Hormoneller Höllenritt

22.05.2007
Der Journalist Clint Witchall griff zur Pille für den Mann. In "Die Pille und ich" schildert er humorvoll, wie er sich als Testperson für ein Pharmaunternehmen dem Diktat des Hormonspiegels unterwirft. Ist der Spiegel hoch, mutiert er zum sexsüchtigen Macho, sinkt der Spiegel, wird er miesepetrig und ängstlich.
"Die Pille und ich. Ein Mann im Selbstversuch" sind die witzig geschriebenen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen und zudem eine wahre Geschichte des Londoner Journalisten Clint Witchalls, der einen neuen Weg zur Verhütung sucht.

Nimmt seine Frau die Pille, leidet sie unter furchtbaren Migräneattacken. Außerdem gebar sie ihm bereits drei Kinder. Deshalb fühlt sich der emanzipierte Mann nun in der Pflicht. Die vorhandenen Möglichkeiten zur Empfängnisverhütung für den Mann verführen ihn nicht gerade, Initiative zu zeigen. Weder den Coitus Interruptus und noch das Kondom mag er. Mit seiner Frau vereinbarte er deshalb, sich sterilisieren zu lassen. Doch die Angst, an delikater Stelle verletzt zu werden, peinigt ihn und deshalb zögerte er die Durchtrennung seiner Sameleiter immer wieder hinaus.

Durch Zufall entdeckt er, dass die beiden Pharmakonzerne "Organon" und "Schering" Probanden für eine Studie für die hormonelle Verhütung des Mannes suchen. Ohne groß zu überlegen - oder sich mit seiner Frau zu beraten - beschließt er, als einer von 350 Männern aus Europa und Nordamerika die Pille für den Mann zu testen. Das ist der Startschuss zu diesem kurzweiligen, unterhaltsamen Buch.

Dabei ist jene "Pille für den Mann", die Clint Witchall ausprobierte, gar keine Tablette. Vielmehr wurde in den Oberarm des Mannes ein Röhrchen implantiert, das ein Hormon freisetzt, das die Spermienproduktion unterbindet und ihn zeugungsunfähig macht. Dieses übergroße Streichholz unter der Haut reduziert allerdings auch die Produktion von Testosteron. Sehnsüchtig wartet Witchalls darauf, das Hormon alle zehn bis zwölf Wochen gespritzt zu bekommen. Dann beschreibt sich der Journalist selbstironisch als einen vor Kühnheit und Omnipotenz strotzenden Supermann am Lenkrad oder beim Thai Chi Unterricht, über den man gerne lacht.

Dabei verheißt bereits das Titelbild ein eher trauriges Schicksal für den 39-jährigen Mann. Wie auf dem Rücksitz seines Autos - mit dem er seine Kinder täglich zur Schule hin und zurück kutscht – fährt der Leser mit ihm durch sein Leben und bekommt einen Einblick, wie sehr die Hormone ihn steuern. Denn schnell gleicht sein Alltag einem Höllenritt auf den Amplituden seines Testosteronspiegels: Ist er hoch, wird er zu einem vollblütigen, wilden Typen, den es nach Kämpfen und Sexorgien gelüstet. Ist der Hormonspiegel niedrig, verwandelt er sich in einen liebebedürftigen und anschmiegsamen Frauen-Versteher, der seine Frau ehrlichen Herzens fragt, wie ihr Tag war und es auch noch schafft, aufmerksamen zuzuhören und mit ihr freudig shoppen zu gehen.

Was zunächst nicht weiter schlimm erscheint, doch nach anderthalb Jahren, so lange dauert der Versuch, verwandelt sich der zunächst selbstbewusste und unternehmungslustige Londoner mehr und mehr in einen miesepetrigen, verängstigten, depressiven Mann. Doch das sind nicht die einzigen Nebenwirkungen des Medikaments. Hinzu kommen Schweißausbrüche, Haarausfall, Akne, Fettpölsterchen und vergrößerte Brüste sowie – als sollte die Wirkung des Medikaments unterstrichen werden – eine schwindende Libido.

Auch wenn die Dauer seiner launischen Ausschläge nicht mit dem weiblichen Zyklus übereinstimmt: Leserinnen fühlen sich nicht nur an die eigenen hormonellen Schwankungen erinnert, sondern auch an Fresslust und Gewichtszunahme, an Pickel und Launen unter den frühen Wirkstoffbomben, als die Pille für die Frau noch in den Kinderschuhen steckte. Und so glaubt man dem Autor die geschilderten Symptome durchaus. Zugleich können sich Leserinnen für das ihr von der Natur zugeordnete Gefühlschaos entschädigt fühlen, den Autor in ähnlich weinerlichen, anhänglichen Situationen vor sich zu sehen. Vielleicht sollten alle Männer wenigstens einmal ein halbes Jahr lang mit solch einer Pille leben – damit sie endlich das Lästern über das prämenstruale Syndrom lassen?

Allerdings ist zu befürchten, dass das Buch Witchalls Geschlechtsgenossen nicht gerade animiert, mit modernen Verhütungsstrategien zu experimentieren – wer will sich schon freiwillig als Kastrat fühlen? Für den Autor selbst übrigens erfüllte die Studie nicht einmal seine Hoffnung, endlich auf das Kondom verzichten zu können. Bis mehre Monate nach dem Abschluss der Studie wusste er nicht, ob er ein Placebo oder das echte Mittel in seinem Arm trug. So viel Tragikkomik auf einmal ist scheinbar nichts für den englischen Humor, denn auf der Insel ist das Buch bislang nicht erschienen, was zu bedauern ist, denn Clint Witchall hat ein wirklich unterhaltsames Buch geschrieben, das man mit lautem Lachen immer wieder gerne liest. Oder findet sich kein englischer Verleger, weil die Hersteller die Entwicklung des Produktes eingestellt haben und nicht länger nach hormonellen Verhütungsmitteln für den Mann suchen?

Sympathisch macht den Autor, dass er es offensichtlich ernst meint, den jahrhundertealten Vertrag zu kündigen, der allein Frauen für die Verhütung zuständig erklärt. Auch wenn Clint Witchalls mit der Studie unzufrieden war, hält er eine Pille für den Mann trotzdem für eine "großartige Idee".

Mit leicht geschriebener Hand eröffnet der Autor so ein neues Feld, auf dem Männer für ihre Gleichberechtigung streiten sollten. Bis sich diese Hoffnung erfüllt, dürften zwar noch etliche Jahre vergehen, aber Witchalls Buch hilft lachend die Zeit zu überbrücken. Männern wie Frauen.

Rezensiert von Barbara Leitner

Clint Witchalls: Die Pille und ich. Ein Mann im Selbstversuch
Übersetzt von Hucky Maier
Rowohlt Taschenbuch Verlag, April 2007
208 Seiten, 7,90