Kämpfer gegen Rassismus

Von Jochen R. Klicker · 10.12.2006
Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb der Nobelpreis Kandidaten aus dem Okzident und Nordamerika vorbehalten. Umso mehr erstaunte es, als 1986 der nigerianische Schriftsteller Wole Soyinka den Literaturnobelpreis verliehen bekam.
"Wole wer?", hörte man im Oktober 1986 auf der Frankfurter Buchmesse, nachdem die Medien mitten in den Messetrubel hereinplatzten mit der Nachricht, der Nobelpreis für Literatur sei dem nigerianischen Schriftsteller Wole Soyinka verliehen worden. "Wole wer?" - die Frage verriet die ratlose Verwunderung der weißen Europäer, dass es überhaupt so etwas wie eine zeitgenössische und autochthone Literatur im postkolonialen Schwarzafrika, gebe. "Wole wer?" wollte aber auch den Unmut darüber ausdrücken, dass die Schwedische Akademie der Künste offenbar wieder mal nicht die literarische Bedeutung eines Kandidaten, sondern seine kritisch-politische Position belohnt habe.

Dabei hatten die Juroren nur einen Dramatiker, Lyriker, Romancier, Essayisten und Literaturwissenschaftler gewählt, der seinerzeit in den englischsprachigen Ländern des Westens in einem Atemzug mit Shakespeare genannt wurde - und mit den gleichen "Initials": the Great W. S. - der große W. S. Dass dabei auch ein politisches Kalkül mitgewirkt hatte, mochte gut sein; denn die regierenden Militärs hatten die gewalttätigen religiösen Auseinandersetzungen in Nigeria "keine Religionskrise, sondern das zivile Pendant zu einem Putschversuch" genannt. Und sie hatten Wole und anderen intellektuellen Kritikern unmissverständlich klar gemacht, dass sie Zwangsmaßnahmen zu erwarten hätten, wenn sie sich weiterhin zivilgesellschaftlich in die Aufgaben des Staates zu mischen gedächten.

Doch ließ sich Wole Soyinka weder damals noch in den folgenden Jahren davon abbringen, zivilen Ungehorsam zu üben - und übrigens auch mit dem Wissen, dass "zu Nobelpreisträgern zu gehören", gegen die Militärs und Geheimdienste keinen Schutz für Leib und Leben bieten würde. Er hielt trotzdem an seinem Konzept fest, als Individuum überall da Öffentlichkeit herzustellen, wo Menschen gequält, gefoltert und getötet werden. In Nigeria und andernorts. Wole Soyinka ironisch:

"Ich denke, es wäre ziemlich langweilig, wenn Nobelpreisträger einen Club bildeten, um regelmäßig den Lauf der Welt zu kommentieren. Lächerlich! Hin und wieder treffe ich einige und beteilige mich an einer Stellungnahme. Vor allem die Position zugunsten der Vereinten Nationen während des letzten Irak-Krieges lag mir sehr am Herzen; denn die Aktionen der USA gingen viel zu weit. Die einzige legitime weltweite Vertretung, die wir haben, die UN, muss gestärkt werden. Denn die unilaterale Haltung von Großbritannien und den USA war ein schrecklicher Angriff gegen die Weltgemeinschaft."

Nachdem es die Militärs in Nigeria nicht geschafft hatten, Wole Soyinka wenigstens zum Schweigen zu bringen, versteckten sie ihn über Monate und Jahre im Polizeigewahrsam, in den Vernehmungszellen der Geheimdienste, in illegaler Gefängnishaft. Als das nichts half, ließen sie ihn frei; verhängten jedoch Hausarrest und Reiseverbot fürs Inland. Da langte Wole 1994 noch einmal kräftig zu. Damals berichtete Deutschlandradio:

"Wenn die Politiker versagen und unfähig sind, den Menschen moralische Leitbilder zu geben, dann müssen Literaten diese Aufgabe übernehmen. Wole Soyinka erhielt für diese einfache wie mutige Schlussfolgerung von der in Nigeria illegal amtierenden Militärjunta Ausreiseverbot. Er durfte weder in die Europäische Kulturhauptstadt Lissabon noch zur Frankfurter Buchmesse; nicht nach Straßburg und auch nicht zum PEN-Kongress nach Prag reisen."

Verhandlungen und Absprachen hinter den Kulissen machten erst jetzt Ernst mit einer verträglichen Lösung für den "unbeweglichen" Nobelpreisträger. Tatsächlich erhielt Wole Soyinka Ende 1994 einen Pass mit Ausreisevisum - für eine Reise auf Nimmerwiedersehen. Denn drei Jahre später legte die Junta ein letztes Mal nach: Sie erließ gegen den Schriftsteller Haftbefehl wegen Hochverrats. Damit war jede Rückkehr unmöglich geworden. Seiher lebt Wole Soyinka im Exil in den USA, in Großbritannien und in Ghana.

Übrigens: Der tapfere politische Kritiker ist erst der zweite Schwarzafrikaner, der mit einem Nobelpreis geehrt wurde. Der erste hieß Albert Luthuli und wurde 1961 für seinen Kampf gegen die südafrikanischen Apartheid-Politiker geehrt. Auch er erhielt Rede-, Publikations- und Versammlungsverbot und wurde in Zulu-Land bis zu seinem Tode festgesetzt. Zwei Generationen. Zwei politische Schicksale. Zwei Nobelpreise. Ein Programm: Kampf gegen den Rassismus.