Hochhaus in Dortmund

"Hannibal 2" geht seinem Ende entgegen

Ausgemusterte Möbel vor dem Dortmunder Hochhaus Hannibal 2, aus dem die Mieter aus Brandschutzgründen ausziehen mussten.
Hochhaus Hannibal 2: Betreten der Wohnungen nur noch zum Auszug. © Claudia Hennen
Von Claudia Hennen · 08.02.2018
Von jetzt auf gleich mussten die Bewohner des Hochhauses Hannibal 2 in Dortmund ihre Wohnungen verlassen: Die Stadt führt Brandschutzgründe an, der Eigentümer sieht das anders. Die Mieter leben derweil in anderen Stadtteilen, teurer oder immer noch in Notunterkünften.
"Ich habe meine Heimat verloren. Ich bin fast da geboren, kann man sagen. Seit ich sechzehn Jahre bin. Immer Hannibal. Und jetzt verschwindet das. Das Schlimmste ist: Briefe liegen unten, Unordnung, Ratten. Wo ist das Ordnungsamt? Keiner kommt …"
Die Wut steht Dariusz Czarkowski ins Gesicht geschrieben. Gut vier Monate nach der Räumung von Hannibal 2 hat der gebürtige Pole noch immer keine neue Wohnung, in einer guten Woche soll der Wohnkomplex endgültig stillgelegt werden.

Familie plötzlich verteilt

"Wir haben alle zusammen im Hannibal gewohnt. Meine Eltern, mein Sohn. Nach der Evakuierung waren wir alle raus. Ich war in einer Unterkunft in Mengede, meine Mutter war bei meiner Ex-Frau, und mein Sohn, der ist bei Bekannten gelandet…"
Dariusz Czarkowski überlegte zunächst, mit einem Hungerstreik die Rückkehr in seine Wohnung zu erzwingen. Mit den Wochen aber überwogen Resignation und Erschöpfung. Mittlerweile ist der 52-Jährige zu seinen Eltern gezogen, die eine kleine Wohnung gefunden haben.
Dortmunder Hochhaus Hannibal 2, aus dem die Mieter aus Brandschutzgründen ausziehen mussten.
Dortmunder Hochhaus Hannibal 2: Im September 2017 geräumt.© Claudia Hennen
Franziska Hesse, alleinerziehende Mutter, hat Ähnliches erlebt. Sie landete mit ihren drei Kindern in einer Notunterkunft am anderen Ende der Stadt. Zwei Wochen lang ging sie täglich aufs Sozialamt, bat – schließlich mit Erfolg – um eine Notunterkunft in ihrem Viertel:
"Ich konnte das nicht vereinbaren, aus Wickede immer eine Stunde herzufahren, das war immer eine Stunde Fahrtzeit – pro Tour. Die Kinder in den Kindergarten zu bringen war zuerst nicht möglich. Ich dachte, das ist ein schlechter Film. Ich hab es nicht für möglich gehalten, dass so etwas in Deutschland geht."

Nur noch zum Umzug in die Wohnung

31. Januar, ein Dutzend ehemaliger Hannibal-Mieter stehen im Sitzungssaal des Dortmunder Rathauses, halten Schilder hoch mit Aufschriften "Wohnen ist Menschenrecht" oder "Intown enteignen".
Zweihundertsiebzig der rund 800 Hannibal-Bewohner haben noch keine neue Bleibe, befinden sich in städtischen Notunterkünften oder Ersatzwohnungen. Bis vor einer Woche konnten sie das Gebäude täglich betreten – in Begleitung eines Sicherheitsdienstes.
Mieterprotest im Rathaus Dortmund wegen des Hochhauses Hannibal 2, aus dem die Mieter aus Brandschutzgründen ausziehen mussten
Mieterprotest im Rathaus Dortmund.© Claudia Hennen
Mittlerweile dürfen nur noch Umzugsfirmen in ihre Wohnungen, in einer Woche soll auch das nicht mehr möglich sein. So die Planung der Hausverwaltung des Eigentümers, die in Berlin ansässige Intown Property Management GmbH.

Verfügungen bei Gericht beantragt

Die Stilllegung sei unzulässig, sagt Tobias Scholz, wohnungspolitischer Sprecher des Mietervereins Dortmund:
"Nach unserer Rechtsauffassung ist das nicht rechtens. Mieter, die noch einen Mietvertrag haben, haben das Recht, in das Gebäude zu gehen. Es gibt zwar eine Nutzungsuntersagung zu Wohnzwecken von der Stadt Dortmund. Es gibt aber eine Erlaubnis, dass das Gebäude betreten werden darf für Erledigungen, für eine halbe Stunde oder beim Packen auch länger, wenn entsprechende Brandwachen bereitstehen. Für uns gilt das weiterhin und es gibt keinen Grund, weshalb Intown das jetzt innerhalb weniger Wochen Knall auf Fall beenden will und die Leute unter Druck setzt."
Der Mieterverein hat nun für einige Mieter einstweilige Verfügungen beim Amtsgericht Dortmund beantragt, um ihnen den Zugang zu ihren Wohnungen zu sichern. Eine Zutrittsregelung wurde bereits erlassen, es sollen weitere folgen, mit dem Ziel, die Stilllegung abzuwenden, so Tobias Scholz:
"Die Hoffnung ist, dass Intown auf diesem Weg einsieht, dass sie das mit den Mietern nicht so machen können. Aktuell gibt es kein Einlenken und das würde dazu führen, dass alle Mieter die ihren Zugang sichern wollen, zum Amtsgericht müssen und ihre Rechte gerichtlich durchsetzen müssen."

Schwierige Wohnungssuche

Ludger Wilde leitet den Krisenstab der Stadt Dortmund. Der hilft in enger Zusammenarbeit mit dem Sozialamt den Mietern bei der Suche nach neuen Wohnungen. Nicht immer mit Erfolg – die meisten Hannibal-Bewohner beziehen Sozialhilfe, einige haben einen Schufa-Eintrag.
"Der Dortmunder Wohnungsmarkt ist angespannt. Und es gibt Haushalte, die aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit nicht von jedem Vermieter genommen werden. Aber: Wir lassen niemanden obdachlos werden. Wir haben ja Wohnungen angemietet, und diejenigen, wo es länger dauert, die werden in diesen Wohnungen weiter bleiben können."
Die Stadt muss sich bis heute für die Räumung rechtfertigen. Bei einer Brandschutzbegehung Ende September entdeckte sie erhebliche Mängel, letztlich ausschlaggebend aber war ein Zufallsfund: Leitungsschächte, die ohne Genehmigung verlegt worden waren.
"Jeder Brand hätte zu einer kompletten Verrauchung des Gebäudes führen können, wo eine erhebliche Zahl von Mietern einer akuten Gefahr ausgesetzt worden wäre. Von daher sahen wir uns gezwungen, dann auch kurzfristig zu räumen."

Streitpunkt Schächte

Die problematischen Schächte sollen seit 2009 bekannt gewesen sein. Demnach hätten die Hannibal-Bewohner fast ein Jahrzehnt in höchster Brandgefahr gelebt.
Intown weist die Anschuldigungen zurück in einer Pressemitteilung zurück: "Die Räumung des Gebäudes war aus brandschutztechnischer Sicht unangemessen und rechtswidrig, es bestand und besteht für die Nutzer keine unmittelbare oder mittelbare Gefahr." Intown-Geschäftsführer Sascha Hettrich kündigt nun an:
"Die abschließenden Arbeiten zu unseren Brandschutzuntersuchungen wurden Mitte Januar 2018 abgeschlossen. Nach Einsicht in die aktuellen und historischen Bauakten und entsprechend den Aussagen der von uns beauftragten Sachverständigen haben wir eine andere Auffassung zum Brandschutz als die Stadt Dortmund. Kurzfristig sollen unsere Ergebnisse mit der Stadt besprochen werden."

Viele Bewohner behalten Mietverträge

Gleichwohl läuft der Rechtsstreit zwischen der Immobilienfirma und der Stadt Dortmund weiter. Und dieses Verfahren vor dem Verwaltungsgericht könnte sich über Jahre hinziehen. Mit fatalen Auswirkungen. Rainer Stücker, Geschäftsführer des Mietervereins Dortmund, verweist auf den Fall eines leer stehenden Hochhauses in der Dortmunder Kielstraße, mittlerweile als "Horrorhaus" verschrien:
"Bezogen auf den ‚Hannibal‘ befürchten wir leider ein ähnliches Szenario. In dieser Phase wo sich jetzt mehrjährige rechtliche Streitigkeiten abzeichnen, kann der ‚Hannibal‘ nicht bewohnt werden, aber das leer stehende Haus geht auch vor die Hunde, wird von der Bausubstanz immer schlechter. Es wird nicht geheizt und so weiter. Wenn es in drei, vier Jahren vielleicht den Neustart geben müsste, steht das Objekt kurz vor der Ruine."
Viele Hannibal-Bewohner halten an ihren Wohnungsverträgen fest, auch wenn sie eine neue Wohnung in Aussicht haben oder Auflösungsverträge von Intown angeboten bekommen haben.
Sie fürchten, dass sie ihre Kaution nicht wieder bekommen oder auf ihren Umzugskosten sitzen bleiben. So auch Rolf-Ulrich Türpe, der die Mehrkosten der vergangenen Monate mit 12.000 Euro beziffert. Der Frührentner hat Mitte Januar die letzten Habseligkeiten aus seiner Wohnung im vierzehnten Stock geholt. Und noch einmal die Aussicht vom Balkon genossen.
"Man kann von hier aus bis nach Bochum gucken, bis nach Witten, bis Castrop-Rauxel. Es ist einfach genial. Hier geht abends die Sonne unter. Die Aussicht fehlt uns einfach. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aber in der Not frisst der Teufel auch die Fliegen."

Dogewo, Privatisierung, Zwangsverwaltung

Der gebürtige Dortmunder wohnt jetzt Souterrain an einer viel befahrenen Straße im Zentrum. Es war nicht einfach, diese Wohnung zu finden, viele Bewohner des Hannibal kämpfen mit dem schlechten Ruf, der ihrem Wohnkomplex anhaftet.
Als Rolf-Ulrich Türpe 2004 einzog, gehörte das Gebäude noch einer städtischen Wohnungsgesellschaft, der Dogewo. Es folgte die Privatisierung, schließlich die Zwangsverwaltung.
Und dann 2011, ersteigerte Intown den Komplex für sieben Millionen Euro. Da war schon jahrelang nicht mehr investiert worden, manchmal standen die Aufzüge tagelang still.
"Damit war eigentlich schon klar, was hier passieren sollte: Rausziehen, rausziehen, rausziehen und nichts investieren. Richtig wäre es gewesen: Ein Haus sanieren, nach und nach die Leute umziehen lassen. Das nächste renovieren. Ist aber sehr teuer, haben die kein Interesse dran gehabt."
Seit Jahreswechsel ist die Heizung abgestellt im Gebäude, in der Wohnung von Rolf-Ulrich Türpe riecht es feucht. Bevor er das letzte Mal die Wohnungstür hinter sich schließt, blickt er nachdenklich auf die fleckigen Wände.
"Hier kommt schon der erste Schimmel… ohne Heizung wird hier alles kaputtgehen…"

Mitmieter wurden Freunde

Noch-Mieterin Franziska Hesse hat vor zwei Wochen ebenfalls eine neue Wohnung gefunden. Künftig wird sie 120 Euro mehr zahlen an Miete, damit sei sie aber noch gut weggekommen, sagt die 32-jährige Alleinerziehende. Ihr wird vor allem die Hausgemeinschaft fehlen.
"Wir haben uns angefreundet, die Kinder haben miteinander draußen gespielt, wir haben Tee, Kaffee getrunken. Und die gute Verkehrslage: S-Bahn und Bus vor der Tür. Jetzt ist das halt alles weg. "
Ihre Nachbarin pflichtet ihr bei:
"Eine solche Wohnung kriegt man nicht wieder. Es war alles so gut aufgeteilt."
"Haben Sie schon was?"
"Nein, ich will zurück. Und wenn das Jahre dauert, das ist mir egal. Die sollen anfangen zu sanieren. Das wäre billiger als das, was sie jetzt vorhaben."
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