Höhenflug eines Physikers

Von Irene Meichsner · 27.05.2006
Der Physiker Auguste Piccard war seiner Zeit weit voraus. Die Liste seiner spektakulären Forschererfolge ist lang, ein Meilenstein war 1931 ein Ballonflug auf eine Höhe von 15.781 Meter. Als erste Menschen stiegen Piccard und sein Assistent in die Stratosphäre auf.
Man nannte ihn den "Auf- und Ab-Professor" oder auch den "Herrn der Meerestiefe und der Stratosphäre". Sehr treffend, denn gleich in zwei bis dahin unerreichbare Welten stieß er vor: Auguste Piccard, 1884 im schweizerischen Lutry geboren, war Physikprofessor in Brüssel, als ihn im Alter von 47 Jahren eine ganz unakademische, fast jungenhafte Abenteuerlust packte.

"Also, im Jahre '31 bin ich mit dem ersten Stratosphären-Ballon gestiegen auf 16.000 Meter. Im Jahre '32 mit dem gleichen Ballon auf 16.900 Meter. Und dann habe ich den Ballon umgebaut, damit er auch ins Meer runter kann. Und hab ihn als Tiefseeballon verwendet und bin damit im Jahre '53 mit meinem Sohn auf 3150 Meter gegangen."

Drei Weltrekorde gelangen Piccard, dabei war sportlicher Ehrgeiz gar nicht sein Hauptmotiv. Die erste Ballonfahrt, die ihn mit seinem Assistenten Paul Kipfer am 27. Mai 1931 vom Startplatz bei Augsburg auf exakt 15.781 Meter hoch trug, diente der Erforschung der eben erst bekannt gewordenen kosmischen Strahlen.

Piccard hatte eine druckfeste Kabine konstruiert, die sich an einem gasgefüllten Ballon befestigen ließ. Letztlich machte es für ihn wenig Unterschied, ob es in die Höhe ging oder - wie später in den 50er Jahren - kilometertief in den Ozean.

"Ja, ein und dieselbe Sache, weil es ein ähnliches Prinzip ist. Sie wissen, in der Stratosphäre kann man nicht leben, weil der Luftdruck zu gering ist. Und in der Tiefsee kann man nicht leben, weil der Druck zu groß ist. Beide Male muss man geschützt werden. In der Stratosphäre durch eine Kabine mit Innendruck. Diese Kabine ist schwerer als Luft und wird getragen durch einen Ballon, der gefüllt ist mit einem leichten Gas, mit Wasserstoff. Und um in die Tiefsee zu gehen, muss man eine Kabine haben, die sehr fest ist, einen Druck aushält von 1000 Kilo pro Quadratzentimeter, und die ist viel schwerer als Wasser, die muss getragen werden. Und der Schwimmkörper entspricht dem Ballon."

Nicht immer ging alles so glatt, wie es Piccard gerne glauben machte. Donald Jackson berichtet in seiner Geschichte des Ballonfahrens von Komplikationen gleich nach dem Start zum ersten Höhenrekord:

"Piccard hatte eine Hälfte der Kabine wärmeabsorbie-rend schwarz und die andere wärmereflektierend weiß streichen lassen. Ein Elektrometer sollte sie nach Wunsch drehen, damit die Innentemperatur angenehm blieb. Jetzt stellte sich heraus, dass der Motor defekt war. Da die wärmeabsorbierende Seite der Kabine der Sonne zugekehrt war, stieg die Innentemperatur auf 39 Grad Celsius! Piccard und Kipfer legten einen großen Teil ihrer Kleidungsstücke ab und tran-ken das wenige Wasser, das sie mitgenommen hatten."

Furcht kannte Piccard offenbar nicht, er dachte stets an höhere Zwecke - auch bei dem späteren Tiefsee-Tauchrekord.

"Also, es handelt sich vorerst für uns, das Instrument zu schaffen, mit dem die wissenschaftliche Beobachtung systematisch gemacht werden kann. Das war der Zweck, der Ozeanographie das Mittel zu geben, das sie braucht, auf das sie eigentlich gewartet hat seit 50 Jahren, kann man sagen."

Piccard, der 1962 im Alter von 78 Jahren starb, war seiner Zeit weit voraus. Im Zeitalter der Doppeldecker und alten Ju-52-Flugzeuge reifte in seinem Kopf bereits das Prinzip moderner Düsenjets heran - für ihn die logische Folge seiner ersten Ballonfahrt in die Stratosphäre.

"Ich hatte schon Jahre vorher meinen Kolle-gen in der Luftschifffahrt in Brüssel gesagt: Die Flugzeuge müssen schneller fliegen, damit sie wirklich brauchbar sind. Und damit sie schneller fliegen können, müssen sie weniger Widerstand haben. Deswegen müssen sie in höherer, dünnerer Luft fahren. Aber in der großen Höhe kann der Mensch nicht leben, also müssen die Flugzeuge geschlossene Kabinen haben mit Innendruck. Und da wurde mir geantwortet: Das geht nicht, das macht man nicht. Habe ich gedacht: dann will ich’s machen. Und nachdem ich’s gemacht hab, sind tatsächlich Flugzeuge mit Innendruck-Kabinen gebaut worden."

Ein bisschen spinnert war er aber auch, dieser hagere Mann mit dem mächtigen Gelehrtenschädel und dem spitz zulaufenden Kinn. So machte er am Ende noch eine ganz besondere Karriere. Als Vorbild für Balduin Bienlein, den genialen Professor aus "Tim und Struppi", der unter anderem eine Mondrakete und ein Mini-U-Boot erfand, ging Auguste Piccard in die Comic-Geschichte ein.