"Ich bin fest entschlossen, eine Optimistin zu sein"

Christine Lagarde im Gespräch mit Burkhard Birke · 24.01.2012
Um gefährdete Euro-Staaten besser zu schützen, hat sich die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, dafür ausgesprochen, den Rettungsschirm ESM aufzustocken. Es müsse eine Brandmauer errichtet werden, "die als Abschreckung, als Hindernis und Schutz fungiert".
André Hatting: Tja, irgendwie haben sie es am Ende dann doch hingekriegt: Die EU-Länder einigen sich auf den Vertrag für den permanenten Rettungsfonds ESM. 500 Milliarden Euro sollen dafür bereitstehen und Deutschland schultert mit über einem Viertel den weitaus größten Anteil – und will unbedingt, dass nicht noch mehr hinzukommt, das hat Bundeskanzlerin Merkel gestern noch einmal klargestellt und sich damit von Italien abgegrenzt. Denn der dortige Regierungschef Mario Monti hatte gefordert, den ESM vorsorglich auf eine Billion Euro zu verdoppeln. Ein Gedanke, den auch Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds sehr richtig findet. Burkhart Birke hat mit Christine Lagarde darüber gesprochen.

Burkhard Birke: Das Krisenmanagement tritt in eine kritische Phase. Frau Lagarde, glauben Sie, dass wir am Ende dieses Jahres, das Sie als entscheidend bezeichnet haben, in Griechenland noch mit Euro bezahlen?

Christine Lagarde: Ich bin entschlossen, positiv zu sein. Die politischen Führungskräfte verfügen durchaus über die Werkzeuge und über die möglichen Maßnahmen, um mit dieser Situation zurechtzukommen und die Eurozone zurück auf einen nachhaltigen Weg zu führen, der die Eurozone dann letztendlich stärkt. Es muss aber noch viel getan werden: Was das Wachstum betrifft, das muss stärker werden. Was die Brandmauer betrifft, die muss massiver sein. Und was die Integration betrifft, die muss vervollständigt werden. Und es freut mich zu hören, dass die Finanzminister nun verstärkt den Fiskalpakt diskutieren, der ja durchgeführt werden muss, nachdem gehandelt werden muss und der auch eine Bedingung für eine größere finanzielle Risikoteilung für mehr gemeinsame Verantwortung ist. Und das ist von höchster Relevanz.

Birke: Von entscheidender Bedeutung ist zur Stunde auch, dass das in Griechenland lodernde Feuer gelöscht wird. Es finden Verhandlungen mit den Privatbanken statt. Was für ein Schuldenschnitt wird denn benötigt? 70 oder 80 Prozent?

Lagarde: Ich will mich hier nicht auf%e festlegen. Es gibt viele verschiedene Arten, der Katze das Fell über die Ohren zu ziehen, viele Wege führen nach Rom. Man müsste sich jede einzelne Zeile und jeden einzelnen Abschnitt der Übereinkunft genau ansehen. Aber ich nehme an diesen Verhandlungen nicht teil. Die Gläubiger und Griechenland diskutieren hier untereinander. Ihr Ergebnis wird sehr wichtig sein, um ein Hilfsprogramm zu entwerfen, das für das Land umgesetzt werden kann. Und da nun mal eine Beteiligung des privaten Sektors beschlossen wurde, muss diese konstruktiv und substanziell ausfallen.

Birke: Ein substanzieller Beitrag: Bedeutet das, der ursprüngliche Schuldenschnitt von 50 Prozent könnte nicht reichen?

Lagarde: Wie schon gesagt, ich gehe hier nicht auf Details der Verhandlungen ein.

Birke: Aber Sie sind guter Dinge, dass eine Lösung zwischen Privatgläubigern und Griechenland gefunden wird?

Lagarde: Ich bin entschlossen, hier optimistisch zu sein, weil, wie gesagt, die führenden Politiker und Verantwortlichen die Werkzeuge und Maßnahmen verfügbar haben. Wenn sie die angemessene umfassende Lösung finden wollen, muss jeder dabei mitmachen.

Birke: Das große Problem Europas war, dass es eine gemeinsame Währungs-, nicht aber Finanzpolitik gab. Jetzt wird über den Fiskalpakt verhandelt. Sehen Sie die nötigen Fortschritte, um zu einer Wirtschafts-, zu einer Fiskalregierung mit automatischen Sanktionen und in den Verfassungen verankerten Schuldenbremsen zu gelangen?

Lagarde: Ihre Analyse ist korrekt. Eine Währungsunion ohne Fiskalpakt, ohne gemeinsame Regeln, die die Finanzpolitik und Wettbewerbsfähigkeit betreffen, ist ein unvollendetes Projekt. Was nun die führenden Politiker entschieden haben, ist, dieses Projekt zu vervollständigen mit gemeinsamen finanzpolitischen Regeln, Disziplin und mit Sanktionen, falls diese Disziplin nicht eingehalten wird. Das ist absolut notwendig und es ist ein Weg. Wahrscheinlich wird noch mehr folgen, vor allem, was die gemeinsame Verantwortung, die Teilung des Risikos betrifft. Auch, was massivere Brandmauern betrifft. All das muss zusammenkommen, damit eine umfassende Lösung erreicht werden kann.

Birke: Sie haben eine höhere Brandmauer gefordert. Jetzt existieren in Europa verschiedene Fazilitäten beziehungsweise werden mit dem ESM in Kraft treten. Sind diese denn ausreichend? Oder was könnte der IWF, dessen Direktorin Sie sind, zusätzlich beisteuern?

Lagarde: Das muss für sich auf europäischer Ebene ausreichend sein. Die Idee hinter dem Schutzwall ist, dass dieser so groß ist, dass Investoren, Menschen, die finanzieren und die auch spekulieren, entmutigt werden, weil die Brandmauer zu dick ist. So, dass das Feuer nicht durchkommt.

Birke: Ist die Brandmauer derzeit groß genug?

Lagarde: Sie muss auf europäischer Ebene ausreichend sein und sie muss verbessert werden. Der Rettungsschirm EFSF plus dem Stabilitätsmechanismus ESM. Wenn das der Fall ist, werden IWF-Mitglieder sehr gerne erstens die Ressourcen erhöhen und zweitens diejenigen unterstützen – also weltweit, nicht nur in der Eurozone –, die Hilfe brauchen und die Bedingungen erfüllen.

Birke: Wenn Sie die gesamten Risiken betrachten, von welchen Summen sprechen wir da für den Schutzwall?

Lagarde: Wir haben festgestellt, dass global ein Finanzierungsbedarf im Rahmen von einer Billion Dollar über die nächsten zwei Jahre besteht, und die Idee dahinter ist, dass diese Billion nicht ausgegeben wird, sondern eine ausreichend große Brandmauer besteht, die als Abschreckung, als Hindernis und Schutz fungiert.

Birke: Sollte in diesem Sinne über eine Aufstockung des ESM gesprochen werden?

Lagarde: Das ist eine Frage des Mechanismus, eine Frage der Menge, des Volumens. Und es ist die Frage, ob es funktionsfähig ist. All das zusammen. Die Größe muss also klar sein und hoch genug, die Funktion muss pünktlich und präzise sein und dabei glaubwürdig. Das, kombiniert mit der zusätzlichen Unterstützung vom Rest der Welt, kann uns meines Erachtens helfen, einen stabilen Schutzwall zu errichten, der stark in einer europäischen Maßnahme verwurzelt ist.

Birke: Frau Lagarde, glauben Sie, dass etwa die USA mitziehen, wenn die IWF-Mittel um die 500 Milliarden aufgestockt werden, die Ihnen vorschweben?

Lagarde: Wir diskutieren derzeit mit all unseren Mitgliedern. Diese Optionen und Verhandlungen dauern noch an.

Birke: Das Wachstum geht zurück. Wie fällt die jüngste Prognose des IWF aus und was kann Deutschland dazu beitragen, um weltweit das Wachstum anzukurbeln?

Lagarde: Unsere Wachstumsprognose ist niedriger als die vorherige. Im September hatten wir die Prognose schon einmal gesenkt, überall auf der Welt, vor allem wegen der absinkenden Aktivitäten in den letzten Monaten. Deutschland ist eine sehr starke Wirtschaft, die aber Kunden braucht für den Export, finanziell starke und solide Kunden. Es ist also im Interesse aller Beteiligten, ein stärkeres ökonomisches Umfeld zu haben, überall. Deshalb ist mir an einer umfassenden Lösung gelegen, an einer Zusammenarbeit aller Regierungen.

Birke: Sind Sie Optimistin?

Lagarde: Ich bin fest entschlossen, eine Optimistin zu sein. Zwischen dem Optimisten und dem Pessimisten gibt es eigentlich keinen Unterschied: Beide liegen falsch. Aber der Optimist ist glücklicher.

Birke: Thank you very much!

Hatting: Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds im Gespräch mit Burkhard Birke war das.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Hören Sie hier die englische Originalfassung des Interviews mit der IWF-Chefin.

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