"Immer mehr Staaten könnten in die Schieflage geraten"

Kai A. Konrad im Gespräch mit Gabi Wuttke · 02.07.2011
Die angebotenen Finanzhilfen der privaten Banken zur Rettung Griechenlands entsprechen nicht dem Ernst der Lage, sagt der Geschäftsführenden Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, Kai A. Konrad. Durch die finanzielle Unsicherheit des Landes könne es zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Gläubiger in der gesamten Euro-Zone kommen.
Gabi Wuttke: Seit Beginn der Weltfinanzkrise lastet auf den Schultern von uns Steuerzahlern eine unermessliche Last. Trotzdem werden die Euro-Finanzminister heute die nächste Tranche der Griechenlandhilfe freigeben. Auf Mitte des Monats vertagt hat man die Frage, inwieweit private Gläubiger mit ins Boot geholt werden sollen, um die Steuerzahler zu entlasten. In Deutschland haben die Finanzinstitute angeboten, 3,2 Milliarden Euro wieder in griechische Staatsanleihen anzulegen – weit weniger, als Frankreich will. Legt Josef Ackermann, der auch den internationalen Bankenverband führt, deshalb die Stirn in Sorgenfalten? Um 7.50 Uhr begrüße ich im Deutschlandradio Kultur Professor Kai A. Konrad, den geschäftsführenden Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen. Schönen guten Morgen!

Kai A. Konrad: Ja, guten Morgen, Frau Wuttke, ich grüße Sie!

Wuttke: Wie gut wäre denn das Geschäft der Gläubigerbeteiligung für die deutschen Banken und Versicherungen?

Konrad: Ja, das hängt sicher von der Alternative ab, also wenn die Alternative heißt, Griechenland geht in die Umschuldung, dann verlieren die Privaten ja doch ganz erheblich gegenüber dem, was bei einer Rückzahlung für sie anfällt, und wenn die Alternative heißt, dass im anderen Fall der Staat halt doch hundert Prozent in die Bresche geht, dann verlieren sie durch die private Begläubigung wenigstens ein kleines, kleines bisschen.

Wuttke: Und das Ganze Große, das trägt dann der Steuerzahler?

Konrad: Ja, das Ganze Große trägt mit aller Voraussicht der Steuerzahler. Das deutet sich ja schon dadurch an, dass in den ganzen letzten ... was haben wir jetzt, seit dem 10. Mai 2010 ist ja doch eine ganze Zeit vergangen, und in dieser Zeit hat natürlich der private Sektor einen großen Teil seiner Ansprüche an Griechenland bereits eingetauscht, also teilweise hat er sie der Europäischen Zentralbank verkauft, teilweise sind die Kredite auch einfach abgelöst worden, und der private Sektor hat sich eben nicht wieder engagiert.

Wuttke: In Deutschland hat die Opposition schon mal Stellung bezogen und hat gesagt: Was hier angeboten wurde von Banken und Versicherungen, nämlich die schon genannten 3,2 Milliarden Euro, das sei viel zu wenig. Nun ist der Vorstand einer Bank ja seinem Unternehmen und nicht dem Gemeinwohl verpflichtet, also können Banken nicht anders?

Konrad: Ja, Gott, ich meine, was kann man von einer freiwilligen Umschuldung im Grunde eigentlich erwarten? Also eine Umschuldung ist eigentlich etwas, was der Natur nach nicht so ganz freiwillig ist. Eine Umschuldung ist normalerweise ein Vorgang, in dem eben der Schuldner sagt, ich kann nicht mehr oder ich will nicht mehr und seine Zahlung erst mal verweigert, und dann geht es möglicherweise in Verhandlungen, in denen sich herausstellt, wie viel tatsächlich die Gläubiger doch noch zurückbekommen. Wenn man auf Freiwilligkeit setzt, kann man natürlich nicht wirklich viel erwarten, und freiwillig wird man sozusagen eigentlich immer nur das tun, was einem opportun erscheint. Also insofern vermute ich, dass der Deal für die Privatindustrie einer ist, der nicht allzu schmerzhaft ist.

Wuttke: Professor Konrad, welcher Zusammenhang besteht denn zwischen dieser Freiwilligkeit und den Ratingagenturen?

Konrad: Ja, nun, Sie wissen, dass verschiedene Institute ihr Engagement in Griechenlandanleihen durch die Ratingagenturen abhängig machen, unter anderem wird immer wieder gesagt, dass auch die Europäische Zentralbank ihre Bereitschaft, Griechenlandanleihen als Sicherheiten zu akzeptieren, von den Ratingagenturen abhängig macht. Sie muss das nicht unbedingt zwingend, aber die europäischen Verträge legen schon nahe, dass sie keine Papiere als Sicherheiten akzeptiert von einem Schuldner, der sich letztlich in der Umschuldung befindet. Insofern ist es nicht ganz unerheblich, ob eine freiwillige Umschuldung mit einer Veränderung des Ratings in Richtung auf Default, also auf Umschuldung, verbunden wäre oder nicht.

Wuttke: Sie sagen, man kann nicht viel erwarten, wenn es um Freiwilligkeit geht. Wie sähe denn für Sie eine ordentliche Gläubigerhaftung aus?

Konrad: Ja, also mein Wunschprogramm wäre gewesen damals, dass man ab dem Mai 2010 begonnen hätte, den Finanzsektor, den Bankensektor soweit robust zu machen, dass er ein paar Monate später eben eine richtige Umschuldung aushalten kann, das heißt, eine richtige Zahlungsverweigerung Griechenlands, was seine Staatsschulden angeht, eben aushalten kann, ohne dass man befürchten muss, dass der Finanzsektor damit wieder in die totale Schieflage gerät, und dass es dann eben zu einem Haircut, also einem Vergleich zwischen Gläubigern und Schuldner kommt, bei dem eben die tatsächliche Finanzlage Griechenlands Berücksichtigung findet. Das heißt also, da hätten ... Da kursieren unterschiedliche Zahlen, aber man kann wohl davon ausgehen, dass vielleicht in der Größenordnung von 50 Prozent oder in der Höhe etwa private Forderungen dann abzuschreiben gewesen wären.

Wuttke: Wie schwer wiegt denn der Komplex, dass die EU-Rettungsschirme ja ein Vertragsverstoß sind, der wiederum nicht wieder rückgängig gemacht, also der Regenschirm nicht wieder zugeklappt werden kann?

Konrad: Ja, Vertragsverstoß ja, nein – Sie wissen, dass die Juristen sich darüber ein bisschen streiten. Aus ökonomischer Sicht war es wohl wirklich so, dass alle den Artikel 125 EU-Vertrag so interpretiert haben, dass es eigentlich im Falle eines Falles nicht zu Hilfen seitens der anderen Mitgliedsstaaten kommt und auch nicht zu Hilfen seitens der Europäischen Union. Nun ist es durch den Rettungsschirm anders gekommen. Als Ökonom kann man das tatsächlich als Vertragsbruch werten, das ist richtig.

Wuttke: Und wenn der Weg, der jetzt eingeschlagen wird, die Komponenten haben wir ja gerade schon benannt, wenn dieser Weg nun weiterverfolgt wird, den die Politik ja auch aus Angst eingeschlagen hat, was dann?

Konrad: Tja, also wie gesagt, ich hätte mir gewünscht, dass die Politik die letzten 12, 15 Monate nutzt, um eine tatsächliche Umschuldung Griechenlands seitens der Finanzmärkte möglich zu machen. Was jetzt passiert: Alles ist möglich, also es gibt verschiedene Szenarien bis hin zu einem Szenario, in dem letztlich die Gläubiger auch gegenüber der gesamten Eurozone die Geduld verlieren.

Wuttke: Das heißt was?

Konrad: Na ja, also so, wie Griechenland das Vertrauen der Gläubiger im Mai letzten Jahres dann endgültig eigentlich erst mal eingebüßt hat, später Portugal und Irland, so kann sich dieser Prozess natürlich auch auf die anderen Mitgliedsstaaten erweitern. Und wenn man sich mal den Extremfall vorstellt, dass also immer mehr Staaten also sozusagen in diese Schieflage geraten und immer weniger Staaten sozusagen diese anderen Staaten retten, und wenn sich für die Gläubiger auch noch abzeichnet, dass dieser Prozess irgendwie kein natürliches Ende findet, dann kann irgendwann der Punkt kommen, in dem eben auch die Risikoprämien für die derzeit noch sehr gesunden Mitgliedsstaaten der Eurozone in die Höhe gehen.

Wuttke: Ein möglicher Blick in die Zukunft, der nicht optimistisch stimmt. Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Professor Kai A. Konrad, der geschäftsführende Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen. Vielen Dank für diese Erläuterungen und ein schönes Wochenende!