Kolumbianische Tanzmusik

Neue alte Songs von Totó la Momposina

Die kolumbianische Sängerin Totó la Momposina 2011 während eines Konzerts auf der Terrasse des Haus der Kulturen der Welt in Berlin
Die kolumbianische Sängerin Totó la Momposina 2011 während eines Konzerts auf der Terrasse des Haus der Kulturen der Welt in Berlin © imago/Jakob Hoff
Von Viktor Coco |
Die kolumbianische Sängerin Totó la Momposina gilt als lebende Legende der Musikrichtung Cumbia, die in den letzten Jahren neuen Aufschwung erhält. Jetzt ist eine bisher unveröffentlichte Aufnahme von Totó La Momposina aus dem Jahr 1991 veröffentlicht worden.
"Ich bin Sonia Bazanta de Oyaga, mein Name ist Totó la Momposina, aber das war nie ein Künstlername, sondern mein Vater hat mich so genannt: ´Totó`. Als ich als Kind angefangen habe zu brabbeln, hab ich alles 'Totó' genannt. 'Totó' war das Essen, 'totó' war die Tasse, 'totó' war der Sombrero – 'totó' war alles. Also hat mein Vater mich 'Totó' genannt! Und weil wir von der Insel Mompós sind, war es ganz einfach: Totó aus Mompós - Totó La Momposina!"
Mompós – die viertgrößte Flussinsel der Welt, im riesigen Magdalena-Delta. Das gleichnamige, brühend heiße Kolonialstädtchen war seit Beginn der spanischen Eroberung im heutigen Kolumbien ein wichtiger Handelshafen.
"Für mich sind die Kindheitserinnerungen sehr präsent. Die Musik, die Menschen, der Magdalena-Fluss, die Fischer. Dieser Genuss, auf dem Fluss zu schippern. In den Häfen die Verkäuferinnen von Obst, Hühnern oder Kunsthandwerk in ihren bunten Röcken und Kleidern..."

Totó La Momposina verkörpert ihre Heimat

Wärme, Herzlichkeit und jene bescheidene Volkstümlichkeit der kolumbianischen Landbevölkerung – die heute 77-jährige Totó La Momposina verkörpert ihre Heimat auch hier in der grauen und meist kühlen Millionenstadt Bogotá. Stilvoll bunt gekleidet, mit einem roten offenen Turban, strahlen ihren fein geschminkten, dunklen Augen zu ihren Erinnerungen.

″Ein Kind von der Küste, das nicht tanzt, und nicht auf Stühlen oder mit den Topfdeckeln trommelt, ist nicht an der Küste geboren
!"

...versichert sie vehement. Ihre Heimat Mompós liegt zwar 300 Kilometer vom karibischen Meer entfernt, aber die Tiefebene des Rio Magdalena gehört seit jeher zum "Kulturraum Karibikküste". Dort, im Spannungsfeld mit Nachkommen afrikanischer Sklaven, weißen Kreolen und den indigenen Ureinwohnern, entstanden zahlreiche Musikrhythmen, die Totó seit ihrer Kindheit in einer Musikerfamilie geprägt haben. Berühmt werden sollte sie als "Stimme der Cumbia".
"Cumbia ist ein Rhythmus, gespielt neben der Trommel, von Millo-Flöte, Gaita-Flöte, Gitarre, Akkordeon oder einer ganzen Band oder sogar BigBand. Überall im Land wird Cumbia anders gespielt und getanzt. An der Karibik sind die wichtigsten Instrumente die Millo- und die Gaita-Flöte. Sie sind das Herz. Denn man kann zwar trommeln, aber ohne Gaita wird das ganz sicher keine Cumbia."

Flöten aus Kaktusholz und westafrikanische Trommeln

Millo – eine kurze Querflöte aus Rispenhirse. Kolumbianische Gaitas – Flöten aus Kaktusholz der Kogui-Indigenen aus den Bergen der Sierra Nevada de Santa Marta. Dazu für die Karibik bekannte Perkussionsinstrumente wie Maracas, also Rasseln, oder anderorts auch Güiro, lautmalerisch gern als "Ratschgurke" bezeichnet. Und unter allem liegt der mächtige Bass westafrikanischer Trommeln.

Ein Stück aus den bislang unveröffentlichten Aufnahmen:

In den letzten Jahrzehnten haben sich Cumbia und dessen Spielarten mit extrem unterschiedlichen "lokalen Einflüssen" in Lateinamerika stark verbreitet. Cumbia aus Mexiko, Peru oder Argentinien ist auch international eine Marke. Totó scheint skeptisch.
"Mexikaner können nicht tanzen wie wir, die Uruguayer können nicht tanzen wie wir. Argentinier können nicht tanzen wie wir, die Chilenen auch nicht, die Ekuatorianer auch nicht. Jeder hat also den Namen ´Cumbia` angenommen und drückt ihn auf seine Art & Weise innerhalb seiner Umstände aus. Aber wir wissen, was es bedeutet, ´Cumbia` zu heißen. Also gilt in meinem Fall: ´Patria o Muerte`.″
Vaterland oder Tod – Patria o Muerte. Ein berühmtes Zitat von Revolutionär Che Guevara. Für Sonia Bazanta ist echte Cumbia also ausschließlich kolumbianisch. Bei allem Patriotismus – in ihrer Heimat hatte es ihre Cumbia lange Zeit schwer.
"Ich stell mal eine Frage: Wenn man hier in Kolumbien ist, wie oft hört man Cumbia? Nie?! Na also! Hier in der Stadt sind die Leute seit jeher irgendwie hypnotisiert von ausländischer Musik. Und gleichzeitig verschmäht man die Musiktraditionen der Vorfahren. Aber wenn sie dann nach Europa gehen zum Studieren, fangen sie an zu jammern und bekommen Heimweh. Denn sie finden heraus, was ihre Identität ist. Hier verschmähen sie die Folklore, dort vermissen sie sie."

Startschuss einer Karriere

Zwar wird in Kolumbien sehr wohl einheimische Musik konsumiert, aber Cumbia galt lange als lahme Volksmusik vom Land. Auch Totó wurde erst in Europa bekannt – auch durch den Auftritt bei der Vergabe des Literatur-Nobelpreises an ihren Landsmann und Freund Gabriel García Márquez 1982 in Stockholm. Für Totó war es der Startschuss einer Karriere in der vom Westen konstruierten Kategorie "Weltmusik". Sie lebte in Paris und arbeitete eng mit Peter Gabriel und dessen Festivalreihe WOMAD zusammen. Bei der Frage nach Vorbildern nennt sie ohne zu Zögern Weggefährten aus jener Zeit.
"Remmy Ongalá… Oder unser geliebter Papa Wemba, der im letzten Jahr verstorben ist. Wir haben mit vielen afrikanischen Gruppen zusammengearbeitet, als wir mit der WOMAD auf Tour waren. Etwa sechs Jahre waren wir auf vielen Festivals unterwegs. Auch mit Mah Damba aus Mali… Es ist beeindruckend all diese Persönlichkeiten in ihren Ländern zu treffen. Und wir tragen sie in uns, denn sie haben uns natürlich beeinflusst."
Totós Verbundenheit zu afrikanischen Künstlern spiegelt ihre musikalischen Wurzeln wieder. Und in einer aufstrebenden Nation, die sich wieder auf die eigene Identität beruft, genießt sie heute auch in ihrer kolumbianischen Heimat das verdiente Ansehen. Und manchen sagen gar, dass es auch Totós Dickköpfigkeit zu verdanken ist, dass heute traditionelle Cumbia wieder bei Schallplattensammlern und jungen Musikproduzenten angesagt sei.
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