"Ich bin sehr dankbar für die Klarheit"

Martin Tenge im Gespräch mit Joachim Scholl · 26.02.2010
Probst Martin Tenge, Regionaldechant von Hannover des Bistums Hildesheim, lobt Erzbischof Robert Zollitsch und die Deutsche Bischofskonferenz wegen den Aussagen zu den Missbrauchsfällen. Es sei klar gesagt worden, dass die katholische Kirche ein Problem habe, sagte Tenge.
Joachim Scholl: Beschämt und schockiert bitten wir alle um Entschuldigung und Vergebung, die Opfer dieser abscheulichen Taten geworden sind - so formuliert die Deutsche Bischofskonferenz zum Abschluss ihrer Frühjahrstagung. Eine Tagung, die sich mancher Bischof anders gewünscht haben mag.

Das beherrschende Thema in den Medien war der sexuelle Missbrauch durch katholische Priester, und er hat natürlich auch das Treffen bestimmt, immer mehr Fälle wurden bekannt, und die Kritik an der Kirche im Umgang mit diesen Verbrechen wurde stetig lauter. Gestern hat hier in unserem Programm der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch noch einmal bekräftigt, dass man Appell verschaffen will.

Robert Zollitsch: Wir wollen klar zeigen, dass wir dieses Verbrechen immer aufklären wollen, dass wir den Menschen helfen wollen und auch, es ist natürlich schlimm, dass so etwas in unserer Gesellschaft geschieht, aber es ist doppelt schlimm, wenn es durch einen Priester oder einen Mann oder Frau der Kirche geschieht, denn wir stellen an uns höhere Anforderungen, zurecht auch.

Scholl: Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz nach der Frühjahrstagung, die gestern zu Ende ging. Ich bin nun verbunden mit Martin Tenge, Regionaldechant von Hannover des Bistums Hildesheim. Guten Tag, Herr Tenge!

Tenge: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Vor einiger Zeit haben Sie hier in unseren Programm, Herr Tenge, selbst deutliche, klare Worte der Verantwortung von den katholischen Bischöfen zum sexuellen Missbrauch durch Kirchenleute gefordert, haben Sie diese Worte gestern gehört?

Tenge: Ich habe die Worte gehört, ich bin sehr dankbar für die Klarheit, die Erzbischof Zollitsch zum Ausdruck gebracht hat, stellvertretend für alle. Es ist nicht, sozusagen, individualisiert worden, einzelne Bistümer haben ein Problem, sondern es ist klar gesagt worden, die katholische Kirche hat ein Problem und will ernsthaft daran arbeiten. Sie entschuldigt sich bei den Opfern, und versucht, im Blick auf die Zukunft, auf den Weg nach vorne, für klare Richtungen zu sorgen, dass so was nicht wieder passiert, dass man vorbeugt, dass man schützt, und dass man versucht, angemessen damit umzugehen, im Sinne der Opfer.

Scholl: Ist das Thema Ihrer Meinung nach adäquat und überzeugend auf dem Treffen diskutiert und aufgearbeitet worden?

Tenge: Wenn ich die Erklärungen der Bischofskonferenz am Ende sehe, muss ich sagen, bin ich einerseits, hat es meine Erwartungen getroffen, also so habe ich mir das vorgestellt, es hat an einigen Stellen meine Erwartungen sogar übertroffen. An der einen oder anderen Stelle habe ich aber auch meine Fragen.

Scholl: Welche wären das?

Tenge: Meine Frage ist, im Blick insbesondere auf das Thema Behandlung der kirchlichen Sexuallehre, ich glaube nicht, dass wir die kirchliche Sexuallehre in sich jetzt verändern müssen und korrigieren müssen, aber ich glaube, sie muss ins Gespräch gebracht werden.

Wir müssen mehr lernen, über Sexualität zu reden, als ein Thema, das die Menschen betrifft, das zu uns dazu gehört, das unser Thema ist, um es aus so einem Nimbus herauszuholen, das ist peinlich, darüber darf man nicht reden und es muss irgendwie unter dem Deckel gehalten werden.

Scholl: Ein strenges Tabu ist, glaube ich, in dem Zusammenhang wirklich die Homosexualität, gestern hat Erzbischof Zollitsch im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur jede Verbindung von Homosexualität und Pädophilie der Missbrauchsfälle entrüstet abgelehnt. Als er sagte, das hat beides nichts miteinander zu tun, die Mehrzahl der Fälle in der Kirche sind nun homosexueller Natur, an dieses Tabu, Herr Tenge, rührt weiterhin keiner, oder?

Tenge: Also ich bin fachlich leider nicht ganz in der Lage, jetzt zu sagen, inwieweit da ein Zusammenhang besteht, das ist letztlich auch eine fachliche Frage, ich kann jetzt auch nicht sagen, ob es stimmt, dass es wirklich auf Homosexualität zurückzuführen ist ...

Scholl: Nein, nein, nicht zurückzuführen, aber ich meine, es ist ja offensichtlich, dass, sozusagen, die Übergriffe meistens an jungen Männern, sozusagen, vorgenommen werden. Das heißt ja, das ist ... Die Homosexualität ist da ganz stark im Spiel.

Tenge: Ich bin mir nicht sicher, ob das insofern stimmt, dass, wenn erwachsene Männer sich an Kindern vergreifen – wir müssen es ja einfach so deutlich sagen – ob das gleich das Phänomen der Homosexualität ist, da bin ich mir nicht ganz sicher, ob das nicht, ob nicht Pädophilie von Homosexualität wirklich zu differenzieren ist.

Scholl: Gut, das wird noch zu diskutieren sein. Kommen wir mal zu den Schritten, Herr Tenge, die angekündigt worden sind, also die Vollversammlung hat jetzt einen besonderen Beauftragten für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs in der Kirche bestimmt, das ist der Bischof von Trier, Stephan Ackermann. Wie bewerten Sie diesen Schritt und diese Personalie?

Tenge: Ich bin an dieser Stelle positiv überrascht, dass man auch hier nicht nur auf die Diözesanenebene noch mal darauf achtet, dass die Auswahl dieser Ansprechpartner noch mal verbessert wird, dass sie noch unterstützt wird, durch externe Hilfestellung, sondern, dass man sogar auf Bundesebene eine Zentralstelle eingerichtet hat, und diese Zentralstelle auch mit einem konkreten Kopf bestückt hat. Mit einem – wie ich finde – prominenten Kopf, Bischof Ackermann, der auch als junger Priester, der sich immer positioniert hat zu diesem Thema, dass der eingesetzt worden ist, das finde ich einen ganz positiven Schritt.

Scholl: Außerdem soll eine bundesweite Hotline eingerichtet werden ...

Tenge: Genau.

Scholl: Ist das auch ein Zeichen, sozusagen, auch nach außen sich zu öffnen?

Tenge: Ja, ich nehme da doch Signale wahr, dass man eben merkt, wir können das Thema nicht nur kirchenintern und theologisch bearbeiten, sondern wir brauchen diesen Blick nach außen, wir brauchen externe Kompetenz, und wir brauchen auch eine externe Kommunikation.

Wir brauchen dieses Anbieten, ihr könnt mir uns reden, und wir wollen mit euch reden, das taucht ja an anderen Stellen auch auf, dieser Hinweis, wir brauchen die Kompetenz von kirchenexternen Einrichtungen und einfach Leute, die nicht im Kircheninternen sind. Solche Leute brauchen wir, weil die etwas mitbringen, was wir vielleicht doch nicht haben.

Scholl: Ich meine Sie, Herr Tenge, haben neulich in unserem Gespräch von jener systeminternen Kommunikation der Kirche gesprochen, also von jener Mentalität, die alles mit sich ausmachen möchte. Ich meine, wenn man die verschiedenen Schritte begutachtet, könnte man ja zur Folgerung kommen, dass diese systeminterne Kommunikation jetzt endlich mal aufgebrochen wird.

Tenge: Also ich nehme hier viele Absichtserklärungen wahr, das muss man natürlich sehen, mehr kann die Bischofskonferenz natürlich auch nicht tun. Aber alleine, indem man das mal sagt, indem man das mal deutlich macht, wir haben hier auch ein Problem mit unserer Kommunikation – so würde ich das einfach mal interpretieren –, ist für mich ein ganz großer Schritt nach vorne getan.

Und ich glaube, dass diejenigen, die sich um diesen Dialog von Kirche in Gesellschaft bemühen, hiermit auch noch mal eine große Unterstützung gefunden haben, jawohl, lassen wir uns doch mehr auf den Dialog mit anderen ein, holen wir uns doch Kompetenz von außen, die eben nicht theologisch ist und sagen nicht gleich, das ist ja keine richtige Kompetenz. Es gibt eben auch eine Kompetenz außerhalb der Theologie, die für Kirche hochgradig entscheidend wichtig ist.

Scholl: Martin Tenge, Regionaldechant für das Bistum Hannover im Gespräch hier mit Deutschlandradio Kultur. Was weiterhin in Kraft bleibt, Herr Tenge, oder zumindest auch noch mal überarbeitet werden soll, sind die Leitlinien zum Vorgehen bei Missbrauchsfällen aus dem Jahr 2002, dort wird Tätern angeraten, sich anzuzeigen, eine Pflicht dagegen, besteht juristisch nicht.

Man will nun die Täter, die sich bekennen, stärker dazu anhalten, sich Behörden zu stellen, aber grundsätzlich bleibt es freiwillig. Ist das nicht immer noch so ein kritischer neuralgischer Punkt, in der die katholische Kirche eigentlich nicht klar und eindeutig Stellung bezieht und sagt, Verbrechen ist Verbrechen und muss angezeigt werden, und damit basta.

Tenge: Ich glaube, das steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Unschuldsvermutung. Da sind verschiedene Werte miteinander abzugleichen. Ich stimme Ihnen aber zu, dass dieser Eindruck sehr schnell entstehen kann, es ist jetzt so ein bisschen korrigiert worden, oder man will es ein bisschen korrigieren, aber so den richtigen Schritt nach vorne tut man immer noch nicht.

Ich bin mir nicht sicher, was dieses, den anderen anhalten, wirklich heißt, was dahinter steht. Also für mich kann es keine andere Lösung geben, als, wo deutlich wird, hier ist was passiert, da muss das sofort zur Staatsanwaltschaft. Ich habe das aus anderen Kommentaren auch so abgelesen, dass das ganz klar ist, und dass gerade der Bischof Ackermann da ganz viel Wert drauf legt, dass es da keine Verheimlichung geben darf, sondern hier müssen wir auch mit den staatlichen Stellen eindeutig zusammenarbeiten. Ich hoffe, dass diese Klarheit durchkommt und in der Praxis umgesetzt wird.

Scholl: Ich meine, in den Gemeinden will man eine Kultur des Hinschauens befördern, das heißt ja auch, dass man innerhalb der Kirche nicht mehr wegschauen will, was man lange gemacht hat. Ich meine, trotzdem in dem Zusammenhang, gestern ist kein, wenig Worte über die Täter und über den Umgang mit diesen Tätern gefallen.

Tenge: Ich glaube, dass das mit in den Rahmen der Überprüfung der Richtlinien gehört, und dass hier ein ganz wichtiger, ein ganz wichtiges Aufgabenfeld für die Bischöfe sich aufgetan hat. Die Bischöfe selber sind nicht diejenigen, die jetzt die Richtlinien mal eben in einer Sitzung mit ein paar Gastreferenten verändern können, dafür braucht man hochkompetente Leute, und da muss es auch um die Frage, Umgang mit den Tätern, gehen.

Also die Frage, können sie überhaupt noch in einem pastoralen Bereich eingesetzt werden, was wären Kriterien dafür, was sind die Grenzen, was sind die Rahmendaten, die Möglichkeiten, was ist auch individuell zu bedenken. Deswegen finde ich es auch gut, dass man sagt, es muss ein Pflichtgutachten geben, eben auch extern unterstützt, wo man nicht nur kirchenintern sagt, na gut, du hast dich gebessert, und wir werden dich jetzt irgendwo hin versetzen und dann guck mal, dass das nicht schief läuft, das darf nicht mehr passieren.

Scholl: Wie werden Sie nun, Herr Tenge, als Propst und Mann Gottes Ihrer Gemeinde gegenübertreten, hat die Tagung geholfen, angesichts der vielen kritischen Fragen von Katholiken?

Tenge: Ich bleibe bei meiner Gesamteinschätzung, dass die Erwartung, die ich auch in diese Bischofskonferenz gesetzt habe, durchaus erfüllt ist, an einigen Stellen übererfüllt, also diese bundesweite Anlaufstelle, da muss ich sagen, das fand ich einen ganz guten Schritt nach vorne.

Ich glaube, dass die Bischofskonferenz aber auch eine Menge an Anlässen bietet, weiter ins Gespräch zu kommen und vor Ort auch zu schauen, wie können wir das thematisieren, und diese Kultur des Miteinandersprechens über das Thema Sexualität, Missbrauch, letztlich über das Thema, wie sind wir als Kirche, was ist mit unseren Moralvorstellungen, darüber ins Gespräch zu kommen, das finde ich einfach wertvoll, da sind viele Anlässe drin.

Scholl: Die Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche, die Frühjahrstagung der Deutschen Bischofskonferenz hat Stellung bezogen, und wir haben die Einschätzung von Martin Tenge, Regionaldechant des Bistums Hildesheim gehört, herzlichen Dank, Herr Tenge!

Tenge: Auch Ihnen, vielen Dank!