Lillifee unterm Weihnachtsbaum

Von Julia Friedrichs · 21.12.2012
Rosa für Mädchen, blau für Jungs - so einfach war die geschlechtsspezifische Farbenlehre noch in den späten 60er-Jahren. Seitdem ist die Palette um einiges bunter geworden. Kein Wunder, dass sich die Autorin Julia Friedrichs an der Supermarktkasse über rosa-eingefärbte Produkte ärgert.
Es ist nicht einfach, das richtige Weihnachtsgeschenk für ein Kind zu kaufen. Moment, das muss ich anders formulieren – für ein kleines Mädchen oder einen kleinen Jungen. "Kinder" scheint es keine mehr zu geben, zumindest in den Augen derer, die viele der Produkte entwickeln, die Prospekte und Regale füllen. Die kennen nur komplett unterschiedliche Spezies, eben: Jungen und Mädchen. Diese leben offenbar in völlig unterschiedlichen Lebensräumen, haben unterschiedliche Vorlieben, Träume, Hoffnungen und Geschmäcker.

Also, was könnten Sie ihnen schenken, diesen Jungen und Mädchen?

Jungs das Übliche: Piraten, Dinos, Autos, Eisenbahnen. Und wenn Sie dann noch eine Hose suchen, dann ist die, die Ihnen angeboten wird, so weit geschnitten, dass sich das Kind darin auch bewegen kann. Sie sollten nur kein Problem damit haben ihr männliches Kleinkind mit dämlichen Slogans wie: Adventure Boy oder Offroad Kid zu markieren.

Kommen wir zu der zweiten Spezies. Den kleinen Mädchen. Die, so suggerieren die Hersteller, ticken völlig anders. Die mögen nämlich: Prinzessinnen, Tänzerinnen und Models. Und sie ertragen offenbar nur einen schmalen Ausschnitt aus der großen, weiten Farbpalette: rosa, rosa und noch einmal rosa und dann vielleicht noch lila und türkis. Und die Hose, die Sie dem kleinen Mädchen schenken können, ist oben eng geschnitten, sie umschließt das Bein so fest, das Toben fast unmöglich ist und weitet sich erst am Knöchel zum kecken Schlag. Ach ja, und draufgestickt sind nicht nur Blümchen, sondern auch Variationen der obigen Themen: Little Princess, Tiny Dancer, Beautiful Lady. Für die kleinen Mädchen gibt es außerdem Malbücher, in denen sie Supermodels kolorieren sollen, es gibt Schminkkoffer und Schmucktruhen für Dreijährige.

Diese Diskussion ist alt, sagen Sie? Es hätte immer Puppen für die einen und Autos für die anderen gegeben? Barbies und Ritter? Ja, sicher. Aber dennoch waren das damals Tage der Unschuld, aus heutiger Sicht fast Tage der Geschlechtergleichheit.

Ich bin in den 80ern aufgewachsen. In einer Zeit, in der Kinderkleidung so geschlechts-uneindeutige Farben hatte wie orange, grün oder knallrot – ja, richtig, rot. Nicht rosa. Hosen waren Hosen, Fahrräder Fahrräder und Rucksäcke Rucksäcke. Heute gibt es all diese Produkte in Mädchen- und Jungenvarianten. Und zwar so eindeutig gekennzeichnet, dass ein bewusstes, pädagogisches Danebengreifen schier unmöglich ist. Man müsste sein Kind zur Geschlechterrebellion zwingen, wenn man sich doch einmal in die "falsche" Abteilung wagt. Neutral ist selten geworden.

Nehmen wir Lego Duplo. Die dicken Bauklötze, mit denen die Allerkleinsten spielen. Lange stapelten Kinder einfach rote und blaue und grüne Blöcke zu Häusern und Türmen. Ein Spielzeug für alle. Nun aber ordnet Lego selbst die Zweijährigen klaren Geschlechterkategorien zu. Die "fantastische DUPLO Mädchen-Steinebox" schreibt das Unternehmen, sei "speziell für Mädchen entwickelt und hübsch aufgemacht". Sie enthalte eine ganze Reihe von DUPLO Grundbausteinen in Pink. Dazu gibt es das Kuchenset, mit dem zweijährige Mädchen Cupcakes und Muffins zusammenbauen sollen.

Mit sechs Jahren dann sollen die kleinen Mädchen zur neuaufgelegten Lego Friends Serie wechseln. Fünf Lego-Weibchen leben in einer pinken Kleinstadt. Dort haben sie einen Schönheitssalon, ein Hundewelpen-Häuschen und ein lilafarbenes Cabrio. Eine schöne Vorbereitung auf den späteren Beruf der "wohlhabenden Gattin".

Und die Spielfiguren der Friends-Reihe sind übrigens auch nicht mehr eckig und kurzbeinig, sondern lang gestreckt und dünn. Ein Phänomen, das sich in Puppenabteilungen und in Fernsehserien für Mädchen fortsetzt: Medienwissenschaftler haben ausgemessen, dass zwei Drittel der aktuellen Trickfilmheldinnen Körper haben, die dünner sind als jede Barbie.

Und wer trägt nun die Verantwortung für die Apartheid im Kinderzimmer? Die Spielzeugfirmen – die ein Interesse daran haben, dass der große Bruder weder sein Lego-Set, noch seine Puppe oder Hose an die kleine Schwester weiterreichen kann? Oder wir alle – all die Eltern und Großeltern und Tanten und Onkels, die wir mit unseren Einkäufen mithelfen, die Welt zweizuteilen. In eine blaue Hälfte für abenteuerlustige Jungen und eine rosafarbene für niedliche Mädchen. Vielleicht könnten wir ja an Weihnachten ein paar gelbe, grüne und rote Päckchen unter den Baum legen – mit Geschenken für Kinder.

Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, arbeitet seit ihrem Journalistik-Studium als freie Autorin von Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen. Im Jahr 2007 wurde sie für eine Sozialreportage mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten und dem Ludwig-Erhard-Förderpreis ausgezeichnet. Buchveröffentlichungen: "Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen" (2008), "Deutschland dritter Klasse. Leben in der Unterschicht" (mit Eva Müller und Boris Baumholt, 2009), "Ideale. Auf der Suche nach dem, was zählt" (2011)
Die Schriftstellerin Julia Friedrichs
Die Schriftstellerin Julia Friedrichs© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
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