Kohlenstoff-Sozialismus

Von Dirk Maxeiner |
Eine neue Wortschöpfung macht Karriere: Der ökologische Fußabdruck. Der ist umso größer, je mehr Ressourcen ein Land pro Kopf seiner Bewohner verbraucht. Wenn man beispielsweise den Energiekonsum betrachtet, haben die Amerikaner die größten Füße, Europäer und Japaner liegen im Mittelfeld. Die kleinsten Füße haben die Bewohner der Entwicklungsländer.
Doch das soll sich jetzt ändern: Künftig, so wird gefordert, sollen alle Menschen auf der Welt gleich große Füße haben. Da der Energieverbrauch eng mit dem Ausstoß von Kohlendioxid zusammenhängt, verlangt beispielsweise Lutz Wicke, der ehemalige Präsident des Umweltbundesamtes: "Das demokratische 'One man, one vote'-Prinzip wird auf den Klimaschutz übertragen. Das bedeutet zunächst fünf Tonnen Kohlendioxid pro Kopf der Weltbevölkerung. Mit diesem Verteilungsschlüssel erhalten die bevölkerungsreichen Entwicklungsländer Überschuss-Zertifikate, die sie verkaufen können".

Das klingt bestechend einfach und äußerst gerecht. Doch drängen sich rasch Fragen auf: Menschen in kalten Ländern müssen heizen und haben deshalb einen viel höheren Energieverbrauch als die Bewohner warmer Regionen. Darf man Sibirien und die Südsee einfach gleichsetzen?

Außerdem: Haben die Menschen in einem armen Land demokratischen Zugang zu Wohlstand und Ressourcen oder profitiert nur eine kleine Oberschicht? Denn jeder hinzukommende Mensch am Existenzminimum verbessert rein rechnerisch die Kohlenstoffbilanz eines Landes. Das ist dann wohl doch nicht im Sinne des Erfinders. Deshalb schlägt die Stunde der Bürokraten. Die belohnen heute schon demokratische Verhältnisse mit Pluspunkten, beispielsweise anhand der "Anzahl gewählter Volksvertreter pro eine Million Bürger". Dennoch bleibt die Preisfrage: wie rechnet man Demokratie in Kohlendioxid um?

Welche Blüten die Sache mittlerweile treibt, mag ein Aufsatz verdeutlichen, den die Wissenschaftszeitschrift "Climatic Change" veröffentlichte. Darin geht es um die "externen Treibhaus-Kosten" eines Neugeborenen. Jedes Baby, so die Forscher, werde Treibhausgase produzieren und damit zum Klimawandel und in der Folge zur Schädigung der Gesellschaft beitragen. Für Industrieländer taxieren sie die Kosten eines kleinen Klima-Schädlings auf 28.200 Dollar, in einem Entwicklungsland auf 4.400 Dollar. Sollen also nur noch Kinder unterhalb der Armutsgrenze geboren werden? Handelt es sich beim Klimaschutz vielleicht um ein Armutsbeschaffungsprogramm?

Doch damit nicht genug: Die Waren- und Energieströme einer globalisierten Welt entziehen sich einfachen Aufrechnungen. Die Ressourcen, die da in den reichen Nationen verbraucht und verfeuert werden, sind ja oft Rohstoffe, auf deren Export die Entwicklungsländer dringend angewiesen sind. Selbst Bananen werden nicht zu uns gezaubert, sondern kommen mit Schiff und LKW. Verzichten die Europäer zugunsten des Apfels, bleiben die Produzenten in Südamerika oder Afrika auf ihren Bananen sitzen. Umgekehrt mag ein europäischer Pharmaforscher mit seiner Arbeit einen großen Fußabdruck hinterlassen, das Ergebnis - etwa ein neues Medikament - kommt aber Menschen in aller Welt zu Gute.

Auch das Ende des Ferntourismus wäre für viele arme Länder eine Katastrophe. Genau wie die vagabundierenden Kapitalströme gibt es auch immer wieder vagabundierende Energie, die sich nicht so ohne weiteres einem Land zuordnen lässt. Das beste Beispiel ist der Flugverkehr. Nach dem Konzept des ökologischen Fußabdruckes schädigt ein indischer Geschäftsmann, der nach Deutschland fliegt, die Umwelt erheblich weniger, als ein Deutscher Geschäftsmann, der nach Indien fliegt. Versteht das irgendjemand?

Keine Angst, die galoppierende Klima-Bürokratie wird eine Antwort finden. Ein Apparat von Funktionären, Politikern, Unternehmensberatern, Anwälten und sonstigen Profiteuren erhebt den Kohlendioxidausstoß zur absoluten moralischen Leitgröße, der sich alle anderen gesellschaftlichen Ziele unterzuordnen haben. In Deutschland wurde mit dem so genannten Emissionshandel bereits ein Anfang gemacht. Wenn große Industriebetriebe und Energieerzeuger die staatlich zugeteilten Kohlendioxid-Mengen überschreiten, müssen sie Verschmutzungsrechte von anderen Unternehmen hinzukaufen. Doch was ursprünglich als Markt gedacht war, entpuppt sich in der Praxis längst als Planwirtschaft mit immer neuen bürokratischen Fesseln.

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Privatleuten ihr persönliches Kohlendioxid-Kontingent zugeteilt wird. Eine Rationierungsmaßnahme wie einst Lebensmittelmarken - mit denen ja auch gehandelt wurde. Die britische Regierung hat bereits Entwürfe für persönliche "Carbon-Cards" in der Schublade, die jeder Bürger wie eine Geld- oder Kreditkarte etwa beim Tanken oder beim Buchen eines Fluges vorzeigen muss.

Endlich hat der Staat die totale Kontrolle über das Leben des einzelnen Bürgers. Dabei werden alle gleich und ein paar noch gleicher sein. Bekommt ein Kind genauso viel Emissionsrechte wie ein Erwachsener? Ist ein Flug privat oder im Dienste der Allgemeinheit? Darf ein Landarzt mehr Auto fahren als ein Handelsvertreter? Sicher ist dabei nur eins: Politiker und Bürokraten haben freie Fahrt. Genau wie auf den Sonderspuren, die einst der Moskauer Nomenklatura zur Verfügung standen.


Dirk Maxeiner, geboren 1953, volontierte bei der Motorpresse in Stuttgart und war Redakteur bei Hobby (das Magazin der Technik) und beim Stern . Er entwickelte in den achtziger Jahren in Paris das Stadtmagazin Pariser Luft und war dort Chefredakteur und Herausgeber. Danach Idee und Entwicklung des Umweltmagazins Chancen , dort Chefredakteur bis 1988. Anschließend bis 1993 Chefredakteur der Zeitschrift natur - der zu dieser Zeit größten europäischen Umweltzeitschrift. Seit 1993 arbeitet Maxeiner als Publizist. Er verfasst Sachbücher, schreibt für Magazine und Zeitschriften. Darüber hinaus hält er Vorträge zu den Themenbereichen seiner Publikationen. Dirk Maxeiner ist Mitglied im Future Board des Zukunftsinstituts.