Karrierende und Neuanfang

Den Holzhammer gefunden

Ein Sprayer hat auf die Wand einer Unterführung eine Escape-Taste gemalt. Aufgenommen in Köln-Zollstock am 08.06.2009.
Grafitti einer "Escape"-Taste © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Dieter Bub · 21.03.2016
Viel ist die Rede von der "live-work-balance" und "downshifting". Und trotzdem: Wer aus seiner Arbeitsroutine ausbricht, gilt weiterhin eher als Exot. Andreas Haeberlin war lange erfolgreicher Manager. Bis es nicht mehr ging.
Ein ruheloses Leben, immer unterwegs, zu Hause in Flugzeugen, Zügen und Hotels, immer First Class. Andreas Haeberlin war in seinem Business weit oben. Ein Manager, der zwanzig Jahre für internationale Firmen wie Jil Sander und Mars erfolgreich war. Seine Motivation:
"Der Wagen ging im Prinzip immer nur bergauf und es ging in den jungen Jahren um Absicherung, sicher auch um Macht und um viele Äußerlichkeiten, die in meinem zweiten Lebenskapitel eine andere Bedeutung bekamen als im ersten."
Auch wenn sich sein Konto gut füllte - der Preis war hoch. Andreas Haeberlin verlor seine freie Zeit, seine Bindungen, seine Familie und sein Zuhause.

"Arbeit ist nicht halbes Leben - sondern mindestens 80 %"


"Die nette Aussage 'Arbeit ist das halbe Leben' würde ich nicht unterschreiben, weil es mehr als das halbe Leben ist. So wie heute gearbeitet wird. Rein die Arbeitszeiten, die Geschwindigkeit, die räumlichen Veränderungen, Arbeit ist im klassischen Sinne bei einer Führungskraft mindestens 80 Prozent des Lebens."
Nach zwei Jahrzehnten im Hamsterrad bekam Andreas Haeberlin die Quittung. Das Herz meldete sich mit, wie er sagt, einem "kardeologischen Zwischenfall" zu Wort. Von einem Tag zum anderen waren die Termine in seinem Kalender nicht mehr wichtig.
"Ich bin nicht zusammengebrochen, sondern habe gemerkt, dass mir das Gehen schwerfällt und dass ich mich die Treppen hochziehe. Bin ins Krankenhaus gefahren, habe mich untersuchen lassen und bin dann zum ersten Mal in meinem Leben komplett ruhiggestellt worden."
Nach seiner Genesung konnte er noch immer nicht loslassen. Er kehrte in seinen Job zurück, wurde Finanzvorstand bei AOL, arbeitete danach an kleineren Projekten bis ihm klar wurde, dass er sein Leben konsequent verändern musste.

2014 - ab nach Indien

Er brauchte den totalen Bruch, wie er sagt, "den Holzhammer". 2014 packte er einen Rucksack und machte sich auf den Weg nach Indien.
"Es gab zwei, drei Orte die geplant waren. Der Rest war das Lauschen auf das Universum. Sich treiben lassen, sich hängen lassen um eben dort anzukommen, wo ich angekommen bin.
Es ist ein Loslassen gewesen von allem, von Machtsymbolen, von Statussymbolen, von Ängsten, von Zwängen, von Routinen, und zwar sehr konsequent sicherlich auch sehr mutig. Es ist die Suche nach einem Ort gewesen wo wirklich alles anders ist, von der Sauberkeit, der Religion. Und der Holzhammer hat auf jeden Fall gewirkt."
Indien wurde zur Auszeit. Andreas Haeberlin verbrachte zwei Monate in einem Ashram in Radschastan und danach drei Monate in einer Bambushütte im Regenwald. Bis er ein Ziel erreichte.
"Ich habe in Kalkutta gelernt zu lieben. Hier geht es weder um die sexuelle noch um die partnerschaftliche Liebe, sondern einfach um den Bezug zu dem Begriff Liebe, zu dem Begriff Herz, zu dem Begriff love and care. Dieses ganze Thema Nächstenliebe habe ich so extrem bewusst im Sterbehaus von Mutter Theresa erlebt."
Für drei Monate wurde Andreas Haeberlin einer von vielen Helfern aus aller Welt, die sich um die einhundert Patienten, 50 in einem Männer-, 50 in einem Frauensaal kümmerten. Auch ohne Sprachkenntnisse und ohne medizinische Vorbildung war er willkommen, kein Fremder, sondern Teil eines internationalen Teams, das den Auftrag Mutter Theresas weiterführt.
"Da sind Mohammedaner, da sind Christen, da sind Hindus. An diesem Ort geht es ausschließlich um Ernährung und Kleidung, um ein Bett und um Zuwendung. Da sind Mohammedaner, da sind Christen, da sind Hindus. Manche sterben, manche sterben nicht. Es sind alle Krankheiten dort vertreten, von Tuberkulose bis Aids."
Wenn Andreas Haeberlin heute darüber erzählt klingt es als berichte er zugleich mit Verwunderung von der eigenen Gesundung.

Nun will Haeberlin wieder zurück in ein Unternehmen

"Andreas Haeberlin hat diesen Menschen das gegeben, was sie in dem Moment brauchten. Das konnte ein Wort sein. Das konnte aber auch durchaus sein, dass wir mit Schwestern zusammen aus klaffenden Wunden am Kopf oder an Beinen lebende Würmer rausgezogen haben und dann die Wunde mit Puderzucker oder anderen Mitteln geschlossen und bandagiert haben."

Nach seiner Rückkehr engagierte er sich zunächst für Flüchtlinge, die im alten Rathaus am Fehrbelliner Platz untergebracht sind. Doch das allein genügt ihm nicht. Jetzt ist er auf der Suche nach einem spannenden Unternehmen. Das von den Menschen, der Kultur und vom Produkt her zu ihm passt, in dem er noch einmal nachhaltig etwas bewegen und nachhaltig verändern kann.
"Das heißt durchaus Rückkehr in das betriebswirtschaftliche kaufmännische Leben. Aber es geht darum in der Führung Menschen zu begeistern, zu motivieren und mitzunehmen. Dafür bin ich jetzt stark genug, hungrig genug und extrem neugierig. Der Grund dafür ist, dass ich heute ohne den Ballast der Vergangenheit frei und glücklich bin. Es ist ein Gefühl das ich vorher nicht kannte."
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