Im Frieden aufgewachsen

Von Leonie March · 04.10.2012
Im Oktober 1992 wurde in Rom das Friedensabkommen unterzeichnet, das einen langen Bürgerkrieg in Mosambik beendete. 20 Jahre später wächst die Wirtschaft im Land kräftig. Dennoch fehlt es vielen jungen Menschen an Perspektiven.
Mavalane, einer der dicht besiedelten Vororte Maputos. Zwischen den engen Gassen und ungeteerten Straßen drängen sich kleine Häuser, manche nur aus Wellblech zusammengezimmert, andere aus selbst gebrannten Lehmziegeln, nur wenige verputzt.

Mauern und Zäune grenzen die Grundstücke voneinander ab. In den kleinen Höfen brennen Feuer, es riecht nach Rauch und Abwasser. Hier lebt Lapião Charanguane mit seiner Mutter und drei Geschwistern. In zwei winzigen Zimmern, ohne den Luxus einer Privatsphäre. Lapião ist 20 Jahre alt, geboren im Jahr des Friedensabkommens, das den über anderthalb Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieg in Mosambik beendete.

"Die Leute reden nur selten über den Krieg. Es sind die Erinnerungen unserer Eltern und Großeltern. Meine Generation hat keine Zeit, der Vergangenheit nachzuhängen. Wir sind damit beschäftigt, im Hier und Jetzt über die Runden zu kommen. Die meisten verkaufen irgendetwas, um zu überleben. Jeder wünscht sich zwar einen richtigen Job, aber es ist sehr schwer eine Arbeit zu bekommen."

Lapião ist arbeitslos. Wie die meisten hier. Geschätzte 300.000 junge Mosambikaner strömen jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt, zu viele für die begrenzte Zahl an Stellen. Vor zwei Jahren hat Lapião die Schule abgeschlossen, seitdem sucht er verzweifelt nach einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle.

"Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll. Ich habe meine Bewerbungsunterlagen schon an eine ganze Reihe von Unternehmen geschickt, aber nie eine Antwort bekommen. Dabei bin ich nicht wählerisch. Momentan würde ich jede Arbeit annehmen. Ich wünschte mir, die Regierung würde mehr für uns tun: Die Armut wirksamer bekämpfen, mehr Jobs schaffen oder uns wenigstens dabei unterstützen, uns selbstständig zu machen."

Die Regierung wird auch noch 20 Jahre nach dem Friedensabkommen von Mitgliedern der ehemaligen Bürgerkriegspartei "Frelimo" gestellt. Sie hat die politische Macht fest in der Hand. Bei den letzten Wahlen 2009 wurde Präsident Guebuza mit einer komfortablen Drei-Viertel-Mehrheit wiedergewählt. Die ehemaligen Gegner der "Renamo" sitzen auf der Oppositionsbank. Politisch und gesellschaftlich sei der Krieg noch nicht aufgearbeitet worden, kritisiert Boia Efraime, Psychologe aus Mosambik, der mit Jugendlichen und Kindern arbeitet. In vielen Elternhäusern sei das Thema tabu.

"Leute von der 'Frelimo' haben Leute, Verwandte von der 'Renamo' getötet oder andersherum, aber man hat nie über das gesprochen. Man hat nicht über die Schuld, die jeder von uns eigentlich trägt, gesprochen. Und somit haben wir eine Möglichkeit aus unserer Vergangenheit etwas zu lernen verpasst. Wenn die Eltern schweigen, wenn die Lehrer darüber schweigen, dann ist das für die Kinder nicht verständlich. Das ist die eine Seite. Aber andererseits ist es auch so, dass vielleicht die Jugendlichen jetzt langsam satt sind, an allen Problemen, die man in Mosambik hat, sind entweder die Portugiesen schuld, die bösen Kolonialisten oder 'Renamo', der Krieg. Inzwischen sind es 20 Jahre und die Leute fangen an, sich zu fragen, vor allem die Jugendlichen: Was macht diese Regierung?"

Die "Frelimo" muss die Stimmung der Jugend im Auge behalten, schließlich ist jeder zweite Mosambikaner unter 25 Jahre alt. Die Frustration über die Perspektivlosigkeit ist unter den Jugendlichen in Vierteln wie Mavalane deutlich zu spüren. Gewaltsame Proteste wie vor zwei Jahren bleiben aber die Ausnahme. Damals waren Demonstrationen gegen höhere Preise für Brot, Strom und Wasser in Maputo und anderen Städten des Landes eskaliert. Es kehrte erst Ruhe ein, als die Regierung die Preise wieder gesenkt und Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut versprochen hatte. Viel geändert hat sich seitdem nicht: Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 27 Prozent. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gezwungen, sich im sogenannten informellen Sektor durchzuschlagen.

In Mavalane haben die meisten Bewohner vor ihren Häusern kleine Stände eröffnet, verkaufen Gemüse und Holzkohle, selbst gebrannte Ziegel und Telefonkarten, Second-Hand-Kleidung und Schuhe.

Die Konkurrenz ist groß. Während des Bürgerkrieges sind hunderttausende Menschen vom Land nach Maputo geflohen, denn die Hauptstadt blieb von den Kämpfen weitgehend verschont. Viele sind nie in ihre Heimat zurückgekehrt, haben kleine Häuser gebaut und Familien gegründet. Die Armenviertel wachsen auch heute ständig weiter, erzählt Gaspar Mabunda, 30 Jahre alt, Gründer der Nichtregierungsorganisation "Nucleo de Mavalane".

"Viele Leute ziehen noch immer vom Land in die Stadt, auf der Suche nach einem besseren Leben. Das führt natürlich zu Konflikten in Vierteln wie diesem, wo die Leute schon heute nicht wissen, wie sie überleben sollen. Meine Organisation hat deshalb verschiedene Präventionsprogramme ins Leben gerufen. Wir klären über Aids und Drogen auf und unterstützen die Jugendlichen auch beim Aufbau kleiner Unternehmen. Aber das Grundproblem bleibt der Mangel Perspektiven. Für eine nachhaltige Verbesserung der Situation müssten vor allem Arbeitsplätze geschaffen werden."

Die mosambikanische Regierung steht vor einer enormen Aufgabe: Zwar wächst die Wirtschaft kräftig, seit Jahren um rund sieben Prozent. Die Aussichten sind dank relativ neu entdeckter Gas- und Kohlevorkommen gut. Gleichzeitig wächst die Kluft zwischen einer überschaubaren wohlhabenden Schicht und der bitterarmen Bevölkerungsmehrheit. In den ländlichen Gegenden ist die Infrastruktur noch immer vom Bürgerkrieg gezeichnet. Es fehle vor allem an weiterführenden Schulen und Krankenhäusern, betont Bettina Maas, Repräsentantin des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen in Mosambik.

"Wenn man jetzt denkt, dass sich die Bevölkerung in Mosambik in 27 Jahren verdoppeln wird und man dann auch wirklich Gesundheitsdienste, Arbeitsplätze, Schulen schaffen muss, um wirklich eine Chance zu schaffen für die jungen Menschen."

Chokwe, ein ländlicher Bezirk, rund drei Stunden Fahrtzeit von Maputo entfernt. Bekannt für Viehzucht, den Anbau von Reis, Bohnen und Tomaten.

Auf den Feldern schuften überwiegend Frauen, lockern die Erde mit einfachen Hacken, jäten Unkraut mit der Hand. Sie tragen traditionelle Capolanas, bunt-gemusterte Stoffe, als Rock um die Hüften gebunden. Ruinen von Farmhäusern der portugiesischen Großgrundbesitzer erinnern an die Kolonialzeit, Einschusslöcher an den Bürgerkrieg. Die meisten Menschen leben in bescheidenen Hütten, ohne Strom, fließend Wasser oder Toiletten. Großfamilien auf engstem Raum. Der Alltag ist hart, erzählt die 18-jährige Delfina Domingos. Ein zierliches Mädchen mit ernstem Gesicht.

"Als ich elf war, sind meine Eltern gestorben. Ich bin mit meinen jüngeren Brüdern zu meinen Großeltern gezogen, aber denen war ich nur lästig. Sie wollten mich möglichst schnell verheiraten. Als ich mich geweigert habe, haben sie mich rausgeschmissen. Zum Glück haben mich meine älteren Geschwister damals aufgenommen. Aber auch sie haben es nicht leicht. Ich helfe bei der Feldarbeit und im Haushalt, putze, wasche und koche."

Barfuß macht sich Delfina auf den Weg in die Stadt, ihre acht Monate alte Tochter trägt sie in einem Tuch auf dem Rücken. Die Schule hat sie abgebrochen, als sie ihren Freund kennenlernte, heiratete und schwanger wurde. Seit Jahresbeginn hat sie ihn nicht mehr gesehen, er arbeitet im vergleichsweise wohlhabenden Nachbarland Südafrika.

Delfinas Schicksal teilen viele Mädchen in der mosambikanischen Provinz: Etwa die Hälfte heiratet vor der Volljährigkeit, jede fünfte sogar vor ihrem 15. Geburtstag. Das bedeutet meistens: Schwangerschaft statt Schule. Ein Teufelskreis der Armut. Dabei ist die Ehe vor dem 16. Lebensjahr verboten und bis zum 18. nur mit Einverständnis der Eltern möglich.

Als Delfina, die junge Mutter mit ihrem Baby, in Chokwe ankommt, sieht sie, dass sich auf dem Marktplatz eine Menschentraube gebildet hat. Eine Gruppe junger Leute führt dort ein Theaterstück auf: Es geht um die Risiken einer Abtreibung, Aids, Familienplanung und Verhütung. Gesten und Worte sind unmissverständlich: Ein Jugendlicher klemmt sich einen Maiskolben zwischen die Beine und rollt ein Kondom darüber.

Kichern im Publikum: Marktfrauen hocken hinter Plastikschüsseln und billigen T-Shirts auf dem Boden. Mädchen recken ihre Hälse, Plastikwannen voller Cashewnüssen auf den Köpfen. Junge Männer schießen mit ihren Handys Fotos und versuchen dabei cool auszusehen. Wegschauen kann keiner, alle Zuschauer verfolgen das Spektakel gebannt. Es sind Themen, die besonders der Jugend auf den Nägeln brennen, erklärt Alvaro Chissano. Der 30-Jährige ist der Leiter der Gruppe. Er trägt ein blaues T-Shirt mit dem Aufdruck "Generação Biz", einer landesweiten Initiative. Kern ist die Aufklärung der Jugend durch Gleichaltrige. Das Ziel: Weniger Teenagerschwangerschaften und HIV-Infizierte, eine besser ausgebildete, neue Generation, ein geringeres Bevölkerungswachstum.

"Meine Großeltern hatten 15 Kinder und mein Vater zehn. Wenn ich also in ihre Fußstapfen treten würde, dann würde ich es nicht weiter bringen als sie. Meine Eltern haben nicht genug Geld, um mein Studium zu finanzieren. Ich möchte dazu einmal in der Lage sein. Das ist nicht einfach: Nachdem meine Frau und ich unser erstes Kind bekommen haben, machte die Familie Druck. Wir sollten sofort ein zweites bekommen. Doch wir haben damit mehrere Jahre gewartet und sind heute froh darüber. Das Leben ist so schon schwer genug. Meine größte Hoffnung ist es, endlich mein Studium zu beenden. Mosambik erlebt gerade einen Rohstoffboom. Da werden Fachkräfte gebraucht. Bislang aber haben die meisten von uns nicht die entsprechenden Qualifikationen. Ich würde mir wünschen, dass die Regierung uns stärker unterstützen würde, mit Stipendien und anderen Förderprogrammen."

In ländlichen Gegenden wie Chokwe allerdings müssen Jugendliche froh sein, wenn sie die weiterführende Schule beenden können. Schon das scheitert oft an der Entfernung. Zwar sind die Schulen kostenlos, doch viele Eltern können sich den Bus dorthin nicht leisten. Die Jugendlichen werden gebraucht, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Universitäten bleiben ein Traum. Sie gibt es nur in größeren Städten.

Wer aus der mosambikanischen Provinz kommt, muss sich in der Hauptstadt Maputo fühlen wie in einer neuen Welt. Aufbruchstimmung und Wirtschaftswachstum sind überall zu spüren.

Die ehemals schlaglochübersäten Hauptstraßen sind frisch geteert, neue Apartmentblocks werden gebaut, an jeder Ecke eröffnen neue Geschäfte, Cafés und Restaurants. Mitten in der Stadt wohnt Clotilde Manjate. Die 23-Jährige lebt seit dem Tod ihrer Eltern in einer geräumigen Eigentumswohnung, gemeinsam mit ihren beiden Brüdern und deren Familie. Sie ist eine moderne, selbstbewusste Frau, trägt Jeans statt Rock. Tagsüber arbeitet sie, danach gönnt sie sich eine halbe Stunde Freizeit, bevor sie abends die Kurse einer Privatuniversität besucht. Familie und Kinder kommen in ihren Zukunftsplänen vorerst nicht vor.

"Mein Ziel ist es, mein Studium in zwei Jahren erfolgreich abzuschließen und dann noch einen Master zu machen. Natürlich weiß ich, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht einfach ist. Selbst Universitätsabsolventen finden häufig keine Stelle. Aber ich bin trotzdem zuversichtlich, dass ich einen guten Job finde, wenn ich entsprechende Noten und praktische Erfahrung vorweisen kann. Falls das nicht klappt, bleibt immer noch die Alternative, mich selbstständig zu machen."

Clotilde ist sich bewusst, dass sie es besser hat als viele andere ihrer Generation.
Ihr Vater war bei der Armee, die Ausbildung seiner Kinder hat er immer gefördert, durch sein Erbe sind sie finanziell einigermaßen abgesichert. Ein Bonus, von dem Gleichaltrige in den Armenvierteln oder auf dem Land nicht einmal zu träumen wagen. Doch die 23-Jährige ruht sich darauf nicht aus. Sie arbeitet hart und zielstrebig an ihrer Zukunft. Die Rahmenbedingungen, es aus eigener Kraft zu etwas zu bringen, betont sie, seien in Mosambik heutzutage wesentlich besser als früher.

"Mein Land entwickelt sich positiv. In einigen Provinzen gab es nach dem Krieg gar nichts mehr. Heute jedoch haben die Leute wieder Häuser, Geschäfte und Banken haben eröffnet. Früher waren viele Menschen von der Außenwelt abgeschnitten. Heute hat jeder ein Handy. Auch im Bildungsbereich hat sich viel getan: Wer früher den Aufnahmetest bei der staatlichen Universität nicht schaffte, hatte sich die Zukunft verbaut. Heute gibt es eine Reihe privater Universitäten, die noch dazu erschwinglich sind. Auch die Gesundheitsversorgung ist besser. Früher gab es nur wenige Kliniken, die Behandlung war teuer. Auch das ist heute anders."

Das Leben in Maputo hat sich tatsächlich in vielen Bereichen verbessert. Doch am Rand der Hauptstadt wachsen die Armenviertel, die Entwicklung auf dem Land hinkt enorm hinterher. Auf Dauer birgt das gesellschaftlichen Sprengstoff. Bislang aber ist der Herzenswunsch vieler junger Mosambikaner bescheiden: Sie wünschen sich ein Leben jenseits bitterer Armut, eine Chance, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können.
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