Hitchcock als echter Teamarbeiter

Nils Warnecke im Gespräch mit Dieter Kassel · 29.01.2009
In der Ausstellung "Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt" wird der Anteil der Mitarbeiter des Regisseurs an Erfolgen wie "Die Vögel" sichtbar. Außerdem sei wenig bekannt, dass die Anfänge seiner Karriere eng mit Deutschland verknüpft seien, betont Kurator Nils Warnecke.
Dieter Kassel: Auftritte Hitchcocks im deutschen Fernsehen und vieles andere mehr sind ab heute im Berliner Filmmuseum zu hören und da dann, anders als bei uns, auch zu sehen in der Ausstellung "Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt". Bei mir im Studio ist jetzt einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, Nils Warnecke. Schönen guten Tag, Herr Warnecke!

Nils Warnecke: Guten Tag!

Kassel: Viele Menschen überrascht das, wenn man vom Akzent mal absieht, sprach Alfred Hitchcock ziemlich gut Deutsch. Woher kam das?

Warnecke: Oh, die meisten der Zuhörer werden nicht wissen, dass die Wurzeln Hitchcocks, also die Anfänge seiner Filmkarriere, eng mit Berlin und mit Deutschland verknüpft sind. Mitte der 20er-Jahre hat er schon in Babelsberg gearbeitet, noch bevor er selber Regie führte, zum Beispiel als Ausstatter und Drehbuchautor für einen Film, der hieß "Die Prinzessin und der Geiger" ("The Blackguard"), also eine deutsch-englische Koproduktion. Späterhin hat er dann ein Jahr darauf mit der Emelka in München zwei Filme realisiert, die dann seine ersten Regiearbeiten darstellten.

Kassel: Das ist auch ein Teil der Ausstellung. Die Ausstellung hat neun verschiedene Unterkapitel, nenne ich das jetzt mal, sie kommt im Original aus den USA, und ausschließlich in der Deutschen Kinemathek in Berlin wird sie überhaupt in Europa zu sehen sein, ist sie das ab heute. Der Berlin-Teil, den haben Sie natürlich mit Ihrer Kollegin gestaltet. Was ist gerade da zu sehen?

Warnecke: Also im Berlin-Teil, wie schon erwähnt, beschäftigen wir uns mit dieser Frühzeit, mit den 20er-Jahren, also wie gesagt einem ganz neuen Kapitel für die meisten, und dann natürlich, viele werden sich erinnern an "Torn Curtain" ("Der zerrissene Vorhang"), eine ostwest-kalte Kriegsspionagegeschichte, die in den 60er-Jahren spielt, zum überwiegenden Teil in Ostberlin. Und Hitchcock hat diese Geschichte natürlich damals nicht in Ostberlin drehen können, er hat sie auch noch nicht mal wirklich in Berlin gedreht, sondern er hat in Berlin recherchieren lassen, er hat Rückprojektionsaufnahmen machen lassen, mit denen man dann sozusagen ein imaginäres Ostberlin in den Studios in Hollywood erschaffen konnte. Es war ja ein Starfilm mit Julie Andrews und Paul Newman, das hat man nicht vor Ort in Deutschland gedreht. Aber aus der Korrespondenz, die wir ausstellen, kann man sehen, wie akribisch er auch diesen Schauplatz letztlich in die Studios übertragen wollte. Das heißt, er hat recherchieren lassen, wie sah es am Schönefelder Flughafen aus, wie sah eine typische Kaffeestube in Ostberlin aus. Da war er sehr versessen und hat auch einen deutschen, ursprünglich deutschen Production Designer, Hein Heckroth, der in den Spätdreißigerjahren nach England emigriert war, für diesen Film engagiert, weil er sich davon versprach, dass ein deutscher Production Designer, sagen wir mal, diesen deutschen Look besser verwirklichen konnte.

Kassel: Der Kern der Ausstellung soll vor allen Dingen zeigen, dass Hitchcock eben nicht allein gearbeitet hat, was zum einen ja erst mal keine sensationelle Erkenntnis ist – das geht nicht, man kann einen Film nicht als ein Mann drehen, aber man hatte manchmal das Gefühl, weil er eben allgegenwärtig war zu Lebzeiten in den Medien, in seinen Filmen selber hatte er die Gastauftritte. Auf der anderen Seite haben wir vorhin in dem Beitrag auch ganz kurz gehört, wie er auch öffentlich durchaus die Bedeutung von Mitarbeitern erwähnt hat. War er am Ende also doch ein echter Teamspieler?

Warnecke: Er war mit Sicherheit ein echter Teamspieler, weil er ganz genau wusste, dass die hohen technischen und ästhetischen Maßstäbe, die er sich selber immer wieder gesetzt hat – man darf nicht vergessen, dass Hitchcock, zumindest was die ästhetischen und technischen Dinge angeht, bei vielen Filmen wirklich ein Trendsetter war. Er hat viele Dinge das erste Mal in der Filmgeschichte gemacht und ausprobiert. Und er brauchte dafür natürlich die Besten, die besten Mitarbeiter, die besten Künstler und Vertreter ihres jeweiligen Faches, ob das jetzt Kameramänner, Production Designer, Komponisten, Kostümbildner usw. waren. Und die waren natürlich auch alle allzu gern bereit, mit ihm zu arbeiten, denn ab den frühen 40er-Jahren, also nachdem Hitchcock nach Amerika übergesiedelt war – er ist ja eigentlich geborener Brite –, begann jeder Hitchcock-Film mit dem Titel "Alfred Hitchcocks - ‚The Birds’" oder welcher Titel auch immer. Das heißt also, Hitchcock war auch einer der größten Stars seiner eigenen Filme. Und aus dieser Zusammenarbeit sind natürlich diese hervorragenden Ergebnisse hervorgegangen. Er ist sicherlich dennoch ein ganz akribischer und detaillierter Vorplaner seiner Filme gewesen. Dieser Mythos – das hat er auch selber oft immer wieder verbreitet –, dass schon, bevor überhaupt die erste Szene im Kasten war, der Film eigentlich fertig war, das stimmt vielleicht wirklich nur zum Teil. Aber die Ausstellung belegt sehr eindrücklich, mit vielen Storyboards, durch Korrespondenzen mit Drehbuchautoren, mit Komponisten, wie letztlich im Vorproduktionsprozess doch sehr, sehr, sehr viele Details jedes einzelnen Films festgelegt worden sind.

Kassel: Nun kann man natürlich mit Mitarbeitern unterschiedlich zusammenarbeiten. Man kann sagen, jeder macht seinen Teil, ich nehme das am Ende als Regisseur und mache daraus einen Film, oder man kann ständig mitarbeiten. Ich habe zum Beispiel gehört, dass er bei den Drehbuchautoren – und das waren zum Teil ja sehr berühmte Leute, John Steinbeck, Raymond Chandler, andere, dass er eigentlich mehr oder weniger ständig auch als Koautor fungierte.

Warnecke: In der Tat. Und man muss es wohl sozusagen als Großzügigkeit werten, dass Hitchcock selber nie in den Credits beim Drehbuch aufgetaucht ist. Also er hat natürlich immer mitgearbeitet, wie er alle Bereiche seiner Filmproduktionen versucht hat zu kontrollieren. Er war sicherlich ein Control Freak, das kann man wohl so sagen, aber ist da ganz bescheiden in den Hintergrund getreten. Das konnte er auch, weil, ich meine, wie schon erwähnt, jeder Hitchcock-Film war eben erst mal ein Hitchcock-Film. Ganz schön ist vielleicht noch zu erwähnen, dass er wirklich in allen Bereichen immer eine sehr enge Zusammenarbeit gesucht hat. Wir haben nicht nur den Berlin-Teil hinzugefügt, sondern wir haben auch einen Bereich hinzugefügt über Sound und Musik. Und da zeigen wir ein ganz wunderbares Exponat des deutschen Sound Designers Oskar Sala, auch hier wieder eine Beziehung nach Deutschland, sogar nach Berlin. Oskar Sala lebte damals in Berlin und hat in den 50er-Jahren das sogenannte Mixturtrautonium entwickelt, eine frühe Form des Synthesizers. Und für "Die Vögel" musste man einen Weg finden, wie man diese Geräuschkulisse erzeugt. Das war in der Tat in Amerika nicht möglich in den frühen 60er-Jahren, und man kam also auf Oskar Sala. Hitchcock flog also nach Berlin und arbeitete mit ihm zusammen. Und dieses Notizbuch, das Sala angefertigt hat, nachdem er das Sound Script von Hitchcock bekommen hatte, der ja wirklich Rolle für Rolle, Sequenz für Sequenz genau beschrieben hatte, was er für eine Geräuschkulisse haben wollte, dieses Notizbuch zeigen wir. Und das zeigt also ganz wunderbar, wie diese Kooperation zwischen diesen beiden Männern, zwischen diesen beiden Künstlern funktioniert hat.

Kassel: Sie haben gesagt, Erkenntnis aus der Ausstellung und auch aus Ihrer Arbeit dafür ist eindeutig, er war ein Teamspieler. Es gab aber Zeit seines Lebens, und das hat auch nicht aufgehört, seit er gestorben ist, immer das Gerücht, dass er eine Berufsgruppe gar nicht mochte beim Film, nämlich die Schauspieler. Über die hat er sehr gemeckert, andererseits hat er Leute berühmt gemacht, hat selber mit berühmten Leuten gearbeitet. Mythos oder nicht, fand er nun – wie heute manche Theaterkollegen – fand er Schauspieler doof oder nicht?

Warnecke: Er fand Schauspieler mit Sicherheit nicht doof, weil er wusste, was Schauspieler für ihn zu leisten hatten. Aber er hat – und das bringt die Ausstellung, glaube ich, auch ganz gut rüber, weil es geht ja nicht um den privaten Hitchcock, es geht wirklich nur um den arbeitenden Hitchcock, um den Filmregisseur –, es ging ihm in den allermeisten Fällen um die reine Arbeitsbeziehung. Und so war das bei den Schauspielern auch, mit wenigen Ausnahmen, das ist oft kolpoltiert worden, was die Beziehungen zu einigen seiner typischen Hitchcock-Blondinen angeht, hier sei erwähnt Tippi Hedren, darum geht es in der Ausstellung wirklich gar nicht. Wobei Tippi Hedren in Interviews, die im letzten Jahr entstanden, in der Ausstellung auch zu Wort kommt und im Großen, sag ich mal, und Ganzen auch sehr positiv über ihren Regisseur spricht, der ihr ja schließlich auch die Gelegenheit gegeben hat, eine Filmkarriere zu starten. Sie war damals Fotomodell und hat Anfang der 60er-Jahre sozusagen noch mal vollkommen umgesattelt und ist von ihm aufgebaut und vermarktet worden. Also das ist auch ein Teil dieser Beziehung von Hitchcock und seinen Schauspielern, die ihm sicherlich auch viel verdanken. Wenn man anguckt, was unter Umständen ein Auftritt in einem Hitchcock-Film oder in mehreren Hitchcock-Filmen für die Karriere eines Schauspielers bedeutete.

Kassel: Also, wer mehr wissen will über Hitchcock und die Blondinen, der sollte sich die Ausstellung vielleicht nicht angucken, da droht eine Enttäuschung, aber anderes, was man noch nicht über Hitchcock wusste und übrigens noch viel mehr von diesen Ausschnitten, die wir ganz kurz am Anfang gehört haben, kann man ab heute in der Deutschen Kinemathek, dem Museum für Film und Fernsehen in Berlin am Potsdamer Platz sehen. Die Ausstellung "Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt" läuft da ab heute und noch insgesamt bis zum 10. Mai. Und diese Wochen, die wir jetzt vor uns haben, sind die einzige Gelegenheit, diese Ausstellung in Europa zu sehen. Nils Warnecke war bei uns im Studio, einer der beiden Kuratoren. Ich danke Ihnen!

Warnecke: Danke!
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