Katalonien-Konflikt

"Ultimaten sind eigentlich immer ein Zeichen von Schwäche"

Spaniens Ministerpräsident Rajoy spricht vor dem Parlament in Madrid
Spaniens Ministerpräsident Rajoy spricht vor dem Parlament in Madrid. © AFP / Javier Soriano
Wolfgang Schreiber im Gespräch mit Ute Welty · 21.10.2017
Der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber hält wenig von Ultimaten in der Politik: "Wenn ich eine Drohung mache und sie nicht umsetze, heißt das, ich bin schwach". Das ist aber nicht das einzige Problem, das Spaniens Premier Rajoy unter Zugzwang setzt.
Zwei Ultimaten hat die spanische Zentralregierung bereits gegen Katalonien ausgesprochen, beide hat die Regionalregierung verstreichen lassen.
Jetzt sei der Handlungsdruck auf Premier Rajoy groß, meint der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber von der Universität Hamburg. Denn die spanische Verfassung sehe die Einheit des Landes vor. Außerdem heiße es in Artikel 155, dass die Zentralregierung bei Verstößen handeln "ich sage jetzt mal, soll", so Schreiber im Deutschlandfunk Kultur. "Sie muss nicht unbedingt, aber klar ist, ein geschriebenes Gesetz ist natürlich auch nur dann irgendwie wirksam, wenn auch es im Zweifelsfall durchgesetzt wird.

"Man kann ein Ultimatum nicht einfach verstreichen lassen"

Hören Sie zur aktuellen Entwicklung im Katalonien-Konflikt auch den Bericht von Burkhard Birke aus unserer Sendung "Studio 9" vom 21.20.2017: Audio Player

Schreiber hält generell wenig von Ultimaten in der Politk. "Normalerweise ist das Stellen von Ultimaten eigentlich immer ein Zeichen der Schwäche, weil einem keine andere Lösung sozusagen einfällt als die Drohung", sagt er. Außerdem setze ein Ultimatum auch denjenigen unter Zugzwang, der es stelle: "Man kann es nicht einfach verstreichen lassen. Also wenn ich eine Drohung mache, wenn ich sie nicht umsetze, heißt das, ich bin schwach."

Barack Obamas "rote Linie" im Syrien-Krieg

Der Konfliktforscher verweist in diesem Zusammenhang auf die "rote Linie", die der damalige US-Präsident Barack Obama 2012 gegenüber dem syrischen Diktator Baschar al-Assad zogen habe. Für den Fall, dass das Assad-Regime biologische oder chemische Waffen einsetze, drohte er mit einer militärischen Intervention.
Das Bild zeigt den früheren US-Präsidenten Obama, hier eine Aufnahme aus Chicago von April 2017.
Das Bild zeigt den früheren US-Präsidenten Obama, hier eine Aufnahme aus Chicago von April 2017.© dpa-Bildfunk / AP / Charles Rex Arbogast
"Diese rote Linie ist dann einfach verstrichen", sagt Schreiber. "Also, es wurden Chemiewaffen eingesetzt, und die USA haben nicht reagiert. Damit haben die USA natürlich Einwirkungsmöglichkeiten auf den Krieg in Syrien verspielt."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Etwa 600 Kilometer liegen zwischen Madrid und Barcelona, aber manchmal hat es den Anschein, es handelt sich um Welten. In Madrid kommt in rund drei Stunden das Kabinett zusammen, um über Zwangsmaßnahmen gegen die Regionalregierung in Barcelona zu entscheiden. Was genau debattiert wird, weiß Burkhard Birke.
((Einspieler))
Soweit also Burkhard Birke. Katalonien ist sowas geworden wie der Feind im eigenen Land. Von Anfang an wurde beidseitig an der Eskalationsschraube gedreht, wurden Ultimaten gestellt und missachtet, und so wächst auf der einen Seite der Druck und auf der anderen Seite die Gefahr, sich lächerlich zu machen. Wolfgang Schreiber ist Konfliktforscher und leitet die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung am Institut für Politikwissenschaften der Uni in Hamburg. Guten Morgen, Herr Schreiber!
Wolfgang Schreiber: Guten Morgen, Frau Welty!

"Die Eskalationsgefahr in Richtung Krieg ist relativ gering"

Welty: Das, was Sie zwischen Katalonien und Spanien beobachten, ist das der Stoff, aus dem Kriege sind?
Schreiber: Nein, ich glaube, soweit würde man im Moment nicht gehen, dass da ein Krieg draus entstehen könnte. Katalonien hat ja auch keine Armee, also die da militärisch Widerstand leisten könnte. Also die Eskalationsgefahr in Richtung Krieg ist relativ gering. Ob das die spanische Zentralregierung das Militär einsetzen würde unter gewissen Bedingungen, ist dann unter Umständen … das steht noch mal auf einem anderen Blatt.
Welty: Zwei Ultimaten hat Madrid gestellt, zwei Ultimaten hat Barcelona verstreichen lassen. Wie groß ist der Druck, dass heute gehandelt werden muss?
Schreiber: Der Druck ist schon relativ groß, weil zum einen die spanische Verfassung die Einheit Spaniens vorsieht und dann in dem eben erwähnten Artikel 155 dann auch gesagt wird, dass die Zentralregierung in solchen Fällen handeln, ich sage jetzt mal, soll. Sie muss nicht unbedingt, aber klar ist, ein geschriebenes Gesetz ist natürlich auch nur dann irgendwie wirksam, wenn auch es im Zweifelsfall durchgesetzt wird.
Welty: Wie könnte diese Durchsetzung dann aussehen?
Schreiber: Auch das wurde ja in dem Beitrag schon erwähnt eben. Es könnte die Regionalregierung zum Beispiel abgesetzt werden. Der katalonische oder der Regionalregierungschef Puigdemont könnte inhaftiert werden, weil er gegen die Verfassung verstößt oder zur Rebellion ausruft, oder es könnten geringere Eingriffsmaßnahmen, wie immer die aussehen, ergriffen werden.

Rajoy hat keine eigene Mehrheit im Parlament

Welty: All das, was Sie beschreiben, das bedeutet ja, dass sich die Situation noch weiter zuspitzt. Wer oder was kann dem noch Einhalt gebieten?
Schreiber: Heute trifft sich ja erst mal der Regierungschef Rajoy, der ja keine eigene Mehrheit hat im Parlament, sondern sich auf Unterstützung berufen muss, also die sozialistische Partei oder auch die Ciudadanos-Bewegung der Partei. Also da wird es erst mal Verhandlungen geben, was denn die Maßnahmen sein sollen, und dann, wie gesagt, der zweite Schritt – auch das wurde ja im Beitrag vorhin erwähnt – ist, dass der Senat, der so eine Art Regionalkammer ist, wenn man so will, dem zustimmen muss.
Welty: Wie sind denn Ihrer Meinung nach die Rollen zwischen Madrid und Barcelona grundsätzlich verteilt? Ist derjenige der Stärkere, der das Ultimatum stellt oder derjenige, der es verstreichen lässt?
Schreiber: Das ist schwierig zu sagen. Normalerweise ist das Stellen von Ultimaten eigentlich immer ein Zeichen der Schwäche, weil einem keine andere Lösung sozusagen einfällt als die Drohung.
Welty: Aber es kommt vom Eindruck ja her erst mal kräftig daher.
Schreiber: Es kommt kräftig daher, und, wie gesagt, es wird wahrscheinlich auch durchaus Konsequenzen geben, aber, wie gesagt, man setzt sich selbst unter Zugzwang. Das ist das Problem.

Wer Drohungen nicht umsetzt, gilt als schwach

Welty: Weil man das Ultimatum eben auch einhalten muss, weil es ja mit einer Drohung verbunden ist?
Schreiber: Ja, man kann es nicht einfach verstreichen lassen. Also, wenn ich eine Drohung mache, wenn ich sie nicht umsetze, heißt das, ich bin schwach. Also, ich setze mich selber unter Zugzwang natürlich mit dem Ultimatum.
Welty: Ultimaten oder rote Linien sind ja nicht selten politisches Instrument, aber sind sie auch effektives politisches Instrument?
Schreiber: Ja, also wenn man mal zum Beispiel dieses verstrichene Ultimatum sich anguckt: Eines der bekanntesten der letzten Jahre war ja die rote Linie, die Barack Obama gezogen hat im Syrienkrieg, der Einsatz von Chemiewaffen. Diese rote Linie ist dann einfach verstrichen. Also es wurden Chemiewaffen eingesetzt, und die USA haben nicht reagiert. Damit haben die USA natürlich Einwirkungsmöglichkeiten auf den Krieg in Syrien verspielt.

"Ich würde in der Regel eher von Ultimaten abraten"

Welty: Das heißt, Sie würden eher davon abraten, dieses Mittel einzusetzen, weil es Konflikte auch nicht weiterbringt.
Schreiber: Also, ich würde in der Regel eher von Ultimaten abraten. Das Problem, wie gesagt, ist… bei zwischenstaatlichen Konflikten ist es noch mal ein bisschen was anderes als bei innerstaatlichen Konflikten, weil, wie gesagt, im Fall Spanien, es gibt die verschrieben Verfassung, und wenn ich den Verfassungsbruch einfach hinnehme, ist das natürlich auch ein Zeichen von Schwäche. Also sprich das Ultimatum ist ja sozusagen schon durch die Verfassung vorgegeben. Es ist ja nicht nur der spanische Ministerpräsident Rajoy, der dieses Ultimatum da setzt.
Da kommt es dann eher auf die Ausgestaltung an, also was das jetzt genau sozusagen fordert beziehungsweise was wird dann genau als Drohung in den Raum gestellt, aber, wie gesagt, die spanische Verfassung gibt natürlich was vor wie jedes andere Gesetz. Also wenn Sie zum Beispiel bei Rot eine Ampel überfahren, und der Staat verfolgt sowas nicht, obwohl es ja sagt, es ist verboten, dann fährt demnächst jeder bei Rot über die Ampel.
Welty: Welches Mittel wäre denn dazu geeignet, einen Konflikt wie den jetzt zwischen Madrid und Barcelona zu bereinigen? Was sagt die Forschung?
Schreiber: Normalerweise gibt es natürlich immer die Möglichkeit, dass jemand Drittes, der nicht so stark involviert ist, eine Vermittlungsrolle übernimmt. Innerspanisch hat sich das fast erledigt, weil für die katalanische Seite das Verfassungsgericht keine Glaubwürdigkeit in der Frage hat, weil das Verfassungsgericht 2010 ein erweitertes Autonomiestatut für Katalonien gekippt hat, was zwischen der Zentralregierung und der katalanischen Regionalregierung vereinbart war. Der König wäre noch eine Institution, die unter Umständen vermitteln könnte, aber auch der hat sich eindeutig zugunsten der Zentralregierung positioniert. Rein theoretisch könnte es der Senat sein, der sich noch nicht offen positioniert hat. Das Problem mit dem Senat ist, dass dort der Ministerpräsident Rajoy beziehungsweise dessen Partei, der Partido Popular, eine Mehrheit hat. Also, das ist sehr unwahrscheinlich, dass der Senat sozusagen da eine vermittelnde Rolle übernehmen würde.

Könnte die OSZE vermitteln?

Welty: Und außerhalb von Spanien?
Schreiber: Außerhalb von Spanien gäbe es natürlich Akteure, die durchaus nur in Europa eine Rolle spielen. Das Problem mit der EU ist, auch die hat sich relativ eindeutig positioniert, indem sie sich gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens ausgesprochen hat. Dann gibt es noch eine Organisation, die in der Regel sehr schnell vergessen wird oder über die relativ wenig gesprochen wird, die OSZE, also die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die auf einem, ich sage jetzt mal, vergleichsweise niedrigen Profil, eher auf einer moralischen Ebene arbeiten kann. Das wäre unter Umständen eine Möglichkeit, wo es noch eine Vermittlungschance gäbe.
Welty: Vorschläge vom Hamburger Konfliktforscher Wolfgang Schreiber, denn heute Vormittag entscheidet das spanische Kabinett über das weitere Vorgehen, nachdem die katalanische Regionalregierung nicht auf die beiden Ultimaten reagiert hat und sich nicht eindeutig zum Status der Region äußert. Herr Schreiber, haben Sie herzlichen Dank für diese Vorschläge und für das Gespräch!
Schreiber: Ja, bitte, nichts zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema