Letzte Ausfahrt Sofia

Ilian Metev im Gespräch mit Katrin Heise · 11.03.2013
Viel wird zur Zeit von der sogenannten Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien geredet - doch der bulgarische Filmemacher Ilian Metev ist nach Bulgarien zurückgekehrt, und auch die Protagonisten in seinem neuesten Film wollen Sofia trotz widriger Umstände nicht verlassen.
Katrin Heise: Sofia, die Hauptstadt Bulgariens, hat offiziell 1,2 Millionen Einwohner. Inoffiziell über zwei Millionen. Und für diese stehen insgesamt genau 13 Notfallwagen zur Verfügung. Diese sind, wenn sie nicht im Verkehr stecken bleiben oder wegen Verschleiß gleich ganz zusammenbrechen oder die Belegschaft gekündigt hat, also wenn das alles nicht der Fall ist, dann sind die unermüdlich unterwegs, um Leben zu retten.

"Sofia‘s last Ambulance", so heißt der Dokumentarfilm von Ilian Metev, und der begleitet eine ungeheuer sympathische Krankenwagenbesatzung – Krassi, Plamen und Mila – auf ihren mühsamen Touren. Aus ihren Gesprächen, Witzen und Verzweiflungsattacken erfährt der Zuschauer ungeheuer viel über den bulgarischen Alltag und erleidet ihn quasi mit. Vor der Sendung konnte Ilian Metev zu uns ins Studio kommen, ich grüße Sie ganz herzlich, hallo!

Ilian Metev: Hallo!

Heise: War es eigentlich schwer, die drei zu überreden, in ihrem Krankenwagen mitfahren zu dürfen bei den hektischen Einsätzen, aber auch bei den nervenzehrenden Wartezeiten gefilmt zu werden? Die sind so ungeheuer ehrlich, natürlich, unverstellt?

Metev: Die waren erstaunlich offen. Es gibt immer diese Überraschung beim Dokumentarfilm-Machen, dass man eigentlich denkt, man muss so viel arbeiten, um jemanden zu überzeugen, aber Leute manchmal wollen einfach ihren Alltag teilen. Und ich denke, ein Teil des Motivs für sie war auch, dass sie einfach Leuten zeigen wollten, was ihr Alltag ist, wie er aussieht.

Heise: Und das sieht man sehr eindrucksvoll in dem Film. Die Notärzte sind bei Armen und bei Reichen im Haus, unterhalten sich auch über ihre eigenen Kredite, die sie zurückzahlen müssen, und über die Schwierigkeiten dabei. Sie unterhalten sich aber auch über den verschwenderischen Luxus, den sie bei so manchem Einsatz erleben. Ich fand das sehr gut, wie beiläufig diese Gegensätze, diese ungeheuren Gegensätze zum Thema gemacht werden. Also, Sie wollten das nicht in den Vordergrund stellen, keine Neiddebatte führen, oder?

Metev: Was meinen Sie mit Neiddebatte?

Heise: Neidisch von den Armen auf die Reichen. Weil es ist ja, es wird da von wirklich ungeheurem Luxus und Verschwendung geredet, und die drei haben offenbar auch finanzielle Probleme.

Metev: Dadurch, dass sie diesen Kontakt einfach haben mit den verschiedenen Schichten der Bevölkerung, kriegt man einfach einen natürlichen Überblick. Also, es ist sehr oft nicht wertend, also die drei, die versuchen einfach ihren Job zu machen, ihre Arbeit. Und natürlich gibt es das Element von Neid, ich kann mir das vorstellen. Jeder, der andere Leute sieht, die mehr haben, will ein bisschen davon auch haben, aber ich denke, sie schaffen einfach, sich davon auf eine Weise zu abstrahieren und einfach ihre Arbeit zu machen, wenn es auch nicht immer einfach ist.

Heise: Mal nebenbei gefragt: Sind die wirklich Reichen eigentlich außerhalb von Notfällen aufs staatliche Gesundheitssystem angewiesen? Wahrscheinlich nicht, oder?

Metev: Also, was Ambulanzen angeht, eigentlich schon. Wenn es dann um die Krankenhäuser selbst geht, dann macht das einen großen Unterschied, denn es ist sehr, sehr üblich, dass man einfach extra Gelder bezahlt, wenn man eine bessere Behandlung will.

Bulgarischer Krankenpfleger bei der Arbeit
Bulgarischer Krankenpfleger bei der Arbeit© W-Film
"Das Geld geht nicht an die richtigen Stellen"
Heise: Die Zustände, unter denen die Notärzte arbeiten, die sind absolut desolat. Da hört man beispielsweise so Funkgespräche mit, in dem eine Ambulanz sich meldet und sagt, unser Wagen ist liegen geblieben, der Fahrer versucht ihn gerade zu reparieren, und so ganz lapidar wird dann zurückgefragt, ja, habt ihr denn einen Patienten dabei? Oder die Zuschauer bekommen mit, dass die Zentrale sich gar nicht meldet, dass die entweder unterbesetzt ist oder das Telefon zusammengebrochen ist, dass man eben niemanden an die Leitung bekommt. Das ist alles so ungeheuer marode, oder?

Metev: Ja, das stimmt. Ich meine, es spiegelt irgendwo den Zustand unseres Landes wider, und ich denke, der Grund liegt nicht nur dabei, dass es zu wenig Geld gibt, sondern wie schlecht einfach alles organisiert ist. Ich denke einfach, das Geld geht nicht an die richtigen Stellen.

Heise: Ein Mann ist verstorben, als die Notärzte nach drei, vier oder fünf Stunden, glaube ich, sagt die Frau, vor drei, vier, fünf Stunden hat sie den Notarzt gerufen, dann kommen die endlich an – wie gehen eigentlich die drei mit diesen Situationen um? Sie können ja nichts dafür, sie müssen aber professionell sein.

Metev: Ja, ja, das stimmt. Ich denke, das sind einige der schwierigsten Momente für sie, denn natürlich, sie sind zu spät, weil es einfach zu wenige Teams gibt, und daher entstehen einfach diese Anstauungen von Adressen. Aber natürlich, irgendwo, weil sie in dem Fall dem System ein Gesicht geben, wenn sie zu so einer Adresse ankommen. Ich denke, irgendwo fühlen sie sich auch schon verantwortlich, obwohl sie das überhaupt nicht sind natürlich.

Heise: Da schlägt ihnen dann solche Verzweiflung entgegen.

Metev: Ja, das stimmt. Ich denke, von der anderen Seite haben Sie auch genug Situationen, wo sie spüren, dass sie auch nützlich sind und Menschenleben retten und hilfreich sind. Aber es gibt einfach diese Situationen, die vielleicht einmal pro Woche passieren, oder relativ auch, wo das wirklich sehr unangenehm wird.

Heise: In einer Szene, da will eine Frau, eine ehemalige Krankenschwester, das erzählt sie, dass ihr pflegebedürftiger Mann in eine Klinik transportiert wird, und dann fragen die Ambulanzärzte, wer soll sich denn da um ihn kümmern in der Klinik. Das ist ja schon eine Frage, auf die wir gar nicht kämen. Und die Antwort ist dann, ja, wenn ich ihnen Geld gebe, meinen ehemaligen Kollegen, dann kümmern die sich schon um ihn. Also das, was sie auch angesprochen haben, Korruption auf allen Etagen.

Metev: Ja, ja, das stimmt. Das habe ich auch selbst miterlebt. So auch muss man die Krankenschwestern, den Sanitäter, den Chirurg, vielleicht dann noch die ganze Klinik – ich sag mal, es ist sehr, sehr üblich leider immer noch, dass man überall Geld geben muss.

Heise: War das der Auslöser für ihren Film bei Ihnen?

Metev: Der Auslöser war eigentlich, dass ich einen Kontrast in diesem System gesehen habe. Dass trotz dieser Sachen es immer noch Leute gibt, die einfach über diese Korruption, über diese Problematik, über diesen Zustand dieser Menschen, sehr hart, man verhärtet, dass es einfach immer noch die Leute gibt, die Menschlichkeit zeigen und ohne solche Motive einfach helfen.

Heise: Denn verhärtet sind die drei nicht. Was sind denn ihre Motive? Helfen wollen oder was ist das?

"Sie lieben ihren Beruf""
Metev: Ich denke, es ist ein Mysterium teilweise. Das war eigentlich der Grund, wieso ich auch mehr Zeit mit ihnen verbringen wollte – ich denke, teilweise wollen sie natürlich helfen, teilweise gibt es auch das Element von Dynamik und Adrenalin, ich denke, das gibt es bei sehr vielen Rettungsteamarbeiten. Aber ich denke, sie lieben einfach ihren Beruf. Und es ist einfach eine komplexe Sache, wieso sie ihren Beruf lieben, aber sie machen es einfach sehr gerne, und ich denke, es ist entscheidend, dass sie was sehr, sehr Nützliches für die Gesellschaft machen damit.

Heise: Der Filmemacher Ilian Metev zeigt in seinem Dokumentarfilm "Sofia‘s last Ambulance" die Zustände des bulgarischen Gesundheitssystems, aber eigentlich darüber hinaus eben auch der bulgarischen Gesellschaft, denn, Herr Metev, das geht ja auch weiter, das kriegt man im Film ja auch mit – ein Mädchen wimmert vor Schmerz, weil es jedes Schlagloch spürt, durch das dieser Wagen da durch – ja, rasen kann man gar nicht sagen, denn rasen kann der gar nicht auf diesen Straßen, die Straßen bestehen offenbar nur aus Schlaglöchern, das ist so ein Abbild der Gesellschaft, oder, des Zustandes, meine ich, dieses staatlichen?

Metev: Ja, das stimmt. Ich meine, es sind nicht alle Straßen voller Schlaglöcher, aber es gibt, wir haben genügend davon, und eigentlich in dem Fall ist der Wagen gerast, also, dann spürt man sie wirklich doppelt stark.

Heise: Was haben Sie für einen Eindruck gehabt, wie werden die damit fertig? Denn es gibt also eine Sequenz, da kündigen Kollegen, oder da kriegen die mit, jetzt haben wieder welche gekündigt. Und die drei geben ja nicht auf.

"Irgendetwas Magisches hält sie zurück"
Metev: Ich denke, das geht wieder auf die Frage, was motiviert diese Leute. Ich denke, es ist die gleiche Antwort. Sie haben schon Zweifel, also ich habe sie sehr oft miterlebt, wo sie nach anderer Arbeit gesucht haben, sich erkundigt haben, wie es im Ausland ist. Aber irgendwie hält sie irgendwas Magisches zurück, sie fühlen sich einfach an ihrem Ort dort, sie wollen nirgendwo anders hin.

Heise: War ihr Film auch so was wie so ein Denkmal für alle die, die durchhalten?

Metev: Man könnte es so interpretieren, also im Großen und Ganzen ist es dem Zuschauer selbst überlassen, wie er den Film interpretiert, aber für mich war es sehr, sehr wichtig, dass es einfach diese vorbildlichen Menschen gibt in dieser Gesellschaft. Und mir macht das irgendwie Hoffnung.

Heise: Das macht Ihnen Hoffnung. Also, weil der Film kann einen ja auch wirklich verzweifelt zurücklassen. Weil die drei brauchen ja zum Teil noch einen Nebenjob neben dem, was sie da machen. Oder wenn man Mila sieht, wie sie ihre Tochter telefonisch ins Bett bringt und das sie auch nicht gerade sehr glücklich macht. Wo ist die Hoffnung?

Metev: Ich denke, die Hoffnung ist auf einem universelleren Niveau. Es geht hier nicht nur um Bulgarien oder unsere spezifischen Probleme, sondern einfach um Leute, die einfach andere Ideale haben, würde ich sagen.

Heise: Sie haben zwei Jahre lang mit denen gedreht, die begleitet. Das ist jetzt aber auch schon wieder eine Weile her. Sind die immer noch dabei? Halten die immer noch durch?

Metev: Ja. Sie halten immer noch durch. Sie sind immer noch tagtäglich dort.

Heise: Sie selber sind in Bulgarien aufgewachsen, auch in Deutschland aufgewachsen. Sie haben dann in London Dokumentarfilm gelernt, und sind jetzt aber zurück in Bulgarien, und drehen über Bulgarien, warum?

Metev: Ich denke, es hängt damit zusammen, dass ich immer, obwohl ich so viele Jahre im Ausland gelebt habe, ich habe immer so eine sehr intime Beziehung gespürt. Und ich bin halb mit meiner Großmutter aufgewachsen in Bulgarien und ich habe Familie dort. Und seitdem ich eigentlich in Deutschland in Bremen bin jedes Jahr, bin ich mindestens zwei, drei Monate pro Jahr zurückgegangen. Und ich verspüre einfach das Bedürfnis manchmal, dort die Realität zu reflektieren. Und es sind wirklich Menschen wie die Protagonisten von diesem Film, wie ich meinte, die mir irgendwie Mut und Hoffnung machen, dass es trotzdem irgendwas geben könnte, was Sachen verbessern könnte und die mich immer zurückbringen sozusagen.

Heise: Ja, oder auch, wie Sie eben gesagt haben, ein Beispiel auch über Bulgarien hinausgeht, weil wir erleben Bulgarien ja jetzt momentan hier in Deutschland vor allem nur aus einer Warte, nämlich die von unserem Bundesinnenminister, der eben Armutsflucht aus Bulgarien beklagt und das sozusagen darstellt, als seien es eben Flüchtlinge nur in unser Sozialsystem hinein. Da wird ja ein bestimmtes Bild erzeugt. Sie erzeugen sozusagen das Gegenbild?

Metev: Ich denke, es ist einfach ein anderes Bild. Ich kann nicht sagen, das ist genau das Gegenbild. Also, es gibt momentan auch das Bild, wo es so viele Menschen auf den Straßen gibt seit einigen Wochen, was leider auch nicht genug reflektiert wird, finde ich, in den Medien hier, aber wir sind momentan sozusagen zu einem Zeitpunkt gelangt, wo Leute wirklich eine Änderung wollen.

Heise: Gibt Ihnen das Hoffnung, dass die Leute aufstehen, also nicht nur funktionieren im System, sondern aufstehen dagegen?

Metev: Natürlich, denn seit '97 hatten wir nicht so eine Initiative vom Volk. Also auf jeden Fall finde ich das positiv, dass Leute wirklich für eine Änderung kämpfen, könnte man sagen, also sie sind schon sehr leidenschaftlich dabei von dem, was ich sehe. Ich bin selbst seit einem Monat nicht in Bulgarien und war eigentlich nicht dort. Aber ich geh jetzt morgen dahin, und ich bin sehr, sehr gespannt, wie die Stimmungen dort sind.

Heise: Ich danke Ihnen für diesen Besuch hier. In dem Film "Sofia's last Ambulance" sehen wir auf jeden Fall den bulgarischen Alltag ganz normaler Bulgaren. Der Filmemacher Ilian Metev war zu Besuch, ich danke Ihnen ganz herzlich!

Metev: Vielen Dank!

Heise: Und sein Film "Sofia's Last Ambulance" läuft ab Donnerstag im Kino.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr Infos im Netz: Website: Sofia's Last Ambulance
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