"Ich bin da wenig optimistisch"

Berthold Vogel im Gespräch mit Kirsten Lemke · 14.08.2009
Der Hamburger Sozialforscher Berthold Vogel warnt angesichts der Wirtschaftskrise vor zunehmenden Spaltungsprozessen in der Gesellschaft.
Kirsten Lemke: Die Wirtschaft erholt sich langsam, aber das dicke Ende der Krise, das kommt erst noch, sagen Wirtschaftsforscher. Uns drohen nämlich riesige Löcher in den Sozialkassen. Wenn nach der Bundestagswahl Kassensturz gemacht wird, dann müssen wir mit massiven Ausgabenkürzungen und Abgabenerhöhungen rechnen, meint zum Beispiel das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung RWI. Auf die neue Bundesregierung kommen da unangenehme Entscheidungen zu.

Berthold Vogel ist Sozialforscher am Hamburger Institut für Sozialforschung und er hat sich damit befasst, wie sich das auf unsere Gesellschaft auswirken wird. Guten Morgen, Herr Vogel.

Berthold Vogel: Guten Morgen!

Lemke: Bis jetzt ist die Krise ja bei den meisten Menschen noch gar nicht angekommen. Können wir nicht vielleicht doch mit einem blauen Auge davon kommen?

Vogel: Ich vermute nicht, dass wir mit einem blauen Auge davon kommen werden, denn wie Sie ganz richtig sagen: Die Krise ist noch gar nicht angekommen. Das was bisher passiert ist, ist die Bereitschaft des Staates zu einer Hyperverschuldung und die Ausräumung der Sozialkassen zu Gunsten der Kurzarbeit. Aber wenn all diese Initiativen und Maßnahmen irgendwann mal dann ins Leere laufen, dann wird in der Tat der Tag der Abrechnung kommen und der wird nicht schön sein.

Lemke: Was erwarten Sie denn, was da auf uns zukommt?

Vogel: Ich denke, dass wir vor allen Dingen in der Tat vor einer ganz beträchtlichen Frage stehen werden, nämlich der Frage nach den Verteilungskonflikten. Ich würde ja zunächst sagen, Konflikte wären gar nicht schlecht, wenn wir stärker bereit wären, in der Gesellschaft, auch in der Politik, Konflikte darüber zu führen, wie wir künftig Gesellschaft gestalten wollen, aber wir werden einfach vor dem Problem stehen, dass wir diese Konflikte nicht in Zeiten des Wachstums führen werden, also wo es was zu verteilen gibt, sondern wir werden diese Konflikte in Zeiten führen, in denen es immer weniger gibt, also in Zeiten des weniger, der Schrumpfung und der Abstiegsängste, und das ist für den sozialen Zusammenhalt und für die soziale Integration einer Gesellschaft immer abträglich.

Lemke: Nun reden wir ja jetzt schon von der Schere, die immer weiter auseinanderklafft. Was glauben Sie denn wird sich da noch verändern?

Vogel: Ich glaube, wir werden einen Prozess beobachten können, dass sich diejenigen, die wohlhabend sind, die etwas zu verlieren haben, noch stärker versuchen werden, die Ellbogen auszufahren, noch stärker versuchen werden, ihre Bestände, ihre Besitzstände, ihren Status zu sichern, und dann wird es die Aufgabe der Politik sein und auch die Kunst des Regierens sein, die Kunst der Politik sein, diese Konflikte so auszutragen, dass es in der Tat dann nicht dazu kommt, dass diese Spaltungsprozesse, die wir, wie Sie richtig sagen, ja schon länger beobachten, sich nicht noch weiter verschärfen. Aber ich bin da wenig optimistisch, um ganz ehrlich zu sein.

Lemke: Wer wird denn Ihrer Meinung nach am meisten zu spüren bekommen, dass es abwärts geht?

Vogel: Ich denke, eine ganz interessante Entwicklung, die wir schon seit längerem beobachten und die nicht nur unmittelbar mit der Wirtschafts- und Finanzkrise jetzt zusammenhängt, ist ja, dass die Veränderungen, also stärkere Unsicherheiten, stärkere Konflikte, stärkere Ungewissheiten, in der Mitte der Gesellschaft ankommen.

Wir werden, glaube ich, soziologisch betrachtet den Prozess beobachten können, dass es zu einer stärkeren Spaltung der Mitte kommen wird, dass die sozialen Ungleichheiten in der Mitte stärker werden, und dass insofern gerade in den Bereichen, vom Facharbeiter bis zum Ingenieur, von der Krankenschwester bis zum Oberarzt, dort werden die eigentlichen Konflikte ausgetragen. Wir beobachten eben nicht nur oder wir werden eben nicht nur konfrontiert werden mit einem Konflikt zwischen arm und reich oder zwischen Wohlhabenden und Habenichtsen, sondern vor allen Dingen auch zwischen denjenigen, die um ihren Wohlstand kämpfen.

Lemke: Und was befürchten Sie schlimmstenfalls, so was wie soziale Unruhen, was ja DGB-Chef Sommer schon mal vorhergesagt hat?

Vogel: Ich wäre da immer etwas vorsichtig mit den sozialen Unruhen. Ich würde jetzt auch nicht das Ende der Mitte der Gesellschaft vorhersagen. Ich glaube, das wären überzogene Deutungen der momentanen Situation. Aber worauf wir natürlich schon zusteuern können ist eher ein Klima der gegenseitigen Konkurrenz, ein Klima, das generell es schwieriger macht, eine solidarische, eine auf die gesamte Gesellschaft, auf das soziale Ganze hin bezogene Politik zu gestalten.

Diese Ressourcen, die, glaube ich, wichtig sind für unsere Gesellschaft, also die Bereitschaft der gegenseitigen Unterstützung, die Bereitschaft, auch füreinander da zu sein, diese Ressourcen werden im schlimmsten Falle in dieser Krise aufgezehrt werden. Aber sie sind noch vorhanden und mit diesem Kapital, das gesellschaftlich da ist, spielen wir im Moment, auch durch die Staatsverschuldung.

Lemke: Sie fordern von der Politik, da mit einem Fingerspitzengefühl diese Situation zu managen. Ist das denn überhaupt möglich, gerade in Zeiten knapper Kassen, denn die Politik hat ja darunter auch zu leiden, nicht nur die Menschen?

Vogel: Das ist richtig, aber sie merken das ja insbesondere in den Kommunen, die natürlich ein ganz wichtiger Ort für die Dinge sind, die wir jetzt gerade schon besprochen haben, nämlich Solidarität, füreinander einstehen. Das geschieht ja vor allen Dingen auch auf der kommunalen Ebene und nicht nur auf der abstrakten Ebene der Länder oder des Bundes. In der Tat laufen gerade die Kommunen im Moment auf eine ganz katastrophale Kassensituation zu.

Aber ich würde jetzt nicht sagen, die Politik hat da gar keine Chance mehr, in Zeiten des weniger gestaltend einzugreifen. Aber man wird aber vermutlich eine intelligentere Politik machen müssen. Man wird vermutlich auch offensiver über Steuerpolitik reden müssen. Wir wissen alle, dass Wohlfahrtstaatlichkeit und gesellschaftliche Solidarität auch immer etwas mit Geld zu tun hat, und das hat natürlich was mit Steuerpolitik zu tun.

Das ist auch ein anderes Feld, in dem ich mir dann schon ehrlicherweise etwas Sorgen mache, wie leichtfertig und geradezu frivol über Steuererleichterungen im Moment gesprochen wird. Ich glaube, es wird eine gegenteilige Politik erforderlich sein, und zwar nicht über Mehrwertsteuererhöhungen zu sprechen, sondern über eine Steuerpolitik, die die starken Schultern, die fraglos in diesem Land da sind, dementsprechend belastet und die schwächeren Schultern entlastet.

Lemke: Der Hamburger Sozialforscher Berthold Vogel. Vielen Dank, Herr Vogel!

Vogel: Ich danke Ihnen!