Immer auf dem Posten: Die jungen Akademiker

Von Konstantin Sakkas |
Elite - wohl kaum ein anderes Wort hat eine schlechtere Presse im deutschen Bildungsdiskurs. Elite, das heißt für die meisten: soziale Exklusion, Kaderdenken, Arroganz der Privilegierten gegenüber den Mittellosen. Populäre Veröffentlichungen wie etwa der Bestseller von Julia Friedrichs "Gestatten: Elite" haben ein Übriges getan, um den Begriff weiter in Misskredit zu bringen.
Es steht wohl außer Frage: Mit dem Elitebegriff wurde und wird zunehmend arger Missbrauch getrieben. Das liegt im Wesentlichen daran, dass er bis heute einseitig von den Funktionseliten okkupiert wird, also jenen, die aufgrund einer bloß formalen Qualifikation – etwa als Jurist, Betriebswirt oder Politiker – Anspruch auf eine gesellschaftliche Sonderstellung erheben. Doch Funktionselite ist eben nicht gleich Elite.

Wahre Elite definiert sich nicht über die Form, sondern über den Inhalt: Eigenschaften wie Spontaneität, Selbstständigkeit und Eigeninitiative sind es, die gerade das intellektuelle Prekariat von heute zur eigentlichen Elite machen: Jene jungen Menschen zwischen 25 und 40, mit oft brillanten Abschlüssen und einiger Lebenserfahrung, die manchmal jahrelang auf eine Festanstellung warten, die sich als Freelancer durchs Leben schlagen und früh gelernt haben, auf eigenen Beinen zu stehen. Sie selber mögen den Begriff zwar nicht; aber wenn es in der modernen Wissensgesellschaft eine Elite gibt, dann sind sie die Elite.

Auch die Politik täte gut daran, sich dessen bewusst zu werden. Denn die jüngsten Hochschulreformen drohen auch dieses heimliche Elitepotenzial, für das Deutschland immer noch weltweit bewundert wird, zunichtezumachen.

Der Bologna-Prozess gefährdet just die Eigenschaften, die dieses Potenzial ausmachen: Nicht nur in der Wissenschaft ist Freiheit das heiligste Gut; im heutigen Arbeitsleben mit seinem eklatanten Mangel an Sicherheit und Verlässlichkeit sind Freiheit und Spontaneität geradezu das Elixier, das angehende und fertige Akademiker im alltäglichen Kampf um Aufträge und Verdienst am Leben hält. Heutigen Studenten vorzugaukeln, ihre Karriere ließe sich wie auf dem Reißbrett planen, ihre Leistung sich nach Punkten klassifizieren, ist so blauäugig wie unverantwortlich.

Denn wir leben in einer Zeit, da selbst die beste Ausbildung, der glänzendste Abschluss nicht mehr davor bewahren, auf Hartz-IV-Niveau zu sinken. Andererseits sind es oftmals gerade die weniger glamourösen Lebensläufe, hinter denen sich wahres Genie verbirgt: Dass jemand erst mit 30 seinen Hochschulabschluss macht, sagt über sein eigentliches Talent überhaupt nichts aus.

Oft sprechen gerade gebrochene, irrlichternde Lebensläufe für besondere geistige und menschliche Eigenschaften – und nicht selten für ein gewisses Durchsetzungsvermögen. Wofür frühere Generationen die Midlife-Crisis als Anstoß brauchten, das beherrschen die Intellektuellen von heute schon mit Mitte 20: Sie sind innovativ, sie sind flexibel, sie fallen oft, aber liegen bleiben sie nie. Sie sind toujours en vedette, immer auf Posten, nicht naiv und selten bequem. Allerdings: Das Leben verstehen sie trotzdem zu genießen.

Beides: Die Leistungsfreude und den Hedonismus, droht ihnen Bologna zu nehmen. Die Normierung von Karrieren ist intellektuell unproduktiv, moralisch fragwürdig und bildungspolitisch unrealistisch. Wenn heute hoch begabte 30-Jährige keine Arbeit finden, wie soll es dann erst 24-jährigen Bachelors gehen, denen zur hinreichenden Bildung auch noch die nötige Lebenserfahrung fehlt?

Auch der Universitätsreform sieht man die Lebensferne ihrer Initiatoren an; zumal die eigentlichen Probleme ganz woanders liegen: Stellenstreichungen sowie eine geradezu unverschämte Gehaltspolitik machen die Generation Praktikum gleichsam zu einem intellektuellen Sklavenstand.

Doch daraus hat sie besondere Qualitäten entwickelt, denn in der Lebensgestaltung, ob beruflich oder privat, kann heute kein Politiker den hunderttausenden Freelancern etwas erzählen, die mittlerweile einen großen Teil des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in diesem Land tragen. Tut er es doch, macht er sich höchstens lächerlich. Diese Elite verdient ihren Namen wirklich, auch wenn sie keine "Elite-Uni" besucht hat; sie könnte sich hierauf ruhig etwas mehr einbilden.


Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, schloss 2009 das Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin ab. Er arbeitet seit mehreren Jahren als freier Autor für Presse und Rundfunk.