Lehrkräfte-Vertreterin zu Schule und Corona

"Schülerinnen und Schüler entstressen"

29:36 Minuten
Eine Schülerin sitzt auf ihrem Bett und arbeitet. Homeschooling in Zeiten von Corona. (Symbolbild)
Angesichts der höchst unterschiedlichen Bedingungen für Kinder in der Coronakrise wünscht sich Simone Fleischmann passgenaue Lösungen für jedes Kind. © imago images/Cavan Images
Moderation: Annette Riedel · 30.01.2021
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"Distanzunterricht ist keine Ferien", sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnen-Verbandes. Das "nicht normale" Schuljahr bedeute für alle mehr Stress. Vor allem schwächere Kinder müssten jetzt unterstützt werden.
Nach dem Prinzip "Ungleiches ungleich behandeln" müsste in und nach der Coronakrise klarer sein als je zuvor, dass Schülerinnen und Schüler individueller gefordert und gefördert werden müssen, um ihnen gerecht zu werden. Das gelte sowohl für leistungsschwächere als auch für besonders leistungsstarke, betont Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes BLLV.
Gegebenenfalls müsse es in der aktuellen Ausnahmezeit auch die Möglichkeit geben, dass Schülerinnen und Schüler, die das wünschten, ein "Zusatzjahr" machen könnten, ohne dass das als Sitzenbleiben gewertet werde.

Faire Abschlussprüfungen in einem unnormalen Schuljahr

Bei den Abschlüssen im laufenden Schuljahr müsse man "den Anspruch ein Stück runterschrauben", so Simone Fleischmann. Je länger die Phase des Distanzunterrrichts dauere, desto weniger könne ein vollwertiger Abschluss "genauso gestrickt sein" wie sonst. Aber die Schwierigkeit sei, die Vergleichbarkeit mit sonst üblichen Abschlüssen zu gewährleisten – ein "Dilemma". Prüfungen einfach nur ein, zwei Wochen zu verschieben, würde der Situation nicht gerecht.
Mit Blick auf die Herausforderungen durch die Pandemie für das Unterrichten sei es zweifellos so, dass es Schulen gebe, die in Sachen Digitalisierung erheblichen Nachholbedarf gehabt hätten. "Und auch die haben sich auf den Weg gemacht", ist Simone Fleischmann überzeugt. Für jedes mittelständische Unternehmen werde akzeptiert, dass Wandlungsprozesse erhebliche Zeit kosten. Auch Schulen könnten das kaum aus dem Stand schaffen.
Eine Grundvoraussetzung dafür, dass niemand durch die Digitalisierung benachteiligt werde, sei die Einführung von "digitaler Lehrmittelfreiheit".

Regionale Unterschiede bei Schulöffnungen richtig

Dass Schulen in der Pandemie unterschiedlich mit Präsenz- und Distanzunterrricht umgehen, findet die Verbandsvertreterin nachvollziehbar: "Die Orientierung an Inzidenzen ist richtig." So sehr "einheitliche Leitplanken" für Schulöffnungen wünschenswert wären, so flexibel müsse andererseits auf regionale Unterschiede reagiert werden können.

Simone Fleischmann ist seit 2015 Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV). Im BLLV leitete sie von 2007-2014 die Abteilung Berufswissenschaft im BLLV. Von 1997–2002 arbeitet sie als Hauptschullehrerin und Schulpsychologin in Feldkirchen, wo sie auch ihr Referendariat absolviert hatte. 2003 wechselte sie als Konrektorin an die Anni-Pickert-Grund- und Mittelschule Poing. 2007 wurde sie zur Leiterin der Schule berufen.

Das Interview im Wortlaut:

Deutschlandfunk Kultur: Die Schulen in deutschen Landen bleiben mindestens bis 15. Februar weitestgehend zu. Es gibt Ausnahmen. Wie weit die gehen und wo die gemacht werden, ist in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. Und das ist auch gut so?
Fleischmann: Ich glaube, ja. Wir müssen ganz klar sehen, die Situation mit den Inzidenzen ist ja weder in einer Stadt noch in einem Bundesland gleich. Insofern ist die regionale Strategie genau die richtige. Die Orientierung an Inzidenzen ist richtig. Ich glaube, man braucht jetzt klare, nachhaltige, langandauernde Ansagen in die Richtung: Wie richtet sich jetzt die Öffnung der Schulen an den Inzidenzen aus?
Deutschlandfunk Kultur: Der Chef des Bundeslehrerverbandes Meidinger hat – wie Sie jetzt eben – gesagt, dass gegen sachlich begründete Unterschiede nichts einzuwenden ist, wenn es wirklich um die jeweiligen Infektionsraten geht. Aber so ist es ja nicht immer. Es fehlt ja nach wie vor an einem einheitlichen "Wenn, dann … ".
Fleischmann: Der Wunsch nach einem einheitlichen "Wenn-dann … " ist absolut nachzuvollziehen. Jeder von uns sucht nach Orientierung. Wir sind es ja ein Stück weit schon gewohnt, dass alles ordentlich und einheitlich ist. Ich glaube, dass dieses Virus uns auch noch einmal mehr gezeigt hat, dass das Leben nicht immer so planbar ist. Und insofern: Ja, der Wunsch, es soll nach einheitlichen Leitplanken gefahren werden, ist da. Wir wünschen uns das auch. Die Kinder wünschen sich das. Die Eltern wünschen sich das. Ja. Und jetzt müssen wir trotzdem sehen: Was macht die neue Mutation? Was machen unterschiedliche Ausprägungen mit dem Angebot an Schule?
Ich glaube, wir sind uns doch alle einig: Es muss der Gesundheitsschutz weiterhin Topthema Nummer eins sein. Das geht nur, wenn wir uns nach den örtlichen Gegebenheiten richten. Da kann es dann auch mal vorkommen, dass eine Schule aufgrund von unterschiedlichen Bedingungen ein Hygienekonzept nicht vorhalten kann, so wie es vorgehalten werden müsste. Und dann musste diese Schule schließen.
Deutschlandfunk Kultur: Was sagen Sie zu dem Vorwurf – und der kommt von einigen Seiten –, dass in Deutschland viele Schulen, nicht alle, und viele Lehrer, nicht alle, auch in dieser zweiten Shutdown-Phase noch immer nicht wirklich auf den Distanzunterricht, wie er ja doch jetzt weitgehend, wenn es auch Ausnahmen gibt, durchgeführt wird, vorbereitet sind?
Fleischmann: Das ist eine Analyse, die scharf ist und die natürlich auch der Realität insofern entspricht, dass wir einfach einige Jahre was verpennt haben – alle zusammen. Es gab ja vor nicht allzu langer Zeit auch noch politisch Verantwortliche, die meinten: "Na ja, vielleicht geht das ja mit der Digitalisierung in der Schule irgendwie mal wieder weg. Vielleicht bleibt das gar nicht." Und jetzt haben wir ziemlich zügig durch die Pandemie erkennen müssen, durch den Lockdown, durch den Distanzunterricht, das ist nicht nur nicht weg, sondern das ist nochmal ganz nah da, und zwar prominenter denn je.
Jetzt haben sich alle auf den Weg gemacht, auch wir Lehrerinnen und Lehrer. Und da gibt es natürlich Kolleginnen und Kollegen, die sind schon weit gewesen, haben sich weiterentwickelt. Dann gibt es Kollegien, Standorte, auch oftmals abhängig vom Schülerklientel, die waren da noch nicht so weit. Und auch die haben sich auf den Weg gemacht.
Aber feststeht: Das, was wir uns von einem ordentlichen Unterricht erwarten, die Kinder, die Eltern, alles soll tippi-toppi sein, alles soll gleich sein, alles soll vergleichbar sein – tja, das bietet natürlich der Distanzunterricht jetzt in all den Schulen, die wir hier so in Deutschland haben, nicht. Es ist überall anders.

Bei der Digitalisierung "ein bisschen geschlafen"

Deutschlandfunk Kultur: Aber das Verrückte ist ja, für die Digitalisierung – und die ist ja Grundvoraussetzung, und zwar sowohl Hardware als auch die Infrastruktur muss da sein und natürlich auch das Know-how – für diese Digitalisierung stehen Milliarden bereit. Es gibt den "Digitalisierungspakt Schule". Da darf der Bund, was er sonst ja nicht darf, den Bundesländern finanziell unter die Arme greifen. Ein Fünftel davon ist bisher abgerufen worden.
Also, doch ein bisschen geschlafen, den Sommer zwischen den beiden Corona-Wellen nicht genug genutzt?
Fleischmann: Ja, schon ein bisschen geschlafen. Aber wohin jetzt mit den ganzen Millionen und Milliarden? Da steckt natürlich schon noch mehr dahinter: Wie geht so eine Ausschüttung von Milliarden? Wie kommt man an der Schule vor Ort in Hannover, in München, in Ingolstadt jetzt konkret an die Endgeräte für Schüler, für Lehrer? Wie kommt man an ein gutes Tool? Wie setzt man eine Plattform auf? Es klingt so, als wenn auf dieser Strecke seit März viel verschlafen wurden. Aber Geld allein macht den Unterricht nicht. Zwischen Geld und digitaler Hardware und Software braucht es viel Expertise. Die hat man halt jetzt auch nicht schwuppdiwupp bekommen. Bei uns Lehrerinnen und Lehrern kann man auch nicht einfach den Schalter umlegen von Live-Unterricht zum Distanzunterricht. Da hat man sich jetzt auf den Weg gemacht. Auch bei den kommunalen Spitzenverbänden war nicht von Anfang an ein "Juhu" zu hören. Die sind nämlich auch schlau genug und wissen, dass eine Anschubfinanzierung eine Anschubfinanzierung ist und dass ich dann als Sachaufwandsträger einer Schule nachlegen muss.
Und dann waren die ganzen Förderrichtlinien auch nicht so, dass man von heute auf morgen in irgendeinen Elektromarkt fahren konnte und sich das da mal schnell kaufen konnte. Da steckt schon mehr dahinter. Ein Change-Management-Prozess in jedem mittelständischen Unternehmen hin zu einer digitalen Arbeitsweise – da braucht es auch viele externe Partner, viel Expertise.
Und dann werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitgenommen, um diesen Change gut von ihrer eigenen Kompetenz her begleiten zu können. Da haben wir im schulischen Bereich schon eine ziemliche Nummer vor uns gehabt.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn es nun von Schule zu Schule unterschiedlich ist, hat das auch etwas damit zu tun, dass die Strukturen so sind, dass häufiger mangelnde Qualifikation auf schlechte Technik trifft? Ich meine, nicht alle Lehrer sind Digital Natives, sind ja zum Teil auch ein bisschen älter als die Digitalisierung, haben also größere Hürden zu überwinden. Und dass die Infrastruktur an vielen Ecken und Enden kracht und schrammt, das wissen wir.
Aber nochmal: Es gab Monate Zeit, sich darauf vorzubereiten. Wir haben doch aus der ersten Runde eigentlich einiges gelernt.
Fleischmann: Das Feedback zeigt ganz genau, dass vieles auf die Strecke gebracht wurde. Sie haben natürlich Recht: Es ist einerseits die Infrastruktur, die Hardware. Und dann ist es die Software. Es gibt übrigens auch Lehrerinnen und Lehrer, die sind älter oder gar alt und sind zwar nicht gerade Digital Natives, wie wir sie verstehen, aber sie sind tipptopp drauf. Man kann es übrigens gar nicht am Alter festmachen, sondern man muss schon mal genau hinschauen, dass es auch ältere Kolleginnen gibt, die eine wahnsinnige Kompetenzstrecke hinter sich haben und sich jetzt ziemlich was in den Rucksack gepackt haben.
Ich will aber eines dazu sagen: Ist denn eine professionelle Lehrerin jetzt im Distanzunterrichtzeitalter immer nur die, die die beste digitale Kompetenz hat? Oder ist nicht auch die Lehrerin möglicherweise die beste, die immer noch weiß, was schon auch noch wichtig ist, nämlich: Vielleicht ist Philosophie wichtiger als der Pythagoras, vielleicht jetzt nochmal mehr als früher. Und vielleicht hat die Lehrerin, die jetzt nicht 37 Tools draufhat, sondern weiß, dass das wichtigste Tool die Beziehung ist und der Mensch und nicht die Tippitoppi-Ausstattung – vielleicht ist diese Lehrerin wesentlich professioneller jetzt.
Deutschlandfunk Kultur: Was nützt die beste Philosophie, wenn man sie nicht digital, wie es im Moment ja in vielen Schulen gar nicht anders geht, an die Schüler bringen kann? Also, es gehört schon zusammen.
Fleischmann: Absolut gehört es zusammen. Ich meinte jetzt auch nicht die Philosophie als Philosophie, sondern ich wollte es als Gegenpart setzen zu Pythagoras. Geht es also nur um das Wissen und um die knallharten Kompetenzen? Oder geht es gerade jetzt in dieser Zeit um mehr – nämlich um die Menschen? Sie haben natürlich Recht: Es braucht dann auch eine Möglichkeit, wie kann ich trotz Distanzunterricht eben genau das tun? Wie kann ich den Kindern, den Jugendlichen Platz geben für das, was sie auch noch beschäftigt?
Es gab diesen Kalauer. Was ist denn hier eigentlich los? Die Lehrerinnen und Lehrer fahren mit dem Fahrrad zu den Kindern. Ja, warum haben die das denn gemacht? Nicht, weil sie nicht das Internet bedienen konnten, sondern weil diese Kinder nicht da waren. Sie waren nicht on. Sie hatten vielleicht ein Endgerät, aber sie waren nicht da. Und dann sind wir hingefahren, haben geklingelt und waren glücklich, als wir diese Kinder wenigstens mal gesehen haben.

Digitale Lehrmittelfreiheit muss her

Deutschlandfunk Kultur: Aber es ist ja schon so, dass nicht alle Kinder die entsprechenden Endgeräte – also Laptops oder Tablets – zur Verfügung haben und dass das mit der Verteilung von entsprechenden Geräten zumindest leihweise noch nicht so richtig klappt. Wir haben Lehrmittelfreiheit in den Schulen, Frau Fleischmann. Braucht es eine digitale Lehrmittelfreiheit für alle?
Fleischmann: Absolut. Da gibt es bei uns im Bayerischen Landtag gerade die entsprechenden Anträge. Wir müssen einfach mal sehen: Die Welt ist jetzt digital. Sie ist hoffentlich bald auch wieder analog. Und dann ist sie in der Schule analog und digital. Dann sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg. Das heißt, wir werden auch in Zukunft unbedingt hinschauen müssen: Wie können wir Kinder und Lehrer mit digitalen Endgeräten so ausstatten, dass wir das zur Norm machen, dass ich ziehen kann aus den unterschiedlichen Methoden des Live-Unterrichts. Ich kann einen tollen Lehrervortrag machen. Ich kann aber auch eine wunderbare Lernplattform integrieren. Ich kann Förderunterricht machen mit entsprechenden Tools, die uns zur Verfügung stehen. Ich kann auch mal eine Videokonferenz machen. Ich kann digitales und analoges Lernen optimal verbinden. Das wäre die Zukunft.
Dazu braucht es, wie Sie zu Recht sagen, eine perfekte Ausstattung, nicht nur das Schulbuch, sondern eben auch eine Möglichkeit, datenschutzkonform und verlässlich immer auch digital mit den Kindern in Kontakt kommen zu können.
Deutschlandfunk Kultur: Auf alle Fälle ist es so, dass der Druck auf Lehrer gestiegen ist. Und Hybridunterricht – also, so ein bisschen digital und so ein bisschen mit Präsenz – ist für viele noch anstrengender. Zumeist passiert das ja auch nicht parallel – abwesende, anwesende Gruppe –, sondern nacheinander. Trifft da letztendlich eine schon vorhandene Be-, wenn nicht gar Überlastung von Lehrern auf Corona?
Fleischmann: Ja, wir haben eben leider in Deutschland auch noch das Problem des Lehrermangels. Wir konnten schon vor Corona dem Anspruch nicht gerecht werden, weil Lehrermangel herrschte, vor allem im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich. Jetzt gibt es zusätzliche Herausforderungen, die Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich schultern sollen. Da ist natürlich die Frage der Überlastung sehr schnell da.
Und es ist jetzt auch die Frage: Was geht denn im Distanzunterricht? Was erwartet man vom Distanzunterricht? Was erwarten wir denn nachher von einem Präsenzunterricht, wo wieder möglich? Es gilt, an dieser Erwartungshaltung der Kinder, der Eltern, aber auch an unserer als Lehrerinnen und Lehrer zu schrauben und zu sagen, was ist möglich? Und dann ist die Frage zu stellen: Was ist denn jetzt dann eigentlich Auftrag von Schule?
Deutschlandfunk Kultur: Wenn es aber tatsächlich einen Lehrermangel gibt und eine Überlastung der Lehrer gibt, warum sind Sie dann dagegen, dass man in so einer Situation an Ergänzungslehrkräfte zur Unterstützung denkt? Gemeint sind Quereinsteiger oder Lehramtsstudenten oder eben auch IT-Fachleute, Sozialarbeiter, um die Lehrer zumindest an den einen oder anderen Ecken zu entlasten, um sich auf das reine Unterrichtsgeschehen konzentrieren zu können.
Fleischmann: Wer sagt denn, dass wir gegen externe Experten sind? Wer sagt denn, dass wir nicht wollen, dass Jugend-Schul-Sozialarbeit und Sozialarbeit uns an Schulen unterstützen? Da kenne ich keinen Lehrer, der sagt, "ich möchte alles allein machen". Ich schaffe das doch das alles gar nicht mehr.

Quereinsteiger als Lehrer sind keine Dauerlösung

Deutschlandfunk Kultur: Sie haben sich aber schon gegen Quereinsteiger ausgesprochen.
Fleischmann: Moment! Da muss ich aber zwei Sätze mehr sagen dürfen. Sie sprachen jetzt von Sozialarbeitern und IT-Fachkräften. Um die geht es überhaupt nicht. Es geht darum, dass Quereinsteiger Menschen sind, die zum Beispiel nicht mal Pädagogik studiert haben, die nicht fachwissenschaftlich ausgebildet sind. Da sagen wir übrigens auch nicht nein. Das stimmt gar nicht. Wir sagen: längerfristig nein. Wollen wir denn, wie es in manchen Bereichen in Berlin ist, dass siebzig Prozent der Menschen, die an der Schule arbeiten, keine Lehrer mehr sind? Das können wir jetzt in der Krisensituation nicht ändern. Und wir wehren uns auch nicht gegen Quereinsteiger in einer Krisensituation. Es ist doch immer noch besser, es steht ein Mensch vor einem Kind, als kein Mensch. So weit sind wir halt jetzt leider schon. Aber längerfristig möchten wir Multiprofessionalität an den Schulen – Schulsozialarbeiter, externe Experten, IT-Fachleute, Förderlehrer, Fachlehrer. Wir wollen Multiprofessionalität, Professionalität – und das über die Krise hinweg. Aber wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir aufpassen müssen: Was ist Bildungsanspruch hier in Deutschland?
Deutschlandfunk Kultur: Nun sind ja viele Eltern zwischendurch zwangsweise mehr oder weniger zu Homeschooling-Lehrern mutiert. Haben Sie denn das Gefühl, dass diese Erfahrung viele Eltern dazu gebracht hat, vielleicht mal ein bisschen mehr Verständnis für Lehrer, vielleicht sogar so eine Art Achtung für die Arbeit der Lehrer zu haben?
Fleischmann: Absolut. Wir haben festgestellt, dass der Respekt gegenüber unserer Professionalität als Lehrerinnen und Lehrer gestiegen ist. Natürlich gibt es auch die Erzählungen darüber, dass "diese Lehrer ja gar nichts hinkriegen". Aber lassen wir mal beiseite. Ja, im Distanzunterricht haben Eltern erlebt, was eigentlich die Aufgabe eines Lehrers ist. Wie schwierig ist es, Kinder bei der Stange zu halten. Wie problematisch ist es, zu Hause die Kinder nicht abgelenkt ins Lerngeschehen gehen zu lassen.
Aber es gibt natürlich leider auch Kinder, deren Eltern sich überhaupt nicht beteiligen konnten und die uns überhaupt nicht an der Seite stehen konnten, sozusagen, weil sie in Verhältnissen leben, die das nicht ermöglichen. Das heißt: Ja, einerseits ist der Respekt gestiegen. Andererseits haben wir gemerkt, wie wichtig die Unterstützung durch Eltern ist. Andererseits haben wir da leider auch Kinder verloren.

Ungleiche Schüler ungleich behandeln

Deutschlandfunk Kultur: Was wir inzwischen wissen, ist, dass der Präsenzunterricht natürlich das Infektionsrisiko erhöht, dass er aber gerade für die schwächeren, komplizierteren, schwerer erreichbaren Schüler eigentlich nicht ersetzbar ist. Muss man denn möglicherweise darüber nachdenken, dass man Ungleiches auch ungleich behandelt? Dass man also versucht, gerade Schüler, die leistungsschwächer sind, vielleicht in prekärem sozialem Umfeld sind, die vielleicht mehr Förderung bedürfen, schneller wieder in den Präsenzunterricht zurückzuführen als andere?
Fleischmann: Sie haben einen wunderbaren Satz formuliert. Der ist unserem Verband, dem Verband Bildung und Erziehung sehr, sehr nah: Ungleiches ungleich behandeln. Ja. Da kamen wir jetzt in Corona-Zeiten drauf. Wir wussten das schon früher. Es gibt eben nicht die Gleichheit, den gleichen Unterricht in der 3c in Ingolstadt und der Unterricht in Augsburg in der 3d ist genau der gleiche. Jedes Kind ist individuell. Jedes Kind braucht auch individuelle Lernangebote. Leider aber tickt die Schullandschaft oftmals nach Uniformität. Alle müssen zum gleichen Zeitpunkt die gleiche Probe mit dem gleichen Bewertungsschlüssel schreiben. Und es muss optimal objektiv korrigiert werden.
Wir sind jetzt in der Realität angekommen. Durch Corona sind diese schmuddeligen Ecken in den Schulsystemen stark beleuchtet worden – nämlich, dass wir mit diesem Gleichheitsgedanken genau diesen Kindern nicht gerecht werden, übrigens auch nicht den hochbegabten Kindern. Wir brauchen einen individualisierten ganzheitlichen Blick auf Schule.
Ich hoffe so sehr, dass wir über diese Corona-Zeit genau das retten können: Ungleiches ungleich behandeln.
Deutschlandfunk Kultur: Es gibt viele, die sagen, dass vor allem für die 13 Millionen Kinder in Deutschland die aktuellen Maßnahmen die größten Einschränkungen bedeuten, jedenfalls gemessen an ihren Bedürfnissen. Und dass der Druck auf Schüler, die ohnehin nicht die leistungsstärksten sind, besonders groß ist. Wenn man da den Druck rausnehmen will, was Sie fordern, und mehr Fairness haben will für Schüler – was heißt das dann konkret?
Fleischmann: Die Frage müssen wir uns stellen, je länger wir jetzt in diesem Distanzunterricht noch verweilen oder auch schon seit September. Seit die Schulen wiederbegannen, haben wir einfach gemerkt, die Normalität ist nicht da. Der Druck, der auf diesen Kindern lastet, muss definitiv raus. Der Ministerpräsident hier in Bayern spricht immer davon, dass man "entstressen" muss und dass es ein faires Schuljahr sein soll und kein verlorenes.
Deutschlandfunk Kultur: Aber wie macht man das?
Fleischmann: Genau. Jetzt will ich gern die Frage stellen: Wie geht das? Die Kinder, die jetzt immens verloren haben, indem sie den Anschluss verloren haben, indem sie in den sozialen Netzwerken verloren gegangen sind, keine digitale Ausstattung hatten – die brauchen jetzt zusätzliche Förderung. Wir können das übrigens. Wir als Lehrerinnen und Lehrer können differenzieren, fördern, individuell die Kinder abholen. Das wäre jetzt eine eindeutige Forderung. Die Frage ist nur: Wann sollen wir das machen?
Sollen wir das jetzt machen, sobald wir wieder in den Präsenzunterricht kommen? Dann sollen wir was aufholen und dann sollen wir aber ganz schnell weitermachen, dass wir bis zum Juli da hinkommen, wo wir hinkommen müssten? Ich kenne keinen Zug, der gleichzeitig rückwärts und vorwärts fährt. Das schaffen wir nicht. Das würden wir schaffen – und das wäre eine Forderung – wenn wir Kleingruppen hätten, zusätzliches Personal, mal zwei Lehrer pro Klasse, und wenn wir diesen Kindern jetzt die Zeit geben könnten, die sie jetzt ein Stück weit nicht hatten und verloren haben.
Die Kinder, die besonders gelitten haben, weil sie in einem Familiensetting lebten, das eher behindernd war als fördernd, die brauchen nicht nur Mathe, Deutsch und Englisch. Sondern die brauchen jetzt individuelle Fördermaßnahmen. Die brauchen nochmal ein Aufgefangensein. Die hatten Ängste. Die haben Sachen erlebt, mit denen sie nicht umgehen konnten. Da brauchen wir jetzt die Beratungslehrer, die Schulpsychologen, die Schulsozialarbeit, ein Netz an professionellen Kolleginnen und Kollegen, die dieses Kind als ganzheitliches Kind auffangen, weil, diese Schäden sind nachhaltig.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn man aufholen will, dann gibt es einen ganzen Werkzeugkasten, wie man das theoretisch machen könnte. Also, man könnte Samstagsunterricht anbieten. Man könnte einen verbindlichen Förderunterricht anbieten, zum Beispiel in den Ferien. Man könnte Ferien verkürzen. Man könnte auch alle Schüler, die das gern möchten, ein Jahr wiederholen lassen, ohne dass das als Sitzenbleiben gilt. Was würden Sie denn rausgreifen wollen aus diesem Werkzeugkasten?
Fleischmann: Alle Ansätze sind zu bedenken. Man muss überall sehen, was bietet das System vor Ort. Also Förderunterricht für die, die es brauchen, habe ich ja gerade gesagt – jawohl. Wer soll den geben? Wann soll der gegeben werden? Wie geht der jetzt? Es gibt übrigens in dem Werkzeugkasten auch noch die Möglichkeit, diese Kinder, die besonders betroffen sind, in die Notbetreuung zu geben, also ihnen da einen Vortritt zu lassen.
Samstagunterricht, Ferien kürzen oder wiederholen? Ja, als Präsidentin eines Lehrerverbandes hier in Bayern oder auch als stellvertretende Bundesvorsitzende möchte ich da schon mal dazu sagen: Wir müssen auch schauen, wie geht’s mit den Arbeitsbelastungen für Lehrerinnen und Lehrer? Distanzunterricht ist keine Ferien. Der Anspruch an den Distanzunterricht ist eine große Herausforderung. Wir müssen neben diesen Anspannungsphasen Entspannungsphasen bieten, nicht nur für die Kolleginnen und Kollegen, sondern vor allem auch für die Kinder. Weniger Live-Schule bedeutet mehr Druck. Weniger Tests bedeutet übrigens auch mehr Druck. Also müssen wir uns schon überlegen, wie wir mit den Ferien und den Entspannungsphasen umgehen.

Zusatzjahr als Angebot an Leistungsschwächere

Deutschlandfunk Kultur: Und auch mit der Wiederholung von Klassen?
Fleischmann: Klar. Wenn man jetzt übers Wiederholen nachdenkt, dann würde ich es aber gerne umdrehen: Können wir nicht mal so nachdenken, dass einfach jedes Kind, das es braucht, ein Jahr on top kriegt, das nicht angerechnet wird, ein Zusatzjahr also? Und die Schüler, die eigentlich so ganz gut drauf waren, jetzt auch in der Zeit, die können weitergehen. Wir müssen endlich aufhören, in dieser stressigen Situation über dieses Sitzenbleiben, nicht Schaffen, Noten nicht geschafft, zwei Sechser, ich muss wiederholen, nachzudenken. Da werden wir mehr Kinder verlieren, als dass wir sie fit machen für die Welt.
Deutschlandfunk Kultur: Das Problem sind Abschlüsse. Dieses Schuljahr ist entweder verkürzt oder die Schüler sind zumindest viel im Distanzunterricht gewesen. Da gibt es so eine Art Dilemma. Man muss bei den Abschlüssen – es geht nicht nur, aber auch ums Abitur natürlich – fair sein mit den Schülerinnen und Schülern, akzeptieren und auch anerkennen, dass sie schwierigere Bedingungen gehabt haben als andere Alterskohorten bei ihren Abschlüssen. Auf der anderen Seite darf es aber auch nicht ein Notabschluss werden, der nicht als vollwertig gilt, der dann im Nachhinein bei Arbeitgebern oder bei der Bewerbung für Studienplätze sozusagen der Corona-Abschluss ist und nicht den gleichen Stellenwert hat. Wie kann man aus diesem Dilemma rauskommen? Weniger Prüfung? Verzögern, verlängern, wiederholen? Notendurchschnitt von einem Halbjahr oder einem ganzen Schuljahr als Abschlussnote nehmen? Auch da gibt es ja wieder einen riesengroßen Handwerkskasten.
Fleischmann: Man muss auf die Prüfungen schauen und auf deren Inhalt. Man muss auf die Lehrpläne blicken und schauen, was wir noch schaffen bis zu den Abschlüssen. Man muss den Anspruch ein Stück runterschrauben. Man muss die Bewertungskriterien überdenken. Wir müssen die Vergleichbarkeit natürlich gewähren. Wenn wir die Chance haben, dass das uns noch gelingt, dann ist dieses Dilemma so zu lösen.
Wenn wir jetzt aber noch länger in die Phase des Distanzunterrichts gehen, dann wird das Dilemma nicht zu lösen sein, im Sinne eines vollwertigen Abschlusses, der genauso gestrickt ist wie vorher. Nein. Dann müssen wir sehen: Was geht dann noch? Und wenn es umso länger im Distanzunterricht bleibt, dann müssen wir uns wirklich darüber Gedanken machen: Wie können diese Abschlüsse fair sein fürs einzelne Kind, vergleichbar gegenüber den Jahrgängen, die davor waren und die dann kommen? Ein normales Schuljahr war es jetzt schon nicht.
Dann muss man die Erwartungshaltung runterschrauben und an allen Schräubchen drehen. Nur ein bisschen verlegen, mal 14 Tage eine Prüfung nach hinten verlegen, bei jetzt zusätzlichen vier oder sechs Wochen Distanzunterricht, das wird dem nicht gerecht.
Bitte erlauben Sie mir auch unbedingt den Satz: Wir diskutieren bitte nicht eben nur – Sie sagten es – übers Abitur, wo wir manchmal Jugendliche haben, die das noch irgendwie ein bisschen besser hinkriegen. Nein! Wir haben Kinder in Berufsschulen, in Förderzentren, in Mittelschulen, in Gesamtschulen. Da brauchen wir Unterstützung. Da müssen wir nochmal viel genauer schauen: Zu was sind diese Kinder jetzt in der Lage?

Fairness für Schüler in einem unnormalen Schuljahr

Deutschlandfunk Kultur: Man könnte natürlich all jenen anbieten, die Sie jetzt aufgezählt haben, dass die Prüfung freiwillig um ein Halbjahr nach hinten verschoben wird. Oder man könnte ihnen anbieten: Okay, es sind ja immer mehrere Prüfungen, du hast einen Freischuss, also, eine Sache darfst du verhauen.
Fleischmann: Ja, man muss an den einzelnen Schräubchen drehen. Wie wird so eine Abschlussprüfung insgesamt gestrickt, wenn wir an ihr festhalten? Wie können wir individuell dem einzelnen Schüler sagen, "gut, dann kostet es dich ein halbes Jahr oder ein Jahr". Ich glaube, man muss wirklich jetzt an Entstressen denken. Ist es denn so entscheidend mit diesem einen Jahr? Ich weiß, das ist was Gefährliches, was ich jetzt sage. Es wird definitiv kein verschenktes Jahr, kein verlorenes Jahr sein, aber es ist ein so anderes, dass wir doch jetzt hier einfach mal einen Gang zurückschrauben und sagen müssen: Lasst uns genau hinschauen, was diese Kinder jetzt brauchen, und unter anderen Bedingungen Fairness herstellen. Es ist einfach ein nicht normales Jahr.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn man auf die Zeit danach guckt, dann haben Expertinnen von der Friedrich-Ebert-Stiftung bzw. in deren Auftrag einen Masterplan in der vergangenen Woche vorgelegt. Da taucht auch diese Schlussfolgerung auf als Überschrift über dem Ganzen: "Ungleiches ungleich behandeln."
Einer der Punkte, der da vorgeschlagen wird, ist vielleicht mit besonders viel Vorsicht zu genießen, hat besonders viel Sprengstoff. Da geht es nämlich darum, dass gesagt wird: "Schulen in schwierigen Lagen sollten personell und finanziell mehr Mittel zugestanden werden als Schulen, die in guten Lagen sind." Also, auf Kosten von manchen Schulen andere stärker fördern?
Fleischmann: Das sagen wir schon lange. Das nennt man "regionale passgenaue Budgetierung". Was ist Budgetierung? Wie viel Angebot kann eine Schule vorhalten? Das Angebot definiert sich in der Regel über Lehrerinnen und Lehrer, aber auch – wie wir vorher diskutiert haben – über multiprofessionelle Teams.
Ja. Schulen in schwierigen Lagen haben besondere Herausforderungen. Auf diese besonderen Herausforderungen mit besonderen Mitteln, mit besonderer Personalstruktur zu reagieren, liegt doch auf der Hand.
Deutschlandfunk Kultur: Auf Kosten anderer Schulen? Irgendwie muss man das Personal zur Verfügung stellen und das Geld auch irgendwo finden.
Fleischmann: Da muss ich jetzt schmunzeln, denn ich glaube nicht, dass es geht, dass wir hier auf Kosten von anderen ungleich verteilen. Nein. Wir müssen uns einfach mal die Frage stellen: Ist es denn den Politikern endlich klargeworden – jetzt in Corona und hoffentlich doch auch vorher schon – dass es manche Schulen gibt, manche Kinder gibt in einzelnen Schulen, die einfach ein deutliches Mehr brauchen. Und das geht nicht zuungunsten der anderen, sondern das geht on top.
Wir sind übrigens schon so weit. Es ist durchaus schon in Deutschland zu sehen und auch in unterschiedlichen Bundesländern, dass man nicht mehr mit der Gießkanne die Lehrer übers Land verteilt, sondern dass man durchaus ein bisschen passgenau schaut. Übrigens gibt es da noch einen Schlüssel zum Erfolg. Der heißt "eigenverantwortliche Schule". Ich war selber zwölf Jahre lang Schulleiterin. Ich konnte sehr gut sehen, ob die eine siebte Klasse genau den gleichen Bedarf hat wie andere siebte Klasse. Vielleicht kann ich einmal differenzieren und kann zwei Gruppen in Mathe bilden. Die andere Klasse braucht keine zwei Gruppen in Mathe, weil wir da ganz gut mit einem Lehrer zurechtkommen.
Wir müssen einfach aufhören, immer alles mit der Gießkanne zu bedienen, alles gleich. Wir müssen sehen: Kinder sind anders. Schulen sind anders. Und wir hätten die Kompetenz, regionale Schule zu entwickeln, indem man die Schulleiterinnen und Schulleiter vor Ort hier ganz anders positioniert und letztendlich sie auch anders ausstattet.

"Diagnosebegleitete Förderung ist das Zauberwort"

Deutschlandfunk Kultur: Dabei ist natürlich immer ein Problem, dass man Leistungsrückstände auch diagnostizieren muss. Das heißt, ich brauche ein Instrumentarium und letztendlich auch wieder Personal, um damit umzugehen. Denn die Lehrer können ja nicht zu den benoteten Testen nun auch noch Diagnosetests durchführen, um herauszufinden, wer besonders förderungsbedürftig ist und dann verbindlichen Förderunterricht oder zusätzliche Ansprechpersonen bekommt.
Fleischmann: Dazu haben wir Profis. Diagnosegeleitete Förderung ist das Zauberwort. Schulpsychologen, Beratungslehrer, Förderlehrer in einem guten Netzwerk können genau das, was Sie jetzt sagen: Hinschauen, wo hat ein Kind Stärken und Schwächen? Wo kann ich ein Kind on top fördern? Und wo brauche ich aber Schwächen-Förderung, indem ich sage: Okay, da gibt es jetzt Deutsch als Zweitkurs. Da gibt ein explizites Angebot, weil das Kind eben genau da eine Schwäche hat im mathematischen Bereich. Genau das wäre die Schule der Zukunft, Schulpsychologen, Beratungslehrer, Förderlehrer in einem Netzwerk mit dem Klassenleiter, mit den Fachlehrern zusammen, die sich dann Gedanken um das eine Kind machen. Das ist Schule der Zukunft und das müsste uns gelingen. Und das kostet Geld. Das kostet Ressourcen.
Übrigens bringt uns die ganze Diagnose nichts, wenn wir dann nicht die Zeit haben, mit den Schulpsychologen, den Beratungslehrern, den Förderlehrern, den Therapeuten, den multiprofessionellen Teams, den Eltern und den Lehrern in eine gemeinsame Diskussion zu kommen. Da braucht es dann Teamstunden, wo wir überlegen können: Hey, was braucht denn der Sebastian? Welchen Kurs braucht er?
Und wir schauen stattdessen, dass wir die Unterrichtsstunden sozusagen abhaken und dass wir den Kindern das geben, was im Lehrplan steht. Es braucht ein echtes Bekenntnis in der Gesellschaft, aber auch in der Politik, dass wir genau so etwas wollen: individuelle Förderung an den Schulen in Deutschland.
Deutschlandfunk Kultur: Der Chef des Deutschen Lehrerverbandes, Karl-Heinz Meidinger, hat einen neuen Bildungsstaatsvertrag gefordert. Darin sollen auch die Umstände, die Standards für den Digitalunterricht geregelt werden.
Fleischmann: Ach, wissen Sie, wie viele Standards brauchen wir denn noch und wie viel Vergleichbarkeit? Jetzt sind wir schon wieder bei der Diskussion.
Deutschlandfunk Kultur: Ein neuer Bildungsstaatsvertrag, der hätte den Vorteil, dass er durch die Parlamente müsste. Das hat dann einen ganz anderen Stellenwert, als wenn die Kultusministerkonferenz irgendwas beschließt.
Fleischmann: Ja. Wir brauchen klare Absprachen. Ja. Wir brauchen Vergleichbarkeit. Mit einem Staatsvertrag, das ist sozusagen die Verbindlichkeit. Jawohl. Das ist ein Weg, wo wir hinschauen können. Ich glaube, wir müssen genauso gut hinschauen: Was ist an der Schule vor Ort notwendig? Ich wäre nicht gegen einen Bildungsstaatsvertrag, sondern ich würde auf die gleiche Linie setzen: die eigenverantwortliche Schule. Wenn wir Standards haben, wenn wir Verpflichtungen haben, dann brauchen wir trotzdem noch die Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Das sind im Wesentlichen dann auch die Schulleiterinnen und Schulleiter, die hier die Schule machen, die gebraucht wird an ihrem Standort für diese Kinder, mit diesen Eltern und diesen Herausforderungen.
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