Klavierunterricht per Mausklick und Webcam

Von Stephanie Kowalewski · 17.04.2007
Wer sagt eigentlich, dass Musikunterricht nur Auge in Auge funktioniert? Rund 200 erwachsene Klavierschüler einer Fern-Musikschule beweisen, dass es auch online geht. Lehrer und Schüler kommunizieren ausschließlich per E-Mail.
Der Klavierschülerschüler Martin Zips sitzt in München vor seinem Keyboard. Daneben hat er eine kleine Webcam aufgebaut, um seine jüngsten Übungen aufzunehmen. Für seinen Klavierlehrer, der rund 600 Kilometer entfernt im nordrhein-westfälischen Ratingen lebt.

"Hallo Herr Kunz, hier ist ihr Schüler Martin Zips in München. Ich probiere mich jetzt an Round Midnight. Jetzt können sie die Handhaltung sehen und ich hoffe, ich mache alles richtig."

Die Übungseinheit und auch die Korrektur des Lehrers werden schließlich als Videodatei an eine E-Mail gehängt und via Internet hin und her geschickt.

Volker Kunz ist staatlich geprüfter Musikpädagoge und Leiter der orgma-Fernschule für Klavier. Auf die Idee brachte ihn ein erwachsener Schüler, der sich nach einem Herzinfarkt in der Reha-Klinik langweilte. Bis er ein Klavier fand. Fortan nahm der Patient seine Übungen auf Kassette auf und schickte sie per Post an seinen Klavierlehrer.

"Ich hab seine Kassette abgehört, hab dann, wenn er einen Fehler gemacht hat, angehalten und die Stellen richtig reingespielt, das alles zusammen noch einmal neu aufgenommen und dieses Resultat zurückgeschickt."

Die Idee, Klavierspielen per Fernunterricht zu lernen, war geboren. Volker Kunz entwickelte spezielle Lektionen, die den Schüler Schritt für Schritt zum Erfolg führen. Das ist 30 Jahre her. Inzwischen waren Internet und das komprimierte MP3-Datenformat so etwas wie der Jungbrunnen für die Fern-Musikschule.

"Der Reiz, den wir jetzt haben, dass der Schüler die vermeintlich richtige Arbeit geschickt hat und hat ne Stunde später, jetzt sprechen wir mal im positiven Fall, schon wieder die Lösung. Das ist natürlich eine Hilfe, die hat man bei keinem konservativen Unterricht. Da muss man eine Woche warten, bis man wieder Unterricht hat, ne."

Heute betreuen drei Klavierlehrer rund 200 Schüler online. Darunter Schichtarbeiter aus Österreich, Hausfrauen aus Bayern und Professoren aus der Schweiz. Um über solche Distanzen das Klavierspielen zu lernen, braucht der Schüler außer einem handelsüblichen Computer samt gängiger Software und Internetzugang natürlich auch Lautsprecher und ein Musikinstrument.

"Ein Klavier oder ein gutes Keyboard mit dynamischem Anschlag. Das heißt, ich kann durch den Touch die Lautstärke bestimmen. Ein MP3-Player, das ist das Nächste, und zwar einer mit Diktierfunktion."

Das alles kann der Internet-Klavierschüler auch bei der Fernschule leihen. Andreas Weniger hat das gemacht. Seit vier Monaten übt er nun zu Hause. Alleine, ohne Klavierlehrer neben sich.

"Und mir hat das sofort gefallen, weil es, ich sag mal, in mein Leben passt. Ich kann mir nicht vorstellen, in eine Musikschule zu gehen. Zu festen Zeiten mit einem Mann da zu sitzen oder mit einer Frau auch, die mir sagt, jetzt machen sie das und das. Und eine Woche komme ich dann wieder wie ein Pennäler. Geht nicht. Hier habe ich die Zeitsouveränität. Ich kann es machen wann ich will, wo ich will."

Der selbständige Unternehmensberater fing bei Null an. Er konnte keine Noten lesen und hatte noch nie irgendein Instrument gespielt. Jetzt sitzt vier- bis fünfmal in der Woche mit sportlichem Ehrgeiz und, wie er sagt, mit Humor vor seinem Keyboard und übt.

"Und dann kommt der Tag, wo man sagt: ich nehme das mal eben auf. Das geht mit so einem kleinen MP3-Player. Ist völlig unproblematisch. Und wie das so ist, wenn’s drauf ankommt, also unter 50 Versuchen gehe ich da nie raus. Jetzt bin ich auch so ein bisschen perfektionistisch veranlagt. Schrott würde ich nicht schicken."

Und wenn die eine Hürde genommen ist, landet direkt die nächste Lektion in seinem E-Mail-Postfach.

"Die Lektion besteht aus einem Notenblatt und einer besprochenen Lektion und manchmal gehört ein Playback dazu. Und das ist die Hölle. Das sag ich ihnen gleich."

Bei dem Playback spielt ein ganzes Orchester das zu lernende Stück und der Schüler muss die fehlende Klavierstimme hinzufügen. So lernt er im Takt zu bleiben. Noch findet Andreas Weniger das Musizieren wesentlich schwieriger als die technische Seite des Internetunterrichts. Wer im Alltag den Computer nutzt, wird seiner Meinung nach, keine Probleme haben.

"Ich bin jetzt kein Heavy-User. Ich mache das ganz Normale, was alle machen. Überhaupt kein Problem. Gar nicht. Das kapieren sie sofort."

Wenn Andreas Weniger schließlich mit seiner Aufnahme zufrieden ist, schließt er den MP3-Player an seinen Computer an und verschickt die Datei per E-Mail-Anhang an Volker Kunz.
Der sitzt derweil in seinem Büro in Ratingen am E-Piano, um die Aufnahmen eines anderen Schülers zu korrigieren.

"Und die linke Hand ist ein bisschen laut, die deckt so ein bisschen die Melodie zu. Jetzt wieder ein Vorschlag. Ja die war schon besser."

Das alles nimmt er auf und sendet es als MP3-Datei zurück an den Schüler:

"Dann hört er sein Spiel, die Unterbrechung, das richtige Reinspiel, die Vorschläge zur Verbesserung und dann, wenn es erledigt ist, die nächste Aufgabe."

Bei solch einem Klavierunterricht via E-Mail und Internet braucht der Schüler auf fast nichts verzichten, sagt Volker Kunz, außer eben auf den persönlichen Kontakt zum Lehrer.

"Ich würde sagen, der tolle Klavierlehrer, der um die Ecke wohnt, mit dem ich eine Tasse Kaffee trinke, dieser soziale Kontakt, der ist natürlich sehr wichtig. Das ist und bleibt natürlich die optimale Lösung. Für Kinder in jedem Fall."