literaturscouts besonders nach New York, dem Mekka der nordamerikanischen und internationalen Literatur. Die Scouts haben feine Spürnasen und sind vor allem eines: schnell.
Der nordamerikanische Literaturmarkt besitzt besondere Attraktivität: Verlage aus der ganzen Welt wollen dort nicht nur eigene Autoren etablieren, sie möchten auch die US-Bestseller und trendsetzenden Bücher übernehmen. Denn was sich in den USA verkauft, funktioniert meist auf der ganzen Welt.
Um frühzeitig und schnell Shooting Stars oder wichtige Themen zu entdecken, setzen die Verlage auf Literaturscouts. Scouts – nicht zu verwechseln mit Literaturagenten – sind nicht nur geübte Leser. Sie machen Vorschläge, knüpfen Kontakte, sind – ganz transatlantisch – in vielen literarischen Szenen zu Hause, kennen tausend Leute, haben ausgeprägte Spürnasen und müssen vor allem eines sein: schnell.

Auszug aus der Sendung:

Ulrike Ostermeyer: "Man sagt gerne Trüffelschweine, das ist auch so. Und findet dann für uns auch oftmals Dinge, Texte oder hört von etwas, was wir dann so weit weg gar nicht mitkriegen würden."
Maria Campbell führt eine der größten und wichtigsten Scouting-Agentur in Manhatten: "Der entscheidende Unterschied zwischen einem Agenten und einem Scout ist, dass ein Agent etwas verkauft und der Scout nicht. Scouts sind eine Gattung für sich. Der Job ist inzwischen zwar etwas populärer geworden, aber selbst im Verlagswesen werde ich immer wieder mal gefragt, was ich eigentlich mache. Ich versuche es dann zu beschreiben, gebe aber wieder auf und sage: 'Ja, ich bin Übersetzerin.'"
Kelly Farber: "Dann habe ich beschlossen zu kündigen, und das hier zu machen, eigentlich vor allem, weil ich es aufregender fand als meinen Alltag in der Agentur."
Bettina Schrewe: "Man ist einfach ein bisschen hier und here and there and everywhere und versucht eben, sich das heiße Manuskript of the moment zu ergattern."

Mysteriöse Wesen des Literaturbetriebs

Scouts – nicht zu verwechseln mit Literaturagenten – sind die mysteriösesten Wesen des Literaturbetriebs: Sie haben ihre Augen und Ohren überall, sind aber fast unsichtbar. Trüffelschweine werden sie genannt. Oder Spione. Der Begriff Scout bedeutet "Kundschafter", "Beobachter" oder – etwa im militärischen Bereich – "Späher". Pfadfinder heißen im Englischen Boy Scouts. Aus dem Sport kennt man Scouts – jeder Profi-Fußballverein hat einen ganzen Stab solcher Talentsucher, die in Stadien und auf Trainingsplätzen vielversprechende Spieler aufspüren sollen. Will man herausfinden, was ein Scout in der Literaturszene macht, fliegt man am besten nach New York, dem Zentrum der amerikanischen Buchwelt. Es ist eine sehr überschaubare Branche: 16 Scouting-Agenturen gibt es in der Stadt, darunter kleinere Unternehmen mit zwei, drei Mitarbeitern und große, weltweit agierende, die zehn und mehr Angestellte haben. Ein Witz, verglichen mit den knapp 600 klassischen Literaturagenturen in New York. Doch man darf diese kleine Scout-Gemeinschaft nicht unterschätzen: Im weltweiten Buchgeschäft spielt sie eine beachtliche Rolle.

Die New Yorker Buchwelt residiert in Manhattan

Auch wenn manch kleinerer Verlag, manch kleinere Agentur inzwischen in Brooklyn beheimatet sind, gilt noch immer: Die New Yorker Buchwelt residiert in Manhattan. Wir sind verabredet mit Maria Campbell. Ihre Scouting-Agentur an der südlichen Park Avenue ist eine der größten und wichtigsten. Campbell ist eine charismatische Frau, eloquent, charmant, einnehmend und ausgesprochen heiter. Die Tochter italienischer Einwanderer ist schon lange im Geschäft: 1994 gründete sie Maria Campbell Associates. Inzwischen hat die Agentur zehn Mitarbeiter in New York, zweieinhalb in London und ist weltweit für 21 Verlage sowie für das Online-Filmportal Netflix tätig.
Maria Campbell: "Ein Scout bewohnt eine Art graue Zone, deswegen ist da soviel ... Mystik wäre falsch, das wäre zu glorifizierend ... aber immer wieder heißt es: 'Was macht ein Scout eigentlich?' Man läuft wie ein KGB-Agent durch die Gegend, und alle fragen: 'Wie kommt ihr an eure Informationen?' Und man liest und trifft sich mit anderen, die auch lesen, und man kommt über die Bücher zusammen. Es ist eigentlich ganz einfach."
Beatrice Faßbender und Ulrich Rüdenauer haben einige dieser "Trüffelschweine" in New York besucht, dem Mekka der nordamerikanischen und internationalen Literatur. Ihr Feature blickt hinter die Kulissen großer und kleiner Scouting-Agenturen und berichtet vom Wandel einer Branche in Zeiten der Digitalisierung.
Das ausführliche Manuskript als pdf-Version und im barrierearmen txt-Format
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