Irak

Der wiederkehrende Hass auf das Kulturerbe

Von Klaus Englert · 13.05.2015
Mit der Zerstörung irakischer Kulturstätten haben die IS-Fanatiker weltweit Entsetzen ausgelöst. Doch neu sind solche Taten nicht, meint der Architekturkritiker Klaus Englert. Die Bilderstürmerei habe eine unrühmliche Tradition - nicht nur im Islam.
Es gibt viele Bilder des Schreckens aus dem irakischen Kriegsgebiet. Unter ihnen zeigen einige, wie islamistische Kämpfer die Kulturgeschichte ihre Heimat zerstören. Mit Bulldozern und Sprengstoff rücken sie gegen die Ruinenstätte Hatra vor, vandalisieren in Nimrud, brechen ins Antikenmuseum Mossul ein und verbrennen in der Bibliothek wertvolle Manuskripte und Bücher.
Die Täter wissen sehr gut, was derartiger Hass ausrichtet. Denn mit jeder antiken Skulptur, jedem Keilschrifttext, jeder Handschrift wird eine ganze Welt zerstört. Walter Benjamin schrieb 1940, als er auf der Flucht vor den Nationalsozialisten war, vom Triumphzug der Herrschenden. Die siegen nicht allein über die am Boden Liegenden, sie führen auch ihre Kulturgüter als Beute mit.
Die Schattenseite kultureller Toleranz und Blüte
Bilderstürmerei durchzieht die Geschichte. Sie ist kein islamisches Phänomen, eher die Schattenseite kultureller Toleranz und Blüte, die vielerorts glanzvolle Epochen hervorgebracht haben. So steht das mittelalterliche Córdoba der muslimischen, jüdischen und christlichen Gelehrten ebenso wie das Bagdad des 8. Jahrhunderts für einen offenen, ja sogar weltoffenen Islam.
Der Abbaside Al-Mansur, Gründer und erster Kalif Bagdads, ließ fremde Sprachen ins Arabische übersetzen, darunter die Bücher des Aristoteles. Al-Mansurs Sohn Al-Mahdi ließ das berühmte "Haus der Weisheit" errichten, in dem Wissenschaftler und Übersetzer zusammen kamen, um Manuskripte zu studieren, die auf Griechisch, Pahlavi, Neupersisch und Syrisch geschrieben waren. Auch Christen errangen dort angesehene Posten.
Unter Harun ar-Raschid, in der Zeit islamischer Renaissance waren arabisch schreibende Gelehrte führend in Wissenschaft und Philosophie. Noch im 10. Jahrhundert rühmte ein Geograph die abbasidische Hauptstadt mit den Worten: "Bagdad hat weder im Morgenland noch im Abendland seinesgleichen."
Die Glanzzeit war jäh zu Ende, als Mitte des 13. Jahrhunderts der "Triumphzug" der mongolischen Herrscher einsetzte: Die Große Moschee und die schiitische Goldene Moschee wurden geplündert und zerstört. Die neuen Herren stürmten das "Haus der Weisheit", verbrannten stapelweise Handschriften.
Hass auf die Zivilisation und Zerstörung der Kultur
Auch im Christentum gehört der Kulturfrevel zu den Gründungsakten der Religion. So erlebte das heidnische Alexandria eine 600-jährige Blütezeit, nachdem der Mazedonier Ptolemaios I. im 2. Jahrhundert vor Christus die legendäre Bibliothek und das Museion errichten ließ.
Nach griechischem Vorbild wurden sie als Forschungszentrum und Akademie geführt. Der Bestand der Bibliothek wuchs auf über eine halbe Million Pergamentrollen mit Schriften von Platon, Hippokrates, Aristoteles, Demokrit, Epikur, Euklid und vielen mehr.
Anders als Bagdads "Haus der Weisheit" wurden die kulturellen Zentren Alexandrias von den Vertretern der neuen, der christlichen Religion zerstört. Der byzantinische Kaiser Theodosios I. verfügte 391, die heidnischen Tempel im gesamten Reich zu zerstören. Fanatische Christen steckten daraufhin Alexandrias berühmte Bibliothek in Brand - und mit ihr über 1000 Jahre griechische Literatur, Geschichte und Wissenschaft.
Es zähle einzig und allein der Glaube, so damals der Kirchenschriftsteller Tertullian. Wissenschaftliche Beweise seien ohne Bedeutung.
Leicht abgewandelt kommen derartige Rechtfertigungen erschreckend bekannt vor. Lange war der Fortschrittsglaube vom Wunsch beseelt, die Menschheit werde aus ihren tiefen Verfehlungen lernen. Heute wissen wir es besser: Hass auf die Zivilisation und Zerstörung der Kultur sind beständige Wiedergänger.

Klaus Englert, Architekturkritiker, schreibt für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung und den Hörfunk. Er war Kurator der Ausstellung „Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" (Stadtmuseum Düsseldorf) und der Wanderausstellung von "Neue Museen in Spanien" und schrieb die Bücher "Jacques Derrida" und "New Museums in Spain".

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