Historisches Museum als Gegenentwurf zur DDR-Ausstellung

Von Otto Langels · 28.10.2012
Kaum eine Museumsgründung ist in der Bundesrepublik Deutschland so umfassend und kontrovers diskutiert worden wie die des Deutschen Historischen Museums vor 25 Jahren im damaligen West-Berlin. Das Museum war ein Geschenk der Bundesregierung, tatkräftig gefördert von Bundeskanzler Helmut Kohl. Heute zählt es zu den meistbesuchten Museen der Hauptstadt.
"Wir haben uns heute hier versammelt im alten Reichstag, um die Gründung des Deutschen Historischen Museums zu besiegeln. Dieses Haus ist ein Geburtstagsgeschenk des Bundes an Berlin."

Erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl am 28. Oktober 1987 im Berliner Reichstag. Im Rahmen eines Festaktes zum 750-jährigen Stadtjubiläum Berlins übergab er als Exponat für das künftige Museum einen Erstdruck des Deutschlandliedes - ein durchaus symbolisches Präsent. Denn die Gründung des historischen Museums in West-Berlin verstand der Kanzler als "nationale Aufgabe".

"Diese Errichtung eines Museums für deutsche Geschichte ist für mich ein notwendiges, ein überfälliges politisches und kulturelles Vorhaben von Bedeutung für die geteilte Nation und sicherlich auch von Bedeutung für alle unsere Nachbarn."

Die Idee zu einem West-Berliner Geschichtsmuseum entstand nach einer überaus erfolgreichen Preußen-Ausstellung im Jahr 1981, ein Indiz für das zunehmende Interesse der Bundesbürger an historischen Themen. Der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker berief eine Kommission, die ein Jahr später eine Denkschrift für ein "Deutsches Historisches Museum in Berlin" vorlegte. Helmut Kohl machte das Projekt zu seiner Herzensangelegenheit. Deshalb dankte der Gründungsdirektor Christoph Stölzl dem Kanzler in seiner Rede am 28. Oktober 1987 persönlich für dessen Engagement,

"… weil das große Unternehmen, das heute seine erste feste Gestalt erhält, nicht möglich gewesen wäre ohne Ihre anteilnehmende Freundschaft, eine Freundschaft aus demonstrativer Distanz, was Inhalte und Wertungen anging."

Die demonstrative Distanz bezweifelten manche Experten jedoch. Denn das geplante Haus in West-Berlin sah der promovierte Historiker Helmut Kohl als Gegenentwurf zum Ost-Berliner Museum für Deutsche Geschichte. Im Zeughaus Unter den Linden zeigte das SED-Regime eine marxistisch geprägte, DDR-offiziöse Ausstellung. Skeptiker befürchteten daher eine konservativ ausgerichtete Ausstellung im Westen, so etwas wie eine "Entsorgungsanstalt" für kritisches historisches Bewusstsein.

Der sozialdemokratische Kulturpolitiker Freimut Duve protestierte gegen ein Museum mit einem regierungsamtlich verordneten Geschichtsbild.

"Das darf nie eine Regierung machen, wenn es ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen ist, sowas haben Regierungen in diktatorischen und autoritären Staaten versucht. Sie sind inhaltlich gescheitert, aber machtpolitisch war das häufig leider sehr erfolgreich."

Kritiker bemängelten jedoch nicht nur die unzureichende demokratische Legitimation des Projekts. Sie wiesen darauf hin, dass bedeutende Exponate für eine ambitionierte Ausstellung von überregionalem Rang kaum noch käuflich zu erwerben seien. Zudem hielten sie ein Nationalmuseum in einem immer stärker zusammenwachsenden Europa für überholt. Der Bochumer Historiker Hans Mommsen:

"Es ist ja nicht uncharakteristisch, dass es in Deutschland niemals ein nationales Museum gegeben hat und dass es nationalhistorische Museen dieser Art überhaupt nur gibt in den Ostblockländern."

Ungeachtet aller Einwände vereinbarten der Bund und das Land Berlin die Gründung des Deutschen Historischen Museums, kurz DHM. Auf einer grünen Wiese in der Nähe des Reichstags wurde am vorgesehenen Standort eine Stiftungstafel aufgestellt. Doch die Pläne für den Neubau waren bald von der Geschichte überholt. Nach dem Fall der Mauer wurde das Ost-Berliner Museum für Deutsche Geschichte abgewickelt, das DHM übernahm dessen Bestände und das Haus Unter den Linden. Der Gründungsdirektor Christoph Stölzl:

"Natürlich ist es ein Glücksfall, dass das Ganze sich so lange hinzog, dass dann die eigentlich historisch sinnvolle Lösung, in die Berliner Mitte gehen zu können, Wirklichkeit wurde nach der deutschen Einigung."

Nach reger Sammlungstätigkeit, mehreren provisorischen Ausstellungen, der umfangreichen Renovierung des Zeughauses und der Errichtung eines von dem Stararchitekten I.M. Pei entworfenen Erweiterungsbaus wurde die neue Dauerausstellung im Juni 2006 eröffnet. Unter dem Titel "2000 Jahre Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen/" präsentierte das DHM 8.000 Objekte. Die solide, unspektakuläre Schau vermied Zuspitzungen und einseitige Geschichtsbilder und löste – im Gegensatz zur Gründungsdebatte um das so genannte "Kohl-Museum" zwei Jahrzehnte zuvor – keine heftigen Kontroversen mehr aus.