Huber: Ost- und Westkirche sind zusammengewachsen

Wolfgang Huber im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.11.2009
In seiner Landeskirche habe es große Fortschritte bei der Zusammenführung von West- und Ostkirche gegeben, sagt Wolfgang Huber im Rückblick auf seine morgen endende Amtszeit als Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg und schlesische Oberlausitz. Die Spannung zwischen Stadt und Land habe inzwischen eine größere Bedeutung als die zwischen West und Ost.
Dieter Kassel: Sechs Jahre lang war Wolfgang Huber ein sehr präsenter, stets in öffentliche Diskussionen verwickelter Ratsvorsitzender der Evangelische Kirche in Deutschland. Diese Phase ging schon vor rund zwei Wochen zu Ende, morgen endet nun auch Hubers Zeit in einem weiteren Amt, das möglicherweise insgesamt nicht weniger herausfordernd gewesen ist, morgen endet nämlich seine Zeit als Bischof von Berlin-Brandenburg und der niederschlesischen Oberlausitz. Wir wollen natürlich einen Blick zurück wagen, jetzt aber auch einen Blick nach vorn, und da der offizielle Abschied aus dem Bischofsamt erst morgen stattfindet, kann ich jetzt noch in dieser Wortwahl vielleicht zum letzten Mal sagen: Schönen guten Tag, Bischof Huber!

Wolfgang Huber: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Sie werden Anfang nächsten Jahres nach einem Urlaub, über den wir nicht reden, weil er privat ist, zweieinhalb Monate in Südafrika verbringen an der Universität von Stellenbosch. Warum ausgerechnet da?

Huber: In Stellenbosch bin ich in den letzten 25 Jahren immer wieder gewesen als Gast dieser Universität, ich habe ihre Veränderung erlebt in der Zeit, in der die Apartheid in Südafrika glücklicherweise überwunden wurde. Ich kenne die Universität auch schon vorher und hab mit Staunen erlebt, was in der Regenbogennation Südafrika an einer solchen traditionsreichen Universität möglich ist. Und zu meinem Glück hat die Universität mich eingeladen an ein neues Institut für Forschung, Institute for Advanced Studies, und dort darf ich als Fellow eine Zeit lang arbeiten mit einer Reihe von Kollegen aus verschiedenen Disziplinen. Das ist eine großartige Möglichkeit gerade in dieser Zeit des Übergangs, und ich freue mich darauf, mit meiner Frau zusammen für einige Zeit dort zu sein.

Kassel: Sie haben von diesem Umbruch gesprochen, dieser Möglichkeit, dass dort auch Angehörige aller Rassen studieren können. Die Geschichte der Universität ist natürlich nicht immer positiv gewesen. Das ist eine Universität, die von Buren gegründet wurde, man merkt es auch noch daran, dass es eine der wenigen, selbst in Südafrika, ist, wo die Hauptsprache Afrikaans ist. Wird auch diese Vergangenheit, diese – man könnte fast ja klischeehaft sagen – dunkle Vergangenheit eine Rolle spielen bei Ihren Forschungen?

Huber: Ja, ganz bestimmt wird das eine Rolle spielen. Das ist auch einer der Gründe, deretwegen ich gerade jetzt auch für längere Zeit dort sein will. Ich habe den Wechsel ganz unmittelbar erlebt, bei meiner ersten Vorlesung dort habe ich diesen burischen Charakter der Universität noch intensiv erlebt. Und als ich das letzte Mal vor einem Jahr dort war, hat der berühmte Libertas-Chor aus Stellenbosch gesungen bei der Veranstaltung, auf der ich gesprochen habe. Und die Gemeinschaft der unterschiedlichen Ethnien war ganz, ganz deutlich zu spüren und zu erleben. Genau um diesen Wandel geht es mir und auch darum, welche Rolle eigentlich in einem solchen Wandel Religion überhaupt und speziell der christliche Glaube spielen kann. Das ist für mich ein wichtiges Thema meiner Forschungen, genauso wie ich mich mit den Fragen beschäftigen will, die sich aus den Herausforderungen der Globalisierung heute, aus den Fragen der Weltfinanzmarkt- und Wirtschaftskrise ergeben.

Kassel: Welche Rolle spielt denn der christliche Glaube und welche Rolle spielt denn der protestantische Glaube in Südafrika heute?

Huber: Ja, er stellt sich stärker als früher darauf ein, dass es neben dem Christentum auch andere Religionen in Südafrika gibt, also durchaus eine Entwicklung, die vergleichbar dem ist, was wir auch in Europa gegenwärtig erleben. Aber es entwickelt sich auch ein neues Selbstverständnis und Selbstbewusstsein gerade auch in den reformierten Kirchen, die ja vor dem Ende der Apartheid sehr stark entlang ethnischer Linien organisiert waren und die durch eine Phase des Schuldbekenntnisses und der Neuorientierung hindurchgegangen sind und nun ihre Verantwortung wahrnehmen wollen in einer Weise, die ethnische Grenzen ganz deutlich überschreitet.

Kassel: Wie stellt sich dann das Spannungsverhältnis in Südafrika dar zwischen einer aufgeklärten, modernen evangelischen Kirche und einer – Sie haben sich mit dem Thema ja sogar in Bezug auf Deutschland beschäftigen müssen – einer vielleicht etwas weniger aufgeklärten, spirituelleren evangelikalen Kirche?

Huber: Ja, das ist in Südafrika noch ganz anders, als wir das in Deutschland haben. Es gibt einerseits die charismatische Bewegung auch in Südafrika in einer ganz starken Weise, und es gibt andererseits afrikanische Kirchen wie die berühmte Zion Church, die ganz großen Zulauf haben und eine ganz eigene Entwicklung nehmen, sodass der Protestantismus in Südafrika noch deutlich pluraler ist, als wir das in Deutschland erleben.

Kassel: Ist das vielleicht eines der Probleme, mit denen sich Christen werden in Zukunft beschäftigen müssen? Wenn wir den Begriff interreligiöser Dialog benutzen, dann meinen wir ja meistens Dialog mit dem Islam, mit dem Judentum, vielleicht in selteneren Fällen auch noch mit anderen Religionen. Aber innerhalb des Christentums, diese immer größer werdenden Unterschiede, ist das vielleicht auch eines der Probleme der Zukunft?

Huber: Das ist eine der ganz großen Herausforderungen der Zukunft, sie stellt sich in jedem Kontinent anders. Ich glaube, wir haben in Deutschland die Chance, auf solche Entwicklungen frühzeitig zu reagieren, sie ein Stück weit auch zu antizipieren und die Herausforderungen, deretwegen in anderen Kontinenten charismatische Bewegungen eine ungleich größere Resonanz haben als bisher bei uns im Land, die so aufzunehmen, dass die spirituellen und religiösen Bedürfnisse, auf die diese Bewegungen antworten, auch innerhalb unserer Landeskirchen ihren Ort behalten können.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Wolfgang Huber, noch bis morgen evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg und der niederschlesischen Oberlausitz. Jetzt blicken wir doch mal zurück, Herr Huber. Das, was Sie da mehr als anderthalb Jahrzehnte als evangelischer Bischof machen mussten – bis 2004 Berlin-Brandenburg und seitdem auch niederschlesische Oberlausitz –, das war ja unter anderem auch die Zusammenführung von Westkirche mit Ostkirche. Ist Ihnen das am Ende gelungen?

Huber: Ich glaube, wir haben da große Fortschritte gemacht. Natürlich gibt es auch noch Spannungen, aber wir haben inzwischen alle das Gefühl, dass die Spannung zwischen Stadt und Land eine größere Bedeutung hat als die zwischen West und Ost. Man muss sich ja klarmachen, diese Kirche ist nicht nur deswegen so aufregend und interessant, weil sie die einzige Landeskirche ist, die aus vergleichbar großen West- und Ostregionen zusammengewachsen ist, sondern weil sie eine ungeheure Spannung sozialer Art in sich enthält. Die Hauptstadt Berlin, dreieinhalb Millionen Einwohner auf der einen Seite und auf der anderen Seite dünn besiedelte Regionen wie die Uckermark und die Prignitz, dann noch die Aufgabe, die wir vor fünf Jahren dann zu einem Ergebnis geführt haben, die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz zu integrieren und zusammenzuführen. Wir vollziehen jetzt gerade in unserer Synode auf diesem Weg einen nächsten Schritt. Da ist sehr viel gelungen und ich schaue dankbar auf die Zeit, in der dieses Zusammenwachsen möglich war.

Kassel: Nun hat man trotzdem bei gewissen Indikatoren auch den Eindruck, selbst in der Stadt Berlin alleine ist das mit dem Zusammenwachsen so eine Sache. Sie atmen schwer ein, weil Sie wahrscheinlich wissen, was kommt: die Volksabstimmung in Berlin über die Frage des verpflichtenden Wahlfachs Religion an den Schulen. Unter Pro Reli ist da die Initiative bekannt geworden, auf deren Seite zum Teil die evangelische Kirche ja auch stand. Und wenn man sich dann das Ergebnis dieser Volksabstimmung angeguckt hat, dann konnte man eigentlich auch erkennen, wo die Mauer ist – mit einer kleinen Ausnahme –, weil in den ehemaligen Westbezirken mehrheitlich die Leute für die Einführung eines solchen Unterrichts waren, in den ehemaligen Ostbezirken überwiegend dagegen, nur in der Mitte durch die Zugereisten hat sich das vermischt. Hat neben anderen Problemen, die es damals auch noch gibt, Sie das nicht auch erschreckt, dieses Gefühl, im Glauben ist die Mauer noch da?

Huber: Erschreckt nicht, sondern ich habe das vorausgesehen. Ich habe vor 15 Jahren gesagt, wir haben in der Kirche besonders gute Voraussetzungen dafür, zusammenzuwachsen, wir haben die gleiche Bibel, das gleiche Bekenntnis, das gleiche Gesangbuch, aber wir werden zugleich feststellen, dass der schwerste Teil des Zusammenwachsens unserer Gesellschaft bei den Kirchen bleibt, weil es um die Tiefenschicht der Überzeugungen und Mentalitäten geht. Und die Entfremdung von der Kirche, die durch die zwei Diktaturen auf deutschem Boden bewirkt worden ist, die verliert sich nicht in ein, zwei Jahrzehnten. Das war mir von vornherein klar. Deswegen hab ich immer gesagt, in der missionarischen Situation, in der wir uns befinden, brauchen wir einen langen Atem. Und das geht auch weiter. Deswegen weiß ich auch, dass ich in dieser Hinsicht nur Anfänge mitgestalten konnte und für meinen Nachfolger Markus Dröge gerade in dieser Hinsicht noch viel zu tun bleibt.

Kassel: Herr Dröge hat in der Tat große Aufgaben vor sich. Es gibt ja all diese Probleme, es gibt viele Kirchenaustritte, bedingt dadurch, aber auch durch die Finanzkrise und andere Gründe ist die finanzielle Lage auch der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und der schlesischen Lausitz nicht rosig. Dann kommt dazu, dass die Ökumene, das ist mein Eindruck, auch schon mal in einem besseren Zustand war als heute. Wir haben alle die Reaktionen der russischen orthodoxen Kirche auf die Tatsache, dass jetzt eine Frau Ratsvorsitzende ist, erlebt und, und, und. Wenn Sie das mal alles zusammennehmen, Herr Huber, sind Sie dann eher froh, dass Sie diesen Teil Ihres Lebens hinter sich haben, oder ist das eher eine spannende Zeit, die Sie am liebsten weiter gestalten würden?

Huber: Also das war die beruflich intensivste Zeit meines ganzen bisherigen Lebens. Ich hab gar keinen Grund, froh zu sein, dass ich es hinter mir habe, aber es ist gleichzeitig gut geordnet in unserer Kirche, dass man das für einen klar definierten Zeitraum macht und dann eine andere Lebensphase anfängt. Deswegen akzeptiere ich diesen Übergang auch und gebe dieses Amt gern und frohen Herzens an Markus Dröge weiter.

Kassel: Dann wünsche ich Ihnen eine schöne Zukunft und ich wünsche Ihnen vor allen Dingen, dass das Ende morgen auch noch mal einer der Höhepunkt wird.

Huber: Das hoffe ich auch. Vielen Dank!

Kassel: Danke für das Gespräch! Wolfgang Huber war das. Bis morgen ist er noch Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.