Liebesträume in Weimar

Von Ulrike Greim · 18.08.2005
Das Kunstfest Weimar wird in diesem Jahr mit einer dezenten erotischen Note versehen. Unter dem Motto "Liebesträume" werden Musik von Klassik bis Pop, ein wenig Tanztheater, Lesungen, Ausstellungen, Kino, ein Stadtfest geboten. Kunstfest-Intendantin Nike Wagner beruft sich hierbei erneut auf ihren Vorfahren Franz Liszt.
"Der Flirt von Alt und Neu, das Herüberziehen der Tradition in die Gegenwart, gehört zu den Konzepten des Kunstfestes. Franz Liszt hat uns das hier in Weimar vorgemacht."

Nike Wagner, in zartem Orange mit Sternchenkettchen um den Hals, sitzt vor den verklärten Bild der liebesträumenden Psyche, entnommen dem berühmten Gemälde von Canova.

"Daran wird, finde ich, unsere Geschichtlichkeit spürbar, zugleich aber auch die Zeitlosigkeit gewisser Erfahrungen, wie sie ja von den Kunstfest-Motti formuliert werden."

Liebesträume seien beileibe nichts Altmodisches, sagt die Kunstfest-Intendantin vor der Presse, im Gegenteil sogar ein fruchtbares Thema für alle Künstler, beinhalten sie doch die Abgründe zwischen Traum und Realität. Sie beinhalten Verirrungen und Verwirrungen.

"Wieder ist die Figur Franz Liszts hilfreich, um Ordnung in das Chaos zu bringen. Der alte Erotiker führt uns die Komplexität von geistlicher und sinnlicher Liebe sein Leben lang vor. Zerrissen, wie es schien, zwischen seinem Begehren nach Transzendenz einerseits und seiner Liebe zum weltlichen Glanz. Die Frauen um Liszt sind legendär."

Das kleine Team um die Intendantin hat ein Programm auf die Beine gestellt, das sie selbst als Perlenkette bezeichnet: klein und fein - etwas für Anspruchsvolle. Klasse statt Masse! 41 Veranstaltungen an verschiedenen Weimarer Spielorten. Musik von Klassik bis Pop, ein wenig Tanztheater, Lesungen, Ausstellungen, Kino, ein Stadtfest.

Bereits etablierter Begleiter ist der ungarische Pianist Andras Schiff, auch in diesem Jahr wieder als "Artist in Residenz". Er zeichnet mit Kammermusik und zwei Sinfoniekonzerten seine eigenen Linien in das Festival, diesmal auch mit der Uraufführung einer Bach Arie: "Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn".

Die Wiederentdeckung des Autographen durch einen Mitarbeiter des Bach-Archivs Leipzig war eine kleine Sensation. Das Werk lag in einem Band mit Huldigungsgedichten versteckt und war zur Restaurierung in Leipzig. Es stand zuvor jahrelang auf der Galerie der Anna-Amalia-Bibliothek. Ein Glück, denn durch die Restaurierung entging es dem Brand der Bibliothek und wäre mit ziemlicher Sicherheit verloren gewesen.

Hellmut Seemann, Chef der Klassikstiftung Weimar, ist stolz, die Arie nun im Kunstfest präsentieren zu können.

"Dieses Stück Literatur- und Musikgeschichte ist nun wirklich durch Ihnen wahrscheinlich weitgehend bekannte Zufälle im Brand der Bibliothek nicht untergegangen. Es ist auch in den 300 Jahren davor nicht untergegangen und kann deswegen jetzt aufgeführt werden. Es ist seit vielen Jahrzehnten der erste unbekannte Autograph von Johann Sebastian Bach, der aufgefunden wurde."

Der Huldigungen an den Ort des Geschehens nicht genug, wird auch das Bauhaus in seiner Tradition im Kunstfest gespiegelt - und zwar in einer Ausstellung des ZKM Karlsruhe, des Zentrums für Kunst und Medientechnologie. Zu sehen: die Liebe zur Zukunft, so sagt Nike Wagner. ZKM-Chefin Christiane Riedel:

"Die Verbindung zum Bauhaus besteht sicherlich auch darin, dass das ZKM versucht, traditionelle Künste mit der technischen Entwicklung der neuen Medien zu verbinden. Auch das Bauhaus hatte hier ganz hervorragende Ansätze gezeigt. Es resultierte ja aus einer Reformbewegung, die sich ganz dezidiert nicht gegen die Technik gestellt hat, sondern die Technik auch als Möglichkeit der künstlerischen, aber auch der sozialen Erweiterung gesehen hat."

Als Altmeister der Erotik wird im Neuen Museum Picasso gezeigt - in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen Berlin - im Kontrast mit dem heute eher unbekannten, im 19. Jahrhundert hoch gehandelten Peter Cornelius.

Das kleine, feine Kunstfest lebt hauptsächlich von öffentlichen Geldern, ist aber zunehmend auf Sponsoring angewiesen. Geschäftsführerin Franziska Castell sagt, dass dies allerdings schwierig sei, schon weil allein in Weimar die Konkurrenz stark ist.

"Wir haben in diesem Jahr 150.000 Euro weniger eingeworben als letztes Jahr. Die Gründe liegen auf der Hand. Und ich hoffe sehr, dass die Anna Amalia Bibliothek dafür besonders schön wird... " (Gelächter)
Allen Liebesträumen zum Trotz nutzte Kunstfest-Intendantin Wagner auch die Gelegenheit, ihr völliges Unverständnis gegenüber der ja eigentlich gut gesonnenen Gastgeberstadt Weimar auszudrücken. Denn ihr Festival muss sich im reichen Veranstaltungsplan erst einmal behaupten, inklusive der Raumfrage.

"Das in der Kunstfestzeit gewaltige andere Orchester- und Theaterereignisse stattfinden, dass das Kunstfest um jeden Veranstaltungsraum boxen muss, das können sie als hocherfreuliches Überschwappen von Kultur veranschlagen. Eine Art Aufforderung für Kultur-Bulimie oder auch als Nicht-Kooperation und Konzeptlosigkeit."

Dem wiederum zum Trotz will sich das Kunstfest Weimar etablieren, weiterentwickeln, sich fortsetzen - auch mit Nike Wagner als Intendantin. Sie will Weimar wieder in eine Musikstadt verwandeln und, wie sie sagt, das Zeitgenössische in diese stille Landschaft holen.