Kolumne über Artensterben

Ruiniert der Naturschutz die Natur?

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Industrie, Landwirtschaft, Naturschutz - die Natur ist vielen Einflüssen ausgesetzt. © Jonatan Pie / Unsplash
Von Udo Pollmer · 31.08.2017
Mit der Erde geht es zu Ende. Arten sterben überall. Doch stimmt das? Und wer ist Schuld, wenn Tiere aussterben? Die Industrie, eine Pilzkrankheit oder am Ende der Naturschutz selbst? Fest steht, so Udo Pollmer, die Lage ist komplex.
Unsere Insekten sterben, die meisten sind offenbar schon tot. 80 Prozent der Bestände, heißt es, seien "in Teilen des Landes" spurlos verschwunden. Die Politik stützt sich dabei auf die Daten eines Insektenclubs aus Krefeld. Die Mitglieder, die sich selbst als "Aktivisten" bezeichnen, zählen seit Jahrzehnten in einem Naturschutzgebiet alles Kleinvieh, das in seine Fallen fliegt. Schuld an dem alarmierenden Ergebnis sei die intensive Landwirtschaft – und das in einem Naturschutzgebiet mit Wäldchen, Sumpf und Feuchtwiesen.
Jetzt wird ein globales Insektensterben prophezeit. Bis heute weiß niemand, wie viele Insekten es überhaupt gibt. Angeblich sind noch 4 von 5 Arten unentdeckt. Aber über deren baldiges Ableben durch den Anbau von Nahrung besteht kein Zweifel. Heilige Einfalt!

In England zählt man seit 50 Jahren Insekten

Die Krefelder Studie sei die einzige ihrer Art, heißt es. Irrtum: Im englischen Rothamsted werden die Insekten seit über 50 Jahren an vier Messpunkten gezählt. An einem Ort sanken die Populationen über Jahrzehnte, an den drei anderen blieben sie gleich. Solches zitiert man nicht gerne. Nun gibt es – wir erleben es gerade - Jahre mit Mücken, andere mit Wespenplagen und wieder andere, in denen die Kohlfliege den Raps kahl frisst. Die Einflussfaktoren auf die Populationsdynamik der Insektenwelt sind Legion. Da hilft nur eins: Vereinfachen. Es gibt bekanntlich für jedes komplexe Problem eine Antwort: Die ist einfach, logisch und – falsch.
Wenn die Insekten weniger werden, ist das natürlich die Folge unserer Landwirtschaft, werden sie mehr, dann ist der Klimawandel schuld. Seit Jahren beklagen Experten, dass sich immer mehr neue Arten ausbreiten, eingeschleppte Mücken, exotische Pflanzenschädlinge, Spinnen, Heuschrecken und vieles mehr. Bekanntlich pflegen diese über kurz oder lang auch einheimische Arten zu verdrängen. In den Städten wurden die Straßenlaternen mit Quecksilberdampf-Lampen bestückt. Diese Energiespar-Leuchten wurden Heerscharen von nachtaktiven Insekten zum Verhängnis, die von dem speziellen Lichtspektrum magisch angezogen wurden. Schweigen ist Gold.

Bauern, Algen oder Pilze

Erinnern Sie sich noch an's Amphibiensterben, das vor wenigen Jahren von den medialen Klageweibern beweint wurde? Auch damals standen die Bauern am Pranger – sogar in Regionen in denen es gar keine Landwirtschaft gab. Pestizide würden eben global verweht. Nach jahrelanger Suche stießen die Analytiker auf Retinoide, also Vitamin A. Als Quelle wurde Gülle vermutet, die, wie es hieß, auch in abgelegenen Gebieten illegal ausgebracht worden sei. Als sich zeigte, dass die hochgiftigen Vitamin A-Verbindungen von Algen produziert wurden, schwand das Interesse. Als dann noch eine aggressive Pilzkrankheit namens Chytridiomykose als weitere Todesursache dingfest gemacht werden konnte, wandten sich die Aktivisten den Vögeln zu.
Derzeit nimmt die Zahl der Bodenbrüter ab, angeblich weil die landwirtschaftliche Bodenbearbeitung deren Lebensraum schädigt. Doch viele Böden werden immer weniger bearbeitet. Das Verschwinden hat also andere Gründe. Waschbären und Marderhunde sind neu im Ökosystem und plündern die Nester. Aus den grünen Speckgürteln der Städte haben sich die Bodenbrüter wegen der vielen Katzen längst zurückgezogen.

Dank Gewässerschutz gibt’s kaum noch Fische

Wenn die Insekten sterben, dann sterben, wie es heißt, auch die Vögel. Stimmt. Nachgewiesen wurde dies an unseren Gewässern. Und zwar anhand des Verschwindens der Fische – aber nicht, weil sie in der Gülle ertrinken, sondern weil das Wasser zu sauber ist. Die Ringkanalisationen verhindern jedweden Zufluss an Nährstoffen. Viele Fischer mussten in den letzten Jahren ihren Beruf an den Nagel hängen: Dank Gewässerschutz gibt’s kaum noch Fische.
Der Mangel an Nitrat und Phosphat nimmt zunächst dem Plankton die Lebensgrundlage. Das aber steht am Anfang der Nahrungskette. Finden Kleinstlebewesen wie Mückenlarven kein Futter mehr, dann verhungern auch Fische und Vögel. Das ist, so Professor Josef Reichholf, der Grund für das Verschwinden von Mauerseglern und Teichrohrsängern an unseren Seen. So ruiniert der Naturschutz die Natur. Mahlzeit!

Literatur:
Anon: Schleichende Katastrophe: Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland. FAZ-Online 15. Juli 2017
Vogel G: Where have all the insects gone? Sciene 2017; 356: 576-579
Reichholf JH: Die Zukunft der Arten: neue ökologische Überraschungen. Dtv, München 2011
Sorg M et al: Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise Fallen in den Jahren 1989 und 2013. Mitteilungen aus dem Entomologischen Verein Krefeld 2013; 1: 1-5
Harrington R: The Rothamsted insect survey strikes gold. Antenna 2014; 38: 159-166
Kunz W: Insektensterben in einem Land, in dem 4% der Fläche Naturschutzgebiet sind. Vortrag bei der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein am 12. Juni 2017
Posch T et al: Das Ende der Nacht.Die globale Lichtverschmutzung und ihre Folgen. Wiley-VCH, Weinheim 2010
Neukirchen D: Bissige Biester in Deutschland auf dem Vormarsch. Laborpraxid 11. Mai 2011
Feusi A: Aggressive Invasoren aus dem Osten. NZZ-Online 25. Juli 2017
Zhou X et al: Detecting chaotic dynamics of insect populations from lon-term survey data. Ecological Entomology 1997; 22: 231-241
Dirzo R et al: Defaunation in the Anthropocene. Science 2014; 345: 401-406
Olson DH et al: Mapping the global emergence of Batrachochytrium dendrobatidis, the amphibian Chytrid fungus. PLoS ONE 2013; 8: e56802
Alsop DG et al: Dietary retinoic acid induces hindlimb and eye deformities in Xenopus laevis. Environmental Science & Technology 2004; 38: 6290-6299
Smutna M et al: Retinoid-like compounds produced by phytoplankton affect embryonic development of Xenopus laevis. Ecotoxicology & Environmental Safety 2017; 138: 32-38
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