Krimi

Böse Unsitten unserer Zeit

Fassade eines Wohnblocks im 15. Arrondissement von Paris, aufgenommen im März 2007
Fassade eines Wohnblocks in Paris: Was passiert wohl hinter den Fenstern? © picture alliance / dpa / Thomas Muncke
Von Dina Netz · 20.05.2014
Der Debütroman des Journalisten und Dokumentarfilmers Karim Miské ist ein aufwühlender Krimi, der vor religiösem Fanatismus warnt. Die lebensrettende Kraft von Literatur wird nebenbei gestreift.
Eine junge Christin wird im multiethnischen 19. Pariser Arrondissement erstochen. In ihrer Wohnung hat der Mörder ein Messer in einen Schweinebraten gerammt. Das Klischee legt einen muslimischen oder jüdischen Fundamentalisten als Täter nahe. Es spricht für Karim Miskés Roman "Entfliehen kannst du nie", dass das ermittelnde Lieutenant-Duo sofort skeptisch gegenüber diesem Klischee ist.
Und was ist das für ein Polizisten-Team! Rachel Kupferstein, aschkenasische Jüdin, und Jean Hamelot, Sohn eines bretonischen Kommunisten, vertrauen einander blind. Sie sind absolut instinktsicher, während ihr Chef Mercator Kreise auf Papier zeichnet und die richtigen Schlüsse zieht.
Trotzdem sind die Ermittler dem Geschehen (und auch dem Leser, der durch die Erzählstimmen der Täter mehr weiß als sie) immer einen Schritt hinterher. Dass sie der inszenierten Klischeespur nicht auf den Leim gehen, heißt noch lange nicht, dass sie das internationale, kompliziert geflochtene Netz der Verbrecher entwirren können. Es verbirgt ein Riesengeschäft mit einer neuen Designerdroge, das mit weiteren Leichen verteidigt wird und den ironischen Namen "Godzwill" trägt.
Karim Miské, der es mit seinem Debütroman gleich auf die Krimi-Bestenliste der Wochenzeitung "Die Zeit" schaffte, ist es Ernst mit der Warnung vor religiösem Fanatismus jeder Couleur, mit dem Unbehagen gegenüber kriminellen Umtrieben innerhalb der Pariser Polizei, mit der Angst vor dem Religions- und Herkunftsgrenzen überschreitenden "wahrhaft Bösen". "Entfliehen kannst du nie" ist insofern ein düsteres (Un-) Sittenbild unserer Zeit - aber nicht nur.
Karim Miské stammt von der Elfenbeinküste
Miské, der Journalist und Dokumentarfilmer ist, von der Elfenbeinküste stammt und in Paris lebt, hatte viel Vergnügen beim Schreiben. Die schrägen Figuren zum Beispiel sind ungeheuer detailliert und liebevoll gezeichnet. In Frankreich sind sie mit denen von Fred Vargas verglichen worden. Das ist nicht falsch, aber "Entfliehen kannst du nie" ist viel leichter und humorvoller, stellenweise allerdings auch ein wenig länglich.
Am faszinierendsten gelang Miské Ahmed, der aus Marokko stammende Nachbar der Ermordeten. Er ist nach einem vor Jahren erlittenen Trauma depressiv und ein bisschen verliebt in Lieutenant Kupferstein. Ahmed sorgt für eine amüsante Metaebene des Romans: Bis zum Mord an seiner Nachbarin verbrachte er die Tage mit der Lektüre von Krimis. Die Bücher verkaufte ihm ein Antiquar kiloweise, sie bewahrten ihn vor dem endgültigen Zusammenbruch. Plötzlich findet er sich als Mordverdächtiger wieder und beschließt, nach der Aufklärung des Falls seine Geschichte unter dem Titel "Arab Jazz" aufzuschreiben. So heißt der Roman im französischen Original. Diese literarische Spielerei hat der deutsche Verlag leider nicht nachvollzogen.
"Entfliehen kannst du nie" ist also nebenbei auch ein Buch über die lebensrettende Kraft von Literatur. Aber wirklich nur nebenbei. In der Hauptsache ist es ein höllisch spannender Krimi.

Karim Miské: Entfliehen kannst du nie
Aus dem Französischen von Ulrike Werner
Bastei Lübbe Verlag, Köln 2014
336 Seiten, 8,99 Euro

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