Iran spielt mit der Geduld der USA

Von Richard Herzinger · 18.01.2012
Die Regierung in Teheran will bald wieder darüber verhandeln, wie die internationale Gemeinschaft das iranische Atomprogramm kontrollieren kann. Doch hat US-Präsident Barack Obama seine "rote Linie" aufgezeigt – und Iran wird sie nicht überschreiten.
Das iranische Regime scheint es auf eine militärische Konfrontation regelrecht anzulegen. So drohte es, die Seestraße von Hormus zu sperren, die für den weltweiten Ölhandel unverzichtbar ist, sofern der Westen mit weiteren Sanktionen auf das iranische Atomprogramm reagieren sollte. Es hat demonstrativ Lang- und Mittelstreckenraketen getestet und verkündet, seine Fähigkeit zur Urananreicherung, auf 20 Prozent gesteigert zu haben.

Teheran liefert damit die Begleitmusik, die es der US-Regierung im Ernstfall erleichtern würde, der Öffentlichkeit die Notwendigkeit einer Militäraktion plausibel zu machen. Von den Sanktionen angeschlagen, tritt das iranische Regime die Flucht nach vorne an, scheint dabei aber darauf zu spekulieren, dass weder die USA noch Israel Luftschläge gegen Nuklearanlagen – und möglicherweise andere militärische Ziele – im Iran wagen würden. Damit aber könnte es sich schwer verrechnen.
Vieles spricht dafür, dass die Obama-Administration bereits entschlossen ist, die militärische Option anzuwenden, sollte Iran nicht glaubhaft von seinen Atombewaffnungsplänen abrücken. Und nach machtpolitischer Logik könnte dies noch vor der Präsidentschaftswahl im November geschehen. Will sich Obama von den Republikanern doch ungern als Beschwichtiger hinstellen lassen, dem ein hoch gefährliches, feindseliges Regime auf der Nase herumtanzt.

Allerdings ist im Westen die Ansicht weit verbreitet, die Folgen einer militärischen Lösung seien für die gesamte Region unkalkulierbar. Doch das sind sie durchaus nicht. Gewiss könnte der Iran als Antwort terroristische Aktivitäten, etwa im Irak, in Afghanistan und in Palästina, verstärken – direkt, oder indirekt über von ihm unterstützte Terrorgruppen.

Ob es allerdings, wie von ihm behauptet, mit seinen Langstreckenraketen US-Stützpunkte in 2000 Kilometer Entfernung treffen könnte, ist äußerst fraglich. Und sollte das möglich sein, ist zu bezweifeln, ob Irans Führung einen solchen Angriff riskieren würde, der einer offenen Kriegserklärung an die USA gleichkäme.

Israel wäre im Fall eines Angriffs zwar akut durch Vergeltungsaktionen vonseiten der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon gefährdet, die vom Iran systematisch aufgerüstet werden. Doch Israel vervollständigt derzeit ein hochmodernes Raketenabwehrsystem, für das die USA ihm soeben die avancierteste Radar-Technologie geliefert haben.

Nähmen Hamas und Hisbollah den jüdischen Staat massiv unter Raketenbeschuss, müssten sie zudem mit einer geballten militärischen Reaktion Israels rechnen. Dass sie dem Iran zuliebe zu einer solchen offenen Konfrontation bereit sind, kann bezweifelt werden – sind sie angesichts des ungewissen Schicksals des pro-iranischen Assad-Regimes in Syrien doch gerade bestrebt, sich vorsichtig aus der Abhängigkeit von Teheran zu lösen.

Vor allem aber könnten sich die USA bei einem Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm breiter, wenn auch verdeckter Zustimmung im Nahen Osten sicher sein. Denn die meisten arabischen Mächte fürchten eine iranische Atombewaffnung nicht minder, als es Israel tut. Würden die USA ihnen dieses Problem aus der Welt schaffen, wäre ihre Erleichterung groß – sie wäre es insgeheim sogar in dem eher unwahrscheinlichen Fall, dass Israel anstelle der Amerikaner handelte.

Noch hat das Weiße Haus nicht eindeutig festgelegt, wo genau die "rote Linie" im Atomstreit zu ziehen sei, jenseits der nur noch die militärische Option übrig bleibt. Dass er die Sperrung der Straße von Hormus nicht hinnehmen wird, hat Obama aber bereits klargestellt. Im Zweifelsfall wird er die Risiken eines Militärschlags nicht scheuen. Denn sie sind unter dem Strich wesentlich geringer als die Gefahren, die von einem aggressiven, nuklear bewaffneten Mullah-Regime ausgehen würden.

Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als politischer Korrespondent der "Welt" und der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und arbeitete als Redakteur und Autor der "Zeit". Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns – ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
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