Indonesien

Das Schweigen nach dem Genozid

Der US-Regisseur Joshua Oppenheimer, August 2014
US-Regisseur Joshua Oppenheimer: "Der Film zoomt in den Terror hinein." © picture alliance / dpa
Moderation: Timo Grampes |
In Indonesien sind in den 1960er-Jahren Hunderttausende Menschen als angeblich systemgefährdende Kommunisten ermordet worden. Die Taten sind bis heute nicht gesühnt. Joshua Oppenheimer legt mit seinen Dokumentarfilmen den Finger in die Wunde des Landes – und bringt sich dabei selbst in Lebensgefahr.
Timo Grampes: Wir begeben uns jetzt nach Indonesien. Da sind in den 60ern Hunderttausende Menschen abgeschlachtet worden, vielleicht sogar bis zu drei Millionen, weil sie angeblich systemgefährdende Kommunisten waren. Und die Täter, die werden von vielen bis heute als Helden gefeiert. Absolut pervers und erschütternd ist das zu sehen im Dokumentarfilm "The Act of Killing" von 2012.
Der US-amerikanische Regisseur Joshua Oppenheimer hat da den Fokus auf die Täter gelegt, und die haben in seinem Film sogar ihre Morde von damals nachgespielt, weil sie ja so verdammt stolz drauf sind. Regisseur Oppenheimer hat jetzt nachgelegt mit seinem zweiten Film zum indonesischen Massaker, "The Look of Silence" heißt er – diesmal erzählt aus der Perspektive der Opfer. Herr Oppenheimer, warum jetzt die andere Perspektive, Opfer statt Täter?
Joshua Oppenheimer: Also ich würde nicht sagen, dass der erste Film ausschließlich die Perspektive der Täter angenommen hat, er stellte vielmehr die Frage, was bedeutet es für uns alle als Menschen, mit solchen Taten konfrontiert zu werden, die einfach nur das Böse ausdrücken, das Schlimmste in uns, und was bedeutet es, in einer Gesellschaft zu leben, die auf Terror, auf Gewalt und auf Lügen basiert.
Und der zweite Film, würde ich jetzt sagen, der zoomt in diesen Terror hinein. Und wie geht man damit um, wenn die Täter immer noch Gewalt ausüben, wenn der Terror immer noch allgegenwärtig ist und wenn die Angst allgegenwärtig ist, dass das jederzeit wieder geschehen könnte.
"Angst, weil die Täter immer noch an der Macht sind"
Grampes: Wer sind denn diese Überlebenden, die Sie begleitet haben, und was hat das Überleben für die bedeutet?
Oppenheimer: Als ich anfing mit diesem Film, habe ich zuerst zu Überlebenden gehabt, die auf einer Plantage gearbeitet haben, Landarbeiter waren und die kurz davor waren, eine Gewerkschaft zu gründen, aber wahnsinnige Angst davor hatten, weil ihre Eltern und Großeltern 1965 ermordet wurden, weil sie versuchten, eine Gewerkschaft zu gründen. Und diese Angst, auch weil die Täter immer noch an der Macht sind, das war eben etwas, was der Ausgangspunkt war, diese Frage, woher kommt diese Angst.
Dann fing die Armee an, die Überlebenden zu bedrohen, woraufhin die Überlebenden rieten, doch zunächst erst mal einen Film über die Täter zu machen. Und eine Familie hat sich dann besonders für das interessiert, was ich gedreht habe, für das Material, vor allem ein junger Mann, Adi, der nach dem Genozid geboren wurde, aber sein Bruder, sein älterer Bruder wurde 1965 ermordet. Und dieser Adi, der interessierte sich ganz besonders für das, was seinem Bruder, was seiner Familie geschehen war und wie man damit in seiner Familie umging. Und das hat dann eben dazu geführt, dass er sich ganz besonders für mein Material interessierte, was ich gedreht hatte.
Und ich merkte eben, wie traumatisiert er ist, wie traumatisiert seine Familie ist, wie verfolgt sie noch sind mit dieser Angst und auch der Unmöglichkeit, trauern zu können. Und Adi wollte eben an die Quelle zurückgehen, er wollte verstehen, woher diese Angst kommt, woher dieses Schweigen kommt, und er wollte Antworten finden. Und als er sich mein Material anschaute und ich einen Täter nach dem anderen interviewte, hatte ich dann letztendlich auch den Mörder seines Bruders gefunden. Und Adi wollte sie dann, diese Täter, mit mir zusammen einfach mit dem konfrontieren, was sie getan hatten.
Er selber hat jetzt Kinder und hat auch festgestellt, dass in den Schulen, beispielsweise in Indonesien, eine regelrechte Gehirnwäsche stattfindet. Man bringt den Kindern dort bei, die Opfer seien selber schuld gewesen daran, dass man sie umgebracht hätte. Und indem er jetzt die Täter auch konfrontieren konnte mit einer Mischung aus Traurigkeit, aber auch aus Wut, war es eben auch möglich, dass man diese Jahrzehnte der Angst und diese Jahrzehnte des Schweigens und auch dieser Terror, der eben immer noch existiert, dass man das hinterfragen konnte.
"Es geht darum geht, was passiert, wenn es Straffreiheit für Täter gibt"
Grampes: Also kann man sagen, Sie lösen Gefühle aus als Filmemacher, die im Verborgenen liegen, weil sie die Leute ganz tief mit ihrer Geschichte konfrontieren. Herr Oppenheimer, Sie haben ja Angehörige im Holocaust verloren – wie sehr überschreiten Sie denn als Filmemacher Ihre eigene Schmerzgrenze?
Oppenheimer: Nun, vielleicht lag eine ursprüngliche Motivation auch darin, was meinen eigenen Familienhintergrund angeht, aber ich glaube, man muss hier noch mal etwas total klarstellen: Das ist hier kein Film über alternde Nazis, die man versucht, vielleicht in Deutschland oder in Südamerika aufzuspüren und mit dem zu konfrontieren, was sie getan haben. Stellen Sie sich einmal vor, man würde solchen Alt-Nazis ein Staatsbegräbnis geben, würde sie wie Helden verehren, so wie das in Indonesien eben der Fall ist. Und das war eher ein sehr heutiger Film, ein sehr zeitgenössischer Film, der darum geht, was passiert, wenn es Straffreiheit gibt für Täter, wenn sie nicht verfolgt werden, wenn aber die Vergangenheit noch so die Gegenwart belastet, dass man das nicht aufarbeiten kann, und wenn die Lügen noch so präsent sind.
Und insofern ist das für mich kein Film über die Vergangenheit, und er hat auch nichts direkt damit zu tun, dass ich jetzt sensibler reagiere, weil ich in meiner eigenen Familie Schrecken erfahren hab oder weil meine eigene Familie Schrecken erfahren hat, sondern es ist eben ein Film über Menschen überall auf der Welt, die Böses tun können, und das könnten theoretisch auch Holocaustopfer tun. Es sind immer Menschen, die Böses tun, und der Ausgangspunkt dieses Films ist eben der, dass Adi versucht in "The Look of Silence", die Täter zu konfrontieren, aber auch eine Menschlichkeit für die Opfer einfordert und damit den Tätern auch klarmacht, was sie für eine moralische Verantwortung auch für die Gesellschaft haben durch ihre Taten.
Grampes: Als Zuschauer berühren Sie uns ja mit einem der schlimmsten Themen unseres Lebens. Täglich werden Menschen umgebracht, und wir sehen weg. Wie sollen wir denn als Zuschauer jetzt zurückbleiben – beschämt, weil wir verdrängen, nicht eingreifen oder nichts ändern, nichts ändern können und wollen?
Oppenheimer: Also ich möchte zunächst, dass der Zuschauer innehält, dass er sich erinnert an all das zerstörte Leben, an die Jahrzehnte des Schweigens, an die Jahrzehnte der Angst, dass man darüber reflektiert, was da wirklich geschehen ist und dass man nicht einfach weitermacht und versucht, damit vielleicht in eine glücklichere Zukunft zu schauen, sondern dass man wirklich bewusst zurückschaut, innehält, der Toten gedenkt. Der deutsch-jüdische Philosoph und Historiker Walter Benjamin hat einmal gesagt: Wir haben eine Verpflichtung zur Vergangenheit, wir müssen auf die Ruinen der Geschichte schauen. Und dieses Innehalten, das ist es vielleicht, um was es mir geht, dieses Gedenken an die Toten, an all das Leben, was zerstört worden ist, weil es werden alle beschädigt, wenn es Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt. Das betrifft uns alle als Mensch.
Grampes: Und mit dem Blick auf Indonesien, glauben Sie, dass der Blick auf die Geschichte sich ändern kann und wird?
"Es hat Todesdrohungen gegen mich gegeben"
Oppenheimer: Mein Film "The Act of Killing" hat schon geholfen, man kann jetzt plötzlich über den Genozid reden, ohne diese Angst zu haben. Und auch die Massenmedien in Indonesien können den Genozid erwähnen, ohne sich so sehr fürchten zu müssen wie davor. Und ich glaube, der neue Film, "The Look of Silence", ermöglicht es jetzt allen Indonesiern, auf das zu schauen, was die Realität ist, nämlich dass die Täter nach wie vor straffrei ausgegangen sind, dass es keine Gerechtigkeit gibt.
Aber solange das so ist, wird auch das soziale Netz zerstört, weil Nachbarn isoliert werden, und letztendlich zerstört es eben auch die Gemeinschaft. Und es geht nicht nur um Leute wie Adi, die Überlebende der Opfer sind, sondern es geht auch um die Kinder der Täter, die sich natürlich in einer unmöglichen Situation befinden. Und der Schaden, der für die gesamte Gesellschaft entstanden ist, der ist eben enorm, solange es keine Gerechtigkeit und solange es keine Strafe gibt. Und erst dann, wenn man sich diesen Fragen stellt, wird eine Versöhnung möglich sein und dann vielleicht irgendwann am Ende auch mal eine Art Heilungsprozess stattfinden.
Grampes: Herr Oppenheimer, wie erwünscht sind Sie in Indonesien noch? Die Täter, die Sie damals gefilmt haben für Ihren ersten Film und die ihre Morde von einst darin nachgespielt haben, die dachten ja damals, sie kämen als so was wie ein Freund.
Oppenheimer: Also ich glaube, ich muss schon zugeben, dass ich zurzeit nicht wirklich nach Indonesien zurück kann, das wäre wirklich zu unsicher. Es hat Todesdrohungen gegen mich gegeben, es hat jede Form von Drohungen gegen mich gegeben, das heißt aber nicht, dass mich die Indonesier im Großen und Ganzen nicht unterstützen würden in dem, was ich in meinem Film gesagt habe. Es ist nur halt so, dass das Militär und das Paramilitär, dass eben die Täter auf keinen Fall möchten, dass ich nach Indonesien zurückkehre. Denen bin ich sicherlich nicht willkommen.
Das hat aber nichts mit denen zu tun, die ich interviewt habe in meinem Film, also die Protagonisten aus "The Act of Killing", beispielsweise Anwar Congo, mit dem ich nach wie vor in engem Kontakt stehe. Ich glaube, wir kümmern uns gegenseitig umeinander. Er ist auch isoliert jetzt innerhalb der Täter, und ich hoffe sehr, dass mein neuer Film auch neue Diskussionen anstoßen wird, die Diskussionen vertiefen wird, die es dann noch mal möglich machen, dass ich eines Tages nach Indonesien zurückkehren kann.
Grampes: Thank you, Mister Oppenheimer! Danke schön!
Oppenheimer: Thank you very much!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.