Lagos Biennale

Kulturelle Zwänge hinter sich lassen

Von Hakeem Jimo · 21.11.2017
Auf dem Gelände eines Eisenbahnschuppens für Dampflokomotiven im nigerianischen Lagos findet die erste Kunst-Biennale Lagos statt. 37 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt zeigen ihre sehr politischen und gesellschaftkritischen Werke.
Ein Pendlerzug bahnt sich mühsam seinen Weg durch die Millionenmetropole Lagos in Nigeria. Kurz vor der Endstation ändert sich die Szenerie schlagartig. Eben noch überfüllte Straßen und Viertel – nun riesige verwilderte Brachflächen, ein paar Schuppen und bestellte Felder mit Bananen, Mais und Yam-Wurzeln. Wie ein Dorf - mitten im Herzen der 20 Millionen Einwohnerstadt Lagos. Der Zug passiert das abgeschottete Areal der staatlichen Eisenbahngesellschaft – das Ausstellungsgelände für die zum ersten Mal stattfindende Lagos Biennale.
Das Thema der Lagos Biennale heißt 'Living on the Edge' – Am Abgrund.. Es geht darum, die schwierigen, oft aussichtslosen Situationen der Menschen speziell hier in Nigeria zu zeigen. In ihrem täglichen Kampf. Die meisten stehen am Abgrund. Diese Biennale soll ein Weckruf sein.

Kontrastprogramm zum kommerziellen Kunstmarkt

Nature ist ein nigerianischer Graffiti-Maler und einer der Künstler der Lagos Biennale. Auch seine Arbeiten passen in den Tenor einer gebrochenen Gesellschaft, einem unmenschlichen System mit zu vielen Verlierern, das auf Profite getrimmt ist und Einzelschicksale nicht mehr wahrnimmt. Die Lagos Biennale ist ein Kontrastprogramm zu dem oft kommerziellen Kunstmarkt, den es auch in Nigeria gibt. Folakunle Oshun ist der Kurator der Lagos Biennale.
"Wir wollten eine Collage von unterschiedlichen menschlichen Tragödien und Lebensumständen zeigen, aus verschiedenen Perspektiven, mit unterschiedlichen Herangehensweisen: Migration, Flüchtlingsschicksale weltweit, Korruption, aber auch individuelle seelische Ausnahmezustände. Ein Werk zeigt eine Szenerie nach einem Selbstmordattentat mit Hilfe von verkohlten Baumstämmen die auf dem Boden liegen. Die Ausstellungsobjekte sollen die Besucher herausfordern sie aus ihrer Komfortzone herausholen. Außerdem soll die Lagos Biennale eine Stimme sein für einfache Menschen, Künstler, Nachbarschaften, Minderheiten außerhalb des Zentrums der Gesellschaft."
Eine Frau geht an dem Werk des Künstlers Januario Jano bei einer Ausstellung in Lissabon 2017 vorbei. 
Eine Frau geht an dem Werk des Künstlers Januario Jano bei einer Ausstellung in Lissabon 2017 vorbei. © imago stock&people
Rund die Hälfte der Künstler stammen aus Nigeria. Die übrigen kommen aus anderen afrikanischen Ländern, aber z. B. auch aus den USA, Norwegen, Frankreich, Korea. Dunja Herzog ist eine Künstlerin aus der Schweiz. Ihre Installation beschäftigt sich mit den ehemaligen Handelsbeziehungen der Schweiz und Nigerias. Diese arbeitet sie am Beispiel der schweizerischen Handelsfirma United Trading Company - kurz UTC in Nigeria auf. Die UTC hat ihre Ursprünge in der Baseler Mission um 1850 und stieg zu einer der führenden Handelsfirmen in Nigeria auf. Eine Abteilung war eine eigene Plattenfirma.
Der Kurator der Lagos Biennale: Folakunle Oshun.
Der Kurator der Lagos Biennale: Folakunle Oshun. © Hakeem Jimo

Wo haben wir im Westen unsere Macht her?

"Das ist Bobby Benson. Er war in Nigeria eine Musikgröße und UTC waren die ersten, die ihn aufgenommen haben. Das war 1954. Das ist ein Teil meiner Installation. UTC hat halt viel Geld gemacht hier. Und für mich ist das auch eine persönliche Angelegenheit. Denn mein Urgroßvater hat Oris-Uhren auf den Markt gebracht und die wurden auch von UTC hier verkauft. Und ich habe ein Haus geerbt von meinem Vater von dem Geld von Oris und von dem Geld bezahl ich heute meine Miete. Und das ist ja auch so: wo haben wir im Westen eigentlich unsere Macht her. Das ist ja auch Kapital und Ausbildung. Wo haben wir das her?"
Installation von Dunja Herzog mit der Künstlerin sitzend.
Installation von Dunja Herzog mit der Künstlerin sitzend. © Hakeem Jimo
Dunja Herzog stieß auf Gebrauchsgegenstände der untergegangenen UTC-Handelsfirma, wie Koffer, Spiegelwände, Krawatte einer Uniform, Fotos, drei Einkaufswagen, eine Schaufensterpuppe und arrangiert diese Relikte auf weißen Kacheln, die sie auf dem verkrusteten schwarzen Sandboden des Eisenbahnschuppens verlegt hat.
Keine fünf Meter daneben steht eine Bananenstaude. Es gibt keine Wände im Eisenbahnschuppen, in dem drei Dampflokomotiven und Wagons seit Jahrzehnten vor sich hin rosten. Alles von draußen dringt stets ein. Hunde, Ziegen und Hühner laufen umher. Das Dach musste an einigen Stellen geflickt werden. Hinter der Halle spielen Kinder Fußball, ein paar Schritte weiter hängt eine Frau Wäsche vor ihrem notdürftigen Haus auf.

Ausgangspunkt für die Kolonialmacht

Fotos von Fati Abubakar an einem Eisenbahnwaggon.
Fotos von Fati Abubakar an einem Eisenbahnwaggon. © Hakeem Jimo
Das Eisenbahngelände inmitten von Lagos versinnbildlicht den einstigen Ausgangspunkt für die ehemalige britische Kolonialmacht, das Land wirtschaftlich und administrativ zu beherrschen. Lagos spielte immer eine besondere Rolle für Nigeria als Ankunfts- und Durchgangsort, ständig im Wandel. Die Biennale soll sich weiter entwickeln, wie auch die Stadt selbst. Der Kurator Folakunle Oshun gibt einen Ausblick:
"Die Lagos Biennale soll in Zukunft als eine sehr politische Kunstplattform ihren Platz finden. Wir haben versucht, alle Verbote außen vor zu lassen. Das provoziert natürlich einerseits. Aber andererseits gibt diese neue Plattform den Künstlerinnen und Künstlern sehr viel Freiheit, die sich sonst speziell in dieser geschlossen Gesellschaft und diesem Kulturleben nicht findet. Nach dem Motto: "Ja, jetzt kann ich endlich sagen, was ich will". Die Regierung hat keinen Einfluss auf die Biennale. Auch die kulturellen Zwänge wollen wir hinter uns lassen. Denn so, wie es läuft, kommen wir nicht weiter. Wir leben in einer immer währenden Krise. Und darauf muss ein Künstler antworten."
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